Das große neoliberale Bäumegießen
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 780
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Ah, das wird der Sommer meiner neoliberalen Aus- und Einlassungen.
Als ich mein Uber-Bubenstück abgefasst hatte, merkte ich erst an den zustimmenden Reaktionen, dass Hans Rauscher im Standard einen Kommentar zum gleichen Thema veröffentlicht hatte, der meinem Kommentar komplett widersprach. Er bewegte sich also in die falsche Richtung, wie die beliebte Phrase selten sagt. In dieser Phrase geht immer alles in die richtige Richtung. Zu Rauscher, mit dem ich ja fast immer im Konsensbettchen schmuse, komme ich vielleicht ein andermal; zu froh bin ich, dass unser alter Dissens wieder einmal aufschimmert.
Jedoch kam mir eine Meldung dazwischen, die da lautete: Jungbäume vor Wohnanlagen werden nicht gewässert, weil das zu teuer ist. Und zwar von Wiener Wohnen, einer sozialistischen Institution, die selbstverständlich nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt wird, um öffentliche Zuschüsse überflüssig zu machen und Diskussionen um die Privatisierung von Wohnraum zu vermeiden. (Heute ist Welttag der ausgelassenen Debatten, morgen ist Weltschlangentag).
Von ungegossenen Bäumen könnte ich Ihnen manche Geschichte erzählen. Mache ich vielleicht ein andermal.
Der ungegossene Wohnbaum zu Wien gibt mir aber Gelegenheit, den Unterschied zwischen Volks- und Betriebswirtschaft zu erklären. Und ehe ich das tue, sehe ich schon den ersten Naseweisen aufzeigen, der wiederum mir erklärt, es sei schlechte Betriebswirtschaft, Bäume eingehen zu lassen, die kosten ja was, also habe das mit Volkswirtschaft nichts zu tun.
Richtig, die kosten was, aber sie bringen nichts außer immateriellen Gütern: Kühlung, Anblick, Seelentrost – und das erst nach Jahren und nachdem viele Kosten dafür aufgewendet wurden. Zwar beginnen manche zu verstehen, dass Bäume mit dem Klima etwas zu tun haben und die Temperaturen um ein paar Grad senken können. Sie beschatten Gebäude, die sich sonst schutzlos aufheizen.
Der Baum auf dem Lande gilt derweil der verstockten Bevölkerung als eine Quelle des Schmutzes und der Gefahr, er wirft im Herbst Blätter und Äste ab, also sägt man ihn lieber heute als morgen um; im Wald stehen ja noch genug, dort gehören sie ja hin; die aufgeklärte Bevölkerung hat aber auch im Dorf schon verstanden, worin der Unterschied zwischen einer schattenlosen und einer beschatteten Siedlung besteht.
Vielleicht lässt sich anhand des ungegossenen Wienbaums eine Lektion lernen, wie man Dinge gesellschaftlich durchsetzt. Man sagt, die Schaffung eines Bewusstseins, das Dingen vorauseilt, sie antizipiert, sei so schwierig, ja unmöglich, weil so etwas wie Gemeinwohl in einer egoistisch abgerichteten Gesellschaft nicht erklärbar, nicht vermittelbar sei, wo sich solches Handeln nicht unmittelbar monetarisieren lasse.
Vielleicht könnte man das Beispiel des Wienbaums in die Köpfe pflanzen und fleißig gießen?
Das Beispiel einer Wohnanlage mit verdorrten Bäumen samt kontextualisierendem Kommentar würde man der Bevölkerung gern ersparen.
Aber wäre der Wienbaum als Volksschulbeispiel denkbar?
Könnte man die Mieter der Wohnanlagen darüber informieren, worum es ginge? Würden sie sich, wüssten sie es, selbst organiseren, Gießdienste einrichten, die Bäume dann als Ihre gemeinsamen Bäume empfinden?
Wäre das was für Kinder?
Vielleicht sollte man Elon Musk holen! Elon Musk würde sich, das Smartphone in der Pranke, vor die Kids hinstellen und ein kleines Tiktok-Tänzchen wagen, wobei er sänge:
Erstens: Eigenbedarf! Ich brauche das Wasser für meine Batteriefabrik. Wüste ist Umweltschutz!
Zweitens: Nutzen heben! Verdorrte Bäume sind Brennmaterial.
Drittens: Stehen lassen! Die Bäume lasse ich trotzdem nicht umschneiden, denn das kostet Geld. Ich warte, bis der Holzpreis steigt und verkaufe dann an den meistbietenden Holzhändler, der zahlt die Baumfäller und den Transport.
Viertens: Sofortmaßnahme! Die Gießer bei der Wohnbaufirma werden fristlos entlassen.
Fünftens: Wasserwerke privatisieren! Ich mache ein Angebot, das die Mieter finanzieren, denen jetzt die Kosten für Gießen aufgebrummt werden sollten. Sie zahlen statt für Wasser die Zinsen für den Kredit, den sie mir geben.
Sechstens: Aufmerksamkeit für mich! Die Debatte darüber muss ganz offen geführt werden dürfen!
Wunderbar hängt der Vater am Galgen, sagt zu derlei meine weise Mutter.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher