Über Ubermenschen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 778

Armin Thurnher
am 13.07.2022

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Gestern erreichte die Seuchenkolumne die magische Zahl 777 und niemand hat es auch nur ansatzweise kommentiert. Dass es niemand bemerkt hat, glaube ich nicht. Es gibt in Wien sogar eine Buchhandlung mit diesem Namen, ich denke, die gibt es noch, zumindest gehe ich ab und zu an ihr vorbei, und nicht nur in Gedanken.


Gerade bin ich in Slowenien angekommen, dem Land der Tour de France-Sieger. Bin über Autobahnen gefahren, in Ermangelung eines Autoreisezugs und brauchbarer Verbindungen ins Bergdorf. Man fährt naturgemäß schlechten Gewissens über die Autobahn, das Klimamörderbewusstsein trägt man schwer in sich.

Immerhin kann man beim Fahren Charakterstudien betreiben. Die deutschen Autobahnen sind die bei weitem unangenehmsten, die Strecke München – Salzburg führt die Hitparade einigermaßen an, nicht nur, weil sie von Adolf „eswarnichtallesschlecht“ Hitler erbaut wurde.

Nein, der deutsche Uber-Mensch, kaum gezähmt durch Tempolimits, zeigt dort immer wieder sein Gesicht. Entweder rasend, in den Rückspiegel blinkend, im dunklen SUV-Pulk mit Tempo 200. Oder aber mit stolzem Eigensinn die linke Fahrspur behauptend, auch wenn er nur 110 fährt. Nicht dass Österreich besser wäre, aber man spürt den Segen der staatlichen Autorität sofort, er beruhigt die meisten Gemüter.

Noch besser funktioniert es in der Schweiz, denn dort wird so hoch gestraft, dass die Leute am Buchstaben, also an der Kilometerzahl kleben. Wenn dort 120 vorgeschrieben ist, fahren sie genau 120 und nicht 127 wie bei uns. Schon bei 121 kassiert der Inspektor Fränkli satt. Und was heißt Inspektor! Es handelt sich um ganze Jagdkommandos, deren Anführer hinter der Kamera lauert, den Uniformfilzhut mit einer kecken Feder geschmückt, wie ein Raubritter auf der Burg, der eine Karawane von Kaufleuten erspäht. Nicht missverstehen, es geht mir nur ums Beutebild. Die Beutelust besteht hier nicht im Raub, sondern im Inkasso für die öffentliche Moral.

In Slowenien hingegen fahren sie einfach nach Vorschrift, das kommt einem wie eine Entspannungsübung vor. Allerdings hat auch hier das Ubermenschentum die neue Oberschicht ergriffen. Nach dem Ende Jugoslawiens war es geradezu peinlich rührend, wie Zastavas und Trabis höflich in die Kriechspur wechselten, sogar wenn unsereiner mit seiner Schrottmühle anrückte. Nun aber haben sich die Zeiten geändert, der stolz neoliberalisierte Slowener, die stolz neoliberalisierte Slowenin ist keinen Hauch besser, die zeigen, was ein kapitalistisches Fahrverhalten ist. Ubermenschen halt.


Am meisten regt mich an neoliberalen Disrupterfirmen wie Uber auf, dass die einzigen Skandale, die die Öffentlichkeit bereit ist wahrzunehmen, sexistische Ubergriffe, pardon Übergriffe sind. Auch bei Uber selbst war das so. Man kann das auch bei Medienbetrieben beobachten. Erpressen, lügen, betrügen, verleumden, vernichten – wurscht. Übergriff: Gejaule. Sexuelle Übergriffe sind abscheulich, klar, aber die umgekehrte Wertung, sie zum einzigen Verabscheuenswerten zu erklären, das vor allem anderen unsere Empörung verdient, mag ich nicht mitmachen.

Ich habe nie verstanden, wie Menschen, die ich als halbwegs bei Trost seiend empfand, stolz einen Uber-Wagen bestellten, im Vollgefühl ihrer digitalen Modernität und im Triumph über das altmodische, abgestandene Taxigewerbe und seine Kunden (mich). Nun ist das Taxigewerbe gewiss kein Vorbild sozialer Arbeitsverfassung, aber es ist gesetzlich reguliert und beobachtet seinetwegen gewisse Vorschriften.

Uber hingegen hat sich bewusst asozial, ja schweinisch verhalten (beispielsweise gewalttätige Proteste gegen die eigenen Fahrer geschürt, um Politiker zu erpressen) und hat das auch noch in disruptive Attraktivität umgemünzt. Auch wenn man der Meinung ist, die Gewerkschaften verhielten ich in manchem überprotektiv und behinderten die schnörkellose Entwicklung „der Wirtschaft“, kann man doch dabei nicht so weit gehen, die völlige Entrechtung und Selbstausbeutung von Arbeitnehmenden zu unterstützen und sich dabei noch progressiv vorkommen.

Dass jetzt die vom ehemaligen Uber-Top-Manager Mark MacGann veröffentlichten 124.000 Dokumente die illegalen Praktiken von Uber erweisen, kommt zu spät, der Schaden ist schon angerichtet. Wie bei allen digitalen Disruptern, Airbnb, Google, Facebook oder wie immer. Dennoch darf es nicht heißen, da kann man nix machen. Vielmehr muss es heißen: sie haben uns betrogen, also regulieren wir sie erst recht!


Ich muss manchmal meinen Stammtischgefühlen zum Ausbruch verhelfen, das erfordert die psychische Gesundheit. Die Weltveränderung durch Vertrottelung ist nicht aufzuhalten, die Seuchenkolumne wird das schon gar nicht schaffen. Aber ich werde mit der IT-Abteilung des Falter reden. Ich stelle mir einen zentralen Knopf vor, wie ihn Uber-Chef Travis Kalanick hatte. Er schaltete die Bildschirme des Uber-Personals auf dunkel, wenn Leute von Regierungen in ihre Nähe kamen. Klingt wie schlechte Science Fiction, war aber so, sagt MacGann.

Wann immer also irgendwo unliebsame Reaktionen auf die Seuchenkolumne auftreten (Reizworte sind programmiert) verdunkeln sich die Bildschirme, bis 50 neue Abos eingetroffen sind. So neoliberal wie Uber bin ich schon lange.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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