Nehammers Trinksprüche: Da hilft kein Deckel drauf.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 776

Armin Thurnher
am 11.07.2022

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Die Seuchenkolumne hat ein Kanzlerproblem. Es kann nicht dadurch gelöst werden, dass es eventuell bald zu einem Kanzlerinnenproblem wird. Der Kanzler, gerade erst halblustig ausfällig in Bezug auf Viren, wurde nun auffällig in Bezug auf Alkohol und Pillen. Bei der Amtsübergabe des Tiroler Landeshauptmanns begab es sich, dass Nehammer sich vergriff. Nicht am Menschen, sondern an der Metapher.

Während Günther Platter sein Amt an Anton Mattle übergab, Enzianschnaps inklusive, sagte Kanzler Nehammer in seiner Rede unter anderem: „Das ist die Teuerung, das ist die Inflation, das ist das absurd hohe Level an Energiekosten. Und wir müssen die Maßnahmen so setzen, dass wir die Inflation nicht treiben, sondern versuchen, sie gemeinschaftlich in der Europäischen Union zu drücken.“ Hier müsse die Regierung gegensteuern, das sei schwierig, und gelänge es nicht, bliebe nur folgendes: „Wenn wir jetzt so weitermachen, gibt es für euch nur zwei Entscheidungen nachher: Alkohol oder Psychopharmaka.“ Er setzte fort: „Und ich sag’: Alkohol ist grundsätzlich okay. Aber: Das Entscheidende ist, dass man immer dann anstößt, wenn es einem gut geht.“

Das Entsetzen war groß. Wie kann einer nur so gefühllos sein! Die unsozialen Medien jaulten auf, die gefühlige Presse zählte alle verhöhnten Bevölkerungsgruppen herunter, Alkoholiker, Pillensüchtige, Krisenopfer, durch die Teuerung hart Getroffene undsoweiter. Die Unsensibilität Nehammers wurde angeprangert, und sogleich meldete sich als Sprachrohr der verletzten Empfindsamkeit die FPÖ und empörte sich über die „flapsige Wortwahl“.

Selbstverständlich hat Karl Nehammer als Kanzler mehr Statur als Sebastian Kurz. Er vergisst selten, auf seine Größe und sein Gewicht hinzuweisen und darauf, dass er wieder Boxen trainiert, während man seinen Vorvorgänger bei aller vorgespielten Sportlichkeit nicht in den Ring oder an einen anderen Ort ernsthafter Sportausübung hätte schicken mögen.

Andererseits war Kurz messagemäßig besser gecoacht. Wenn Nehammers Truppe nun der sie streng verhörenden Krone stotternd gesteht, man habe mit dem Sager für gute Laune und Zuversicht sorgen wollen, dann zeigt das nur ihr Maß des Dilettantismus. Ein Missverständnis liegt vor: nicht tollpatschige Message Control ist perfekter Message Control vorzuziehen, sondern Message Control wäre abzuschaffen und durch politische Kommunikation zu ersetzen. Da hilft kein Deckel drauf.

Karl Nehammer hat naturgemäß den Ehrgeiz, sich als politischer Rollendarsteller zu profilieren; als Kanzler wird er nicht anders überleben. Aber es fehlt ihm offenbar an politischer Substanz. Wäre diese vorhanden, würde er vielleicht andere Witze machen. Er würde sich auf sicherem Terrain bewegen und sein Milieu präziser bedienen, wüsste er, was christlichsozial ist, was europäisch ist, was konservativ ist. Damit wir uns richtig verstehen: darauf gibt es mehr als eine Antwort. Wer den politischen Beruf ergreift, sollte es als Teil seiner Arbeit begreifen, sich mit solchen Fragen so ernsthaft auseinanderzusetzen, dass er mit ihnen öffentlich sicher umzugehen weiß.

Ich würde so weit gehen zu behaupten, wer in die Politik geht, sollte sich zuvor mit solchen Fragen auseinandergesetzt haben, und nicht erst damit beginnen, wenn er eine Regierungsposition erreicht hat. Es ist zu befürchten, dass Politik in Österreich sich nur mehr auf das Haxlbeißen, das Abschotten und das Besetzen von Machtpositionen beschränkt, ein kümmerliches Metier, das vergessen hat, wofür und nach welchen Grundsätzen es betrieben wird, und das diese Grundsätze nicht mehr als Voraussetzung  begreift. Das vom politmedialen Komplex geradebrechte politische Kauderwelsch ist Ausdruck dieser Misere.

Sprechen solche hohlen Politikdarsteller nur mehr kontrolliert in der Öffentlichkeit, messagekontrolliert, sind sie vermeintlich auf der sicheren Seite, aber sie betreiben weniger Politik als die Entkernung von Politik. Damit tun sie uns keinen Gefallen. Sprechen sie unkontrolliert, wie Nehammer, wenn er gut gelaunt ist, tun sie sich selbst keinen Gefallen. Sie offenbaren ihre politische Leere. Das ist es, mehr als seine gewiss ebenfalls vorhandene Unsensibilität, was uns an Nehammers Äußerung betroffen machen sollte.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!