Heute hat Sobo frei. Fast.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 771

Armin Thurnher
am 05.07.2022

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Heute hat Sobo frei, wegen großen Erfolges abgesetzt. Stattdessen möchte ich ihnen von der Falter-Weihnachtsfeier erzählen. Diese findet coronabedingt, wenn sie stattfindet, auf dem Badeschiff statt, und zwar am 1. Juli. Ich werde der letzte sein, der sich darüber beklagt, dass sein Verlag dieses merkwürdige Gen eingepflanzt bekam, das ihn immer ein wenig anders sein lässt als alle anderen.

Bin nicht unfroh über diesen kalendarisch-lokalen Spleen, denn winters hatte ich aus Verlegenheit den Brauch eingeführt, mich auf dem Clavire vor dem Publico zu produciren. Sonst bei Weihnachtsfeiern gebotene, schon traditionelle künstlerisch-kabarettistischen Einlagen waren abhängig von Leuten, die das konnten oder wollten, und beides hatte sich aufgehört. Da war ich also am Piano mit dem Versuch, andere wieder zu Einlagen zu motivieren. Ich strebte an, es so würdig wie möglich hinter mich zu bringen. Der Höhepunkt dieser Auftritte war gewiss eine mit Miriam Damev, Musikkritikerin und ausgebildete Konzerpianistin exekutierte vierhändige dreisätzige Mozartsonate.

Das Badeschiff hat kein Klavier, nicht einmal ein Schifferklavier, und ich bin froh darüber. Die Belegschaft auch. Aber ich machte es ihr nicht leicht und trug statt einiger artiger musikalischer Piecen ein Gedicht vor.

Auch das aber gereichte mir nicht zum reinen Vergnügen. Denn ich war der Ansicht, wohl jeder würde Theodor Storms „Knecht Ruprecht“ kennen, und ein Weihnachtsgedicht am 1. Juli zu parodieren, das musste doch recht lustig sein, dachte ich. Ja. Aber nur, wenn man Knecht Ruprecht kannte.

Knecht Ruprecht (links) Foto Wikipedia © Albärt

„Von drauß’ vom Walde komm ich her;

Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!

Allüberall auf den Tannenspitzen

Sah ich goldene Lichtlein sitzen;

Und droben aus dem Himmelstor

Sah mit großen Augen das Christkind hervor…“

Ich will nicht so weit gehen, die jungen Generationen im Verlag „bildungsfern“ nennen, aber auf meine einleitenden Frage, ob jemand das fragliche Opus kenne, hob sich keine einzige Hand. Etwas hilflos verwies ich auf Robert Schumanns Album für die Jugend, das ja auch einen Knecht Ruprecht kennt, in a-Moll glaube ich, als hätte es geholfen, hätte jemand das Schuman-Stück gekannt, mit seinem pianistischen Kettenrasseln. War aber auch nicht.

Also trug ich vor, was dann nur mehr halb so witzig war wie erhofft. Ich musste an meine Oma denken, eine Kellnerin und Wirtin, die wohl kaum mehr als Volkschul- und Herzensbildung hatte, denn sie floh mit vierzehn von zu Hause vor ihrem gewalttätigen, alkoholsüchtigen Stiefvater, ging arbeiten und nahm ihre kleine Halbschwester mit, um die sie sich dann lange kümmerte. Manchmal, vor allem im Advent, rezitierte sie Gedichte, in einem dramatischen Singsang, der an alte Burgtheatertragödinnen erinnerte. Die kleine Küche wurde dann verdunkelt und nur von einer Kerze beleuchtet, während Oma sich in eine Diva verwandelte und deklamierte: „Urahne, Großmutter Mutter und Kind / in dumpfer Stube versammelt sind…“

Das war Gustav Schwab. Sie hatte auch Knecht Ruprecht im Repertoire, vielleicht war er mir deswegen so selbstverständlich.


Wir sprachen dann auf der Weihnachtsfeier über dies und das, so erfuhr ich, dass meine Social-Media-Gepflogenheiten etwa fünf Jahre hinter der Gegenwart zurück sind, was mich überraschte, ich hätte auf zwei Jahrzehnte getippt. Wenn nicht auf zwei Jahrhunderte. Sie wissen schon, Theodor Storm (1817-1888). Und dann diese Marotte, mit Versen den Nationalratspräsidenten zum Rücktritt aufzufordern, täglich ein Zweizeiler, flankiert von sechs, sieben Mitstreitern und Mitstreiterinnen, die meinen Zweizeiler aufnehmen, ihn variieren, ausbauen und oft genug übertreffen. Dieser lyrische Flottenverband macht mir Freude, und offenbar auch jenen vielen, die seine Hervorbringungen liken wie vor zweihundert Jahren. (Sobo hat also heute doch nicht ganz frei.)

Davon ist nicht alles immer gleich gut, gewiss, aber manches ist doch recht lustig und gibt auf einigermaßen zivilisierte Weise, nämlich in gebundener Rede, dem Frust und der Unlust über das Schlaucherl aus Waidhofen Ausdruck, das es zu nicht weniger gebracht hat als zur Symbolfigur des hiesigen Ungustltums, und nun mit vollem Recht literarisch angekratzt wird. Es freute mich, bei Angehörigen verschiedener Generationen ein Einverständnis darüber und damit zu bemerken. (Ich übersehe nicht die gezogenen Schnoferln der Social-Media-Profis, die den ganzen lyrischen Zirkus als unstatthaftes Buben- und Mädelstück sehen.) Schauma, was aus all dem noch wird.

P.S.: Ich hoffe, Sie wissen es zu schätzen, dass ich Ihnen meine Version von Knecht Ruprecht erspart habe.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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