Sobotka: die Kür versemmelt, an der Pflicht gescheitert.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 770

Armin Thurnher
am 04.07.2022

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Leider muss ich die Woche mit Unangenehmem beginnen. Wolfgang Sobotka. Der selbsternannte Ersatzaußenminister und fremdernannte Nationalratspräsident, als solcher Ersatz für eine gewisse Elisabeth Köstinger, hat, wir wissen es, ein beklagenswertes Faible fürs Selbsternennen. Er ernennt sich selbst als Vorsitzender des ÖVP-Korruptionsausschusses und behauptet, das Gesetz befehle ihm das. Eine Lüge, mit der er wegen Abstumpfung der österreichischen Öffentlichkeit durchzukommen scheint.

Am Wochenende erschien in der Tiroler Tageszeitung wieder ein Interview mit ihm, in dem er die alte Schwurbelrede aufs Neue zu führen versuchte, und zwar so: Er müsse weiterhin den Vorsitz im Ausschuss führen, „weil man mit Unterstellungen künftig sonst jeden Vorsitzenden zum Rückzug zwingen könnte, der einem politisch nicht passt. Die Verfahrensordnung sieht keine Befangenheit vor, dementsprechend habe ich auch die Pflicht, den Vorsitz zu führen. Es ist leider ein Zeichen unserer Zeit, dass der Ton immer aggressiver und polemischer wird.“

Mische Lüge mit Wahrheit, dann bist du unwiderstehlich, denkt sich unser Schlaucherl aus Waidhofen. Die Lüge besteht darin, zu behaupten, die Behauptung, er sei befangen, sei eine „Unterstellung“. Das ist sie eben nicht. Es ist vielmehr juristisches Faktum, dass der bloße Anschein von Befangenheit der Befangenheit gleichzusetzen ist. Herr Sobotka, der als Präsident des Alois-Mock-Instituts Geld von Novomatic nahm, scheint deswegen befangen. Er musste auch als Auskunftsperson vor dem Ausschuss erscheinen. Die Behauptung, die juristische Definition von Befangenheit sei eine „Unterstellung“, ist also eine Lüge, die nicht wahrer wird, weil Sobotka sie mit Erfolg und Stiernäckigkeit seit Jahren vorbringt. Man muss das nicht als Kraft des Beharrens auffassen, sondern als beharrliche Verhöhnung des Publikums, damit dieses durch die Permanenz des Hohns nicht mehr unterscheiden kann, was rechtens ist und was nicht. Wer diese aggressive, polemische Tatsachenverdrehung kritisiert, der betreibe, behauptet der Verdreher, Aggression und Polemik.

Dass Sobotka das aus der Position des Nationalratspräsidenten tut, der eine Art Ersatzbundespräsident sein soll, ein ruhender Pol nicht der Parteilosigkeit, aber doch in gewissen Fragen, vor allem jenen, an denen sich der öffentliche Streit erhitzt, einer demonstrativen Äquidistanz, verschärft das Problem. Statt zu beruhigen, liefert Sobotka demonstrative Parteilichkeit zugunsten der ÖVP ab. Der Schleim der Selbstgewissheit, mit der diese Leute alles überziehen und damit eine Art Naturunrecht für sich beanspruchen, hat etwas Feudales, mit aller Dekadenz, aber ohne den Kern standesbewusster Erziehung. Aristokratie heißt Herrschaft der Besten. Was wäre das Gegenteil? Kakistokratie, die Herrschaft der Schlechtesten. Wie heißt das auf österreichisch? Sobokratie.

Sobotka sagt: „Die Verfahrensordnung sieht keine Befangenheit vor, dementsprechend habe ich auch die Pflicht, den Vorsitz zu führen.“ Erstens wäre es noch schöner, sähe eine Verfahrensordnung Befangenheit vor. Er wollte vermutlich sagen, sie erwähne Befangenheit nicht. Das heißt nicht, sie fordere Befangenheit, was Sobotka aber sagte.

Zweitens gibt es keine Folgerung, die man aus einer dumm-dreist entgleisten Formulierung ziehen kann. Es ist dieses Sobokinesisch, mit dem er uns in den gefürchteten Status der Hirnlähmung überführen will: man soll irgendwie erahnen, was er sagen will, weil oder obwohl er das Gegenteil dessen sagt, was er meint. Es gibt nämlich keine Entsprechung zu einer unsinnigen Behauptung. Dementsprechend hat er nur eine Pflicht, der er aber wegen Unfähigkeit nicht zu genügen vermag: er hat die Pflicht zu tun, was das Gesetz und der Geist der Gesetze ihm vorschreiben, und er hat die Pflicht, so zu uns zu sprechen, wie es das Gesetz vorsieht, und so, dass wir das verstehen können.

Pflicht, Herr Sobotka, wäre ein Begriff, der beim Philosophen Kant vorkommt und der meint, dass man aus eigenem das tut, was man selbst als richtig erkennt, und zwar aus freier Einsicht in die moralische Richtigkeit dieses Tuns.

Was Sie jedoch als „Pflicht“ vor sich hertragen, ist nicht einmal das Gegenteil des Handelns aus Pflicht, nämlich das was Kant „pflichtgemäßes Handeln“ nennt und mit dem er das leere Erfüllen einer Vorschrift meint.

Ihnen heißt Pflicht aber bloß das Wegducken selbst vor dieser Vorschrift durch bloßes Simulieren einer moralischen Selbstverpflichtung. Wer so wenig ahnt, was Pflicht ist, sollte wenigstens nicht von ihr reden.

Wenn in späteren Jahren einmal jemand fragen sollte, wie es kam, dass eine Partei, die nach ihren Möglichkeiten das Land mit absoluter Mehrheit regieren könnte, ihre ganze Macht verlor, wird man ihm sagen: Es waren Leute wie Sobotka, die nicht wussten, wo und wann es genug ist.


Ihr Armin Thurnher

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