Heroische Daten und Taten der Medienfreiheit

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 768

Armin Thurnher
am 01.07.2022

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Immer, wenn es mir nicht so gut geht, höre ich dem Politikberater zu, schon steigt die Laune. Kürzlich sprach er über Magnus Brunner und sagte: „Mit diesem Schritt möchte der Finanzminister politisch ganz sicherlich eines erreichen, nämlich einen öffentlich wahrnehmbaren Schlussstrich unter die Ära Kurz und durchaus auch aufs Finanzministerium umgemünzt Thomas Schmid zu ziehen.“

Mutig sehen wir ihn schreiten, den Minister, und den Schlussstrich ziehen. Mit dem Fuß?, frage ich mich, der als Kind noch Zeuge war, als die Großeltern in der Nachkriegszeit von Invaliden mit dem Fuß oder mit dem Mund gemalte Bildpostkarten als Dank für Spenden an den Kriegsopferverband bekamen, was mich stark beeindruckte. Selbst wenn der Minister also mit dem Fuße fürbass schritt und mit den Zehen jene legendäre Linie in den Sand zog, die hierzulande vor allem da ist, um überschritten, verwischt oder ignoriert zu werden, „versucht er einfach“, am Wort ist wieder der Politikberater, „eine klare eigene Handschrift wirklich auch zu zeigen“. Das ist ein Mann nach meinem Geschmack, was der sagt, hat Hand und Fuß! Handschrift und Fußschrift! Aber wirklich auch!


In einem der glänzenden Kommentare des Rechtsanwalts, Publizisten und Malers Alfred J. Noll las ich kürzlich errötend: „Tja, wie lautete eine jüngst abgegebene Diagnose? ,Lärmender Hirnstillstand!‘ (© Armin Thurnher) Das ist natürlich leicht gesagt von uns, die wir nicht handeln müssen. Aber was sollen wir schon groß tun? Mit großem Phlegma schütteln wir unsere Köpfe. Dann werfen wir einen resignierenden Blick auf unsere Regierenden. Und beim Ansichtigwerden des desaströsen Bildes, das sich uns bietet, da dämmert es uns plötzlich: ,Eigenverantwortung‘. Ja, das ist es. Vielleicht erweist sich dann ja der nächste Wahltag als ein ,Erinnerungsstichtag‘ mit ganz neuer Bedeutung“.

Ob wir den Regierenden Einsicht einimpfen können? Ich bezweifle es. Ich errötete übrigens deswegen, weil mir das Wort vom lärmenden Hirnstillstand umso besser gefiel, als es nur fast von mir war. Ich hatte von „lähmendem Hirnstillstand“ geschrieben oder hatte es jedenfalls vorgehabt. Der lärmende Hirnstillstand ist viel besser und trifft die Sache genauer. Die Lähmung, von Stille begleitet, böte ja die Chance, das Hirn vielleicht doch wieder in Bewegung zu setzen, wenngleich einen beim Ansehen mancher hiesiger TV-Diskussionen oft so etwas befällt wie das Curare-Syndrom: man ist in seinem Körper gefangen und kann sich nicht mehr rühren, während sich einem das Monster öffentlicher Dummheit mit weit geöffnetem, alles verschlingendem Maul nähert. Im Lärm, den dieses Monster macht, bemerkt man hingegen nicht einmal seine Annäherung. Schon ist man gefressen.

Druckfehler können schon verdammt produktiv sein. Das gilt auch für Lesefehler.


Ich wollte gestern noch ein paar Mitteilungen über den desolaten Zustand der Medienfreiheit in der Welt anschließen. Etwa über die philippinische Nobelpreisträgerin Maria Ressa, deren Medium „Rappler“ von der abgewählten Regierung Duterte kurz vor dem Ende der Amtsperiode kurzweg geschlossen wurde; Begründung: ausländische Eigentümer. Wahrer Grund: Ressas unbequeme oppositionelle Berichterstattung. Sie legt Einspruch ein und hofft auf die neue Regierung des Marcos-Sohnes.

Oder über den indischen Faktenchecker Mohammad Zubair. Der wurde wegen eines vier Jahre alten Tweets verhaftet, in dem er fromme Hindus verhöhnt haben soll, weil sie ein Hotel nach dem Affengott Hanuman nannten, dem Gott der Heilkunst. Der wahre Grund für die Verhaftung Zubairs ist aber seine ständige Kritik an der antimuslimischen Hetze der Modi-Partei, die kürzlich zu diplomatischen Verwicklungen führte, weil sämtliche Golfstaaten dagegen protestierten. Modi beschwichtigte, und es gab zwei Rücktritte führender BJP-Politiker (das ist die Partei, mit der Wolfgang Sobotka schunkelt).

Ich kann das alles nicht genauer ausführen, weil auch in unserem Land ein eklatanter Fall von Beschränkung der Meinungsfreiheit zu beklagen ist. Das Opfer heißt Gerhard Fleischmann. Der Mann sollte im parlamentarischen ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss öffentlich um sein Recht gebracht werden, zu schweigen. Unter Androhung schwerer Misshandlungen wollte die Opposition, dass er sich selbst bezichtige und in die strafrechtliche Bredouille bringe, indem er zugebe, dass er sich mit einem Subjekt namens Sebastian Kurz permanent zu grenzlegalen Handlungen verabredet habe.

Aber Fleischmann, ein Held der Adi-Gradl-Schule („Sagst du Ja, bleibst du da, sagst du Nein, gehst du heim“) blieb standhaft und sagte nichts. Überhaupt nichts.

Es wird behauptet, er ziehe nach wie vor in der ÖVP die medienpolitischen Fäden. Fleischmann arbeitet im Parlamentsklub dieser Partei. Als man ihn fragte, ob er Einblick in die Akten des Untersuchungsausschusses habe, dauerte es eine Stunde, bis er sich zur Antwort durchrang, er wisse es nicht.

Hier leidet ein großer Standhafter, der es sich und uns nicht leicht macht. Ein Märtyrer der Mediengerechtigkeit. Ein Schweiger für die Freiheit. Wir ziehen den Hut. Er zieht die Fäden. Und den Nerv.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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