Cassidy, Julian und zwei, drei Dinge über unsere Freiheit.
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 767
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Reden wir einmal nicht vom tragischen tragisch nahen Krieg (über den reden wir noch lange, und über die ferneren reden wir ohnehin weniger). Reden wir über ein paar andere Dinge, die uns eine Aussicht auf die Aussichtslosigkeit der Welt verschaffen. Nur Illusionslosigkeit bietet die Möglichkeit der Besserung, und ich denke, allzu viele machen sich noch immer zu viele Illusionen.
Den Journalisten Patrick Cockburn (sprich: Kou-Börn) verehre ich wegen seiner Augenzeugenberichte und seiner erfahrungsgesättigten und doch nüchternen Analysen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt, vor allem des Nahen und Mittleren Ostens. Kürzlich schrieb er einen Aufsatz über Julian Assange, den ich am liebsten ganz abdrucken würde.
Die Medien feierten Assange, schreibt Cockburn, und jetzt, da der englische Auslieferungsantrag an die USA beschlossen ist, sind sie zu feige, ihn zu verteidigen. Er erwähnt die Kehre der Biden-Administration im Fall der Ermordung des saudischen Journalisten Kashoggi durch dieses Regime, mutmaßlich auf Anweisung dessen Herrschers Prinz Salman; das NATO-Arrangement mit dem türkischen Präsidenten Erdogan inkludiert offenbar auch eines mit Salman in Sachen Kashoggi.
Es mag daran liegen, mutmaßt Cockburn, dass die alles überschattende russische Invasion in der Ukraine nun derart Priorität in der US-Außenpolitik bekommen hat, dass die „neue amerikanische Linie einer Lizenz gleichkommt, exilierte regimekritische Journalisten zu jagen und zu eliminieren.“
Die Verfolgung Assanges sei ganz klar ein Versuch der USA, kritische Berichterstattung einzuschüchtern; zu den Topoi in diesem Zusammenhang gehört es, Assange entweder als russischen Söldner zu diskreditieren, wie es kürzlich ein Autor der FAZ tat (ein anderer verteidigte ihn), oder ihn einfach des unjournalistischen Handelns zu bezichtigen, weil er die Wirkungen des von WikiLeaks veröffentlichten Materials nicht überprüfte und Opfer in Kauf nahm.
Jedoch, sagt Cockburn, die Untersuchungskommission des Pentagon unter Brigadier Robert Carr konnte 2013 kein einziges Opfer nennen, das aufgrund von Wikileaks-Veröffentlichungen zu beklagen wäre. Carr konnte ein einziges Opfer nennen; diese Nennung beruhte auf einer erwiesenen Falschaussage der Taliban.
Cockburn fügt hinzu, was ihn am meisten irritiere, sei das Schweigen jener Medien, die damals im Verbund mit Wikileaks die Dokumente veröffentlichten: Guardian, Spiegel, New York Times, Le Monde, El País. Hatte Assange recht, hatten auch sie recht, sagt Cockburn. Wenn Assange sich falsch verhielt, dann verhielten auch sie sich falsch.
Es ist bitter, dass wir sehen müssen, wie die Verteidiger unserer Freiheit nach außen diese zugleich im Inneren angreifen. Assanges Auslieferung ist nichts anderes als ein Angriff auf unsere Freiheit.
Cassidy Hutchinson sagt von dem Untersuchungsaussschuss aus Foto: Screenshot © Washington Post
Donald Trump untergrub die Freiheit der Presse auf ganz andere Weise; seine Freundlichkeit gegenüber Putin und Russland wurde jedoch in den USA zu sehr hochgespielt. Seine Rolle bei der Erstürmung des Kapitols und bei der Zerstörung der amerikanischen Demokratie kann aber nicht hoch genug gehängt werden. Vielleicht ist die 26-jährige Cassidy Hutchinson eine Heldin der Meinungsfreiheit, denn diese Mitarbeiterin in Trumps Stab sagte vor der Untersuchungskommission des Kongresses öffentlich aus, und sie benahm sich offensichtlich wie das genaue Gegenteil einer österreichischen Ministerin vor einem Untersuchungsausschuss. Sie sprach ruhig, gefasst, sie redete Klartext, mit einem Wort, sie packte aus.
Sie stellte klar, dass Trump wusste, dass ein bewaffnetes Komplott im Gange war, dass er selbst daran teilnehmen wollte und seinen Fahrer physisch attackierte, als dieser ihn nicht zum Kapitol sondern zurück ins Weiße Haus bringen wollte. Zuvor, als sein Stabschef ihm nicht mit der Wiederholung der Lüge vom gestohlenen Wahlsieg beistehen wollte, sei er so wütend gewesen, dass er einen Porzellanteller mit seinem Essen an die Wand warf. Ketchup sei die Wand heruntergeronnen.
Diesen Kontrast darf man sich nicht einmal auf der Zunge zergehen lassen: das zuckerhaltige Ketchup, sicher reichlich über einen Burger und Fritten gegossen und dann vom obersten Fratzen des westlichen Faschismus im Zorn samt Teller gegen die Wand geschleudert; und die damals 25jährige Assistentin, die das von der Wand tropfende Ketchup abwischte. Nun ließ sie sich auch von Drohungen nicht abhalten, mit ruhiger Stimme Dinge zu erzählen, die zu einer erneuten Anklage gegen Donald Trump führen können, könnten, müssten, wenn nicht… Ja wenn nicht die Öffentlichkeit bereits so weit zerstört wäre, dass auch klar zutage liegende Fakten nichts wert sind, weil es nichts mehr gibt, was nicht in der verlogenen Weltsicht der Parteioptik gesehen würde.
Parteioptik ist nicht mit Parteilichkeit zu verwechseln; wohlverstandene Parteilichkeit lässt einen Raum der Wahrheit jenseits der Parteien. Verschwindet dieser Raum, verschwindet auch die letzte Möglichkeit gemeinsamer Basis, und dann ist nichts mehr etwas wert. Keine Zeugenaussage, kein Journalismus, keine kritische Stimme – dann ist alles nur noch Partei, und was Wahrheit ist, kann nur noch mit Gewalt entschieden werden. Wir nähern uns diesem enddemokratischen Zustand mit Zwergenschritten, aber umso behender.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher