Let’s go, Joe? Neues zum Greisenalter.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 754

Armin Thurnher
am 14.06.2022

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Das US-amerikanische Portal Axios brachte ein Lieblingsthema. Sie nennen es nur nicht so, wie es hier gern genannt wird: Greisenalter. Aber sie möchten mir eines meiner Lieblingsargumente madig machen, mit mehr oder weniger guten Einwänden. Das Lieblingsargument: schauen Sie sich den US-Senat und die Präsidenten an, dann sehen Sie keine Altersgrenzen. Oft werden diese Leute erst im Alter gut, gewinnen Statur, werden zu respektierten Institutionen.

Von Bernie Sanders berichtete jüngst das sozialistische (nach unseren Maßstäben sozialdemokratische) Magazin Jacobin, er sei so fit, dass er bei einem Softball-Turnier einen Batter mit ein paar trockenen Würfen ins Out beförderte. Bernie Sanders ist 81 schlanke Jährchen alt.


Axios aber kam mit Joe Biden daher, und der hat wirklich eine Tendenz zum Problembären. Nuschelt, bringt Dinge durcheinander, sagt außenpolitisch Sachen, die sein Stab und der Außenminister gleich wieder korrigieren müssen. Das vielleicht schlimmste Hoppala passierte ihm, als er einmal vergnügt der Parole „Let’s go, Brandon!“ zustimmte, die ihm jemand vorplapperte.

Let’s go Brandon ist in den USA bei den Rechten eine Schlüsselphrase, die für „Fuck Joe Biden“ steht. Das Ganze entstand bei einem Nascar-Rennen in der Talladega Superspeedway in Alabama am 2. Oktober 2021. Die Menge beleidigte Biden mit ihrem Sprechchor, ein TV-Reporter aber suggerierte dem TV-Publikum, sie würden nicht Fuck Joe Biden skandieren, sondern, den Rennfahrer Brandon Brown anfeuernd, eben Let’s go Brandon. Wohlanständige und wenige anständige Republikaner stellen seither diese Phrase aus, Trumps Organisation verkauft T-Shirts mit dem Slogan, und Biden selbst tappte in die Falle, wie die New York Post am 24.12. 2021 berichtete. Ein Vater nützte zu Weihnachten die Gelegenheit, öffentlich den Präsidenten anzurufen, wünschte dem Präsidenten und dessen danebensitzender Ehefrau Frohe Weihnachten und sagte dann „Let’s go, Brandon“. Biden antwortete vergnügt: „I agree“. Seine Frau kicherte gequält und verdrehte die Augen.


Wie auch immer die mehr oder weniger heiteren Umstände des alternden US-Präsidenten, Axios weist darauf hin, dass beim Duell 2024 vermutlich der dann 81jährige Biden gegen den dann 78jährigen Donald Trump antreten wird. Bernie Sanders, er wäre dann 83, wird gewiss einen fulminanten Vorwahlkampf hinlegen, und im letzten Moment stellt ihm ein korrupter Democrat ein Bein.

Warum das wichtig ist, fragt Axios. Die fragen immer bei Fragen, die sie selber stellen, warum das wichtig ist. Nun, die Welt, die Arbeitsplätze und alles hätten sich so verändert, dass alte Leute da nicht mehr Schritt halten könnten. Wer hätte das gedacht? Washington aber werde von alten Menschen regiert: Biden 79, Kongresssprecherin Nancy Pelosi 82, Senatsmehrheitsführer Chuck Schumer jugendliche 71, sein Widerpart auf republikanischer Seite, der Finsterling Mitch McConnel 80.

Im Übrigen handle es sich um ein globales Phänomen, Dr. Anthony Fauci, der Chefpandemiebekämpfer in den USA, 81. Es sei aber ein weltweites Phänomen, sagt Axios, bringt aber nicht einmal die 96-jährige Queen ins Spiel, nur ihren Sohn Charles (73) und den Papst (85). Wladimir Putin (69) hingegen ist ein Hupfer, wie unser Bundespräsident sagen würde, der mit seinen 78 Jährchen nicht mehr ganz zu dieser Kategorie zählt.

Na und? Mit dem Kappel fangen wie Sleepy Joe Biden (wie ihn Donald Trump nennt) ließe er sich trotzdem nicht. Die Redewendung „mit dem Kappel fangen“ habe ich einst von Andreas Khol (80) gelernt.


Lieber als ein unwürdiger Bengel ist mir allemal ein Greis, der seine Siebensachen beisammen hat. Ich kannte und kenne Achtzig- und Neunzigjährige, die mir beim Hintern lieber sind als manche 35jähre Knäblein beim Gesicht. Umgekehrt soll selbstverständlich das jugendliche Alter niemanden disqualifizieren. Meine Utopie wäre eine Gesellschaft ohne Ageismus. Ich bilde mir etwas darauf ein, das schon gesagt zu haben, als ich selbst noch kein Greis war. Das Schwierigste, was unsereiner lernen muss, ist im hierorts bekannten Goethewort gesagt: „Alter ist das stufenweise Sich-Zurückziehen aus der Erscheinung.“ Hannah Arendt, die nicht einmal 70 wurde, zitierte es und erfreute sich an der Schönheit der Formulierung.

In einem Zeitalter, das so viel Möglichkeit der Erscheinung bietet und deswegen konsequenterweise kollektiv dem Narzissmus verfallen ist, eine schwere Aufgabe, jedes Greises würdig. Ich glaube im übrigen, mit Bernie Sanders wären wir besser dran als mit Biden oder Trump.


Wir kehren zurück zum besorgten Axios-Bericht. Die Plattform teilt mit, für viele Demokraten sei das Alter am Ende der zweiten Periode, ein bedenkliches Thema. Am Ende einer zweiten Amtszeit wäre Joe Biden dann 85, und wäre er dem Stress dieses Amts noch gewachsen? Nun, Ronald Reagan hat von neun bis fünf die Welt regiert und es ging auch. Alles hängt nie davon ab, wie alt eine Person ist, sondern wie sie beisammen ist.

Eine neuere Ausgabe von Axios berichtet übrigens, dass an den US-Kinokassen die Dinos dominieren.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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