Ralf Rangnick in meinem Garten

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 752

Armin Thurnher
am 11.06.2022

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Genug von ÖVP, Kurz, Gemeinde Wien, regierenden Sozialversagern, Frontentsetzen, Rüstungsparolen, Vertrottelungsgefahr durch Lügenpropaganda. Genug davon. Reden wir über die angenehmen Dinge des Lebens. Neuerdings gehört in Österreich wieder Fußball dazu.

Der Garten ist immer angenehm, vor allem wenn man eine Nacktschnecke ist, außer, die Nacktschnecke wird in ihrem Angenehmsein ertappt, zum Beispiel von mir. Ich spiele dann sehr hohes Pressing im Wortsinn. Sollte es je Reste buddhistischer Gesinnung in mir gegeben haben, im Angesicht der Nacktschnecke verlassen sie mich, und ich werde zum Mentalitätsmonster.

So etwas, sagt man, habe Ralf Rangnick, ihr neuer deutscher Trainer, aus Österreichs Fußballnationalmannschaft gemacht. Sie gewann in der einigermaßen bedeutungslosen Nations League gegen Vizeweltmeister Kroatien auswärts 3:0, verlor unglücklich zu Hause gegen Dänemark 1:2 und schaffte ein glückliches 1:1 gegen Weltmeister Frankreich.

Gratulationen dazu wollte Rangnick nicht annehmen, die ihm gewohnt unterwürfige ORF-Moderatoren antrugen. Wieso, sagte er, wir haben 83 Minuten geführt, gut verteidigt und verloren, indem wir einen Freistoß herschenkten und in einen Konter liefen.

So kann man es sehen, und sogleich war das allgemeine Urteil, so müsse man es sehen.

Die Nationalmannschaft hat das Glück, außer einem Weltstar, David Alaba, einige sehr laufstarke und auch spielstarke Spieler beisammen zu haben, vor allem im Mittelfeld. Sie wurden durch die sogenannte Salzburg-Schule geprägt, die wiederum der nämliche Ralf Rangnick für Red Bull Salzburg aufgebaut hatte, den österreichischen Klub des Milliardärs Didi Mateschitz. Diese Schule mauserte sich mit RB Leipzig zur europäischen Spitze. Sie verfolgt ein taktisch und kommerziell vielversprechendes Konzept: moderner Fußball mit Gegenpressing, flexibler Verteidigung, athletisch dem Gegner die Schneid abkaufend. Kommerziell erfolgreich ist sie, weil Salzburg junge Talente rekrutiert und dann mit Gewinn weiterverkauft.

Rangnick ist der Meinung, man kann, ja muss jedes Spiel gewinnen wollen, sonst gewinnt man nichts. Die Qualität seiner taktischen Überlegungen und seine begründete Hybris werden von den Spielern angenommen, das heißt, sie handeln danach.

Rangnick hat aber auch das Glück, dass einige Spieler physisch in guter Verfassung sind. Der lange verletzt gewesene Schlager ist wieder stark wie eh und je, Konrad Laimer ist längst europäische Spitze, der junge Nicolas Seiwald steht ihnen kaum nach, Marko Arnautovic hat in Italien seinen Körper wieder in den Griff bekommen und läuft und gewinnt tatsächlich Bälle; und in der Verteidigung hat Rangnick den lange übersehenen souveränen Gernot Trauner und den in Frankreich in Form gekommenen Kevin Danso neben Alaba, dazu noch jede Menge weiterer guter Kräfte. Auch Torleute sind auf einmal wieder da; Heinz Lindner bekam zuvor wenig Spielpraxis, und dass man Patrick Pentz so lange übersah, versteht niemand. Alle auf einmal in Form, das gibt es nicht; wären Marcel Sabitzer und Stefan Lainer auf der Höhe ihres Könnens, und vielleicht Saša Kalajdžić, wären die Nationalmannschaft schier unbezwingbar.

Glück hatte auch Österreich, denn ein Trainer vom Kaliber Rangnicks wäre normalerweise außer Reichweite. Zuletzt trainierte er aushilfsweise Manchester United; er hatte vor, dort als Berater weiterzumachen und Österreichs Teamchef als Doppeljob zu übernehmen. Noch mehr Glück für Österreich: der Beraterjob zerschlug sich, Rangnick ist voll für Österreich im Einsatz.

Gern wird die Frage gestellt, wie ein Trainer eine Mannschaft so schnell elektrisieren, mentalisieren, begeistern und überzeugen kann. Nun, ganz einfach, durch Kompetenz und durch Anweisungen, die funktionieren. Alle Spieler sind bei guten Vereinen engagiert, kennen dort Trainer, haben schon mehrere kennengelernt, wissen sofort, was einer draufhat. Dann erkennen sie ihn an.

Ich kann nur eine Anekdote aus meiner Tenniszeit beisteuern. Mit Trainern waren wir nicht gesegnet, aber einmal im Jahr kam der österreichische Daviscuptrainer ins Ländle und übte mit den letzten der Unbegabten, dem Vorarlberger Nachwuchs eine Woche lang. Ich kam nur drei, vier Jahre für solche Trainingskurse in Frage. Zuerst hatten wir einen gemütlichen, 70jährigen Wiener, der den Ball noch immer traf, und sonst eher Gott einen guten Mann sein ließ. Wir lernten ein bisschen was, aber nicht viel.

Ihm folgte ein Pole, Władysław Skonecki, insofern bemerkenswert, weil er sein Land nicht nur im Daviscup sondern angeblich auch in der Fußballnationalmannschaft repräsentierte (ich konnte es nicht verifizieren, aber Österreich hatte auch eine solche Doppelbegabung, Fred Huber, er spielte Eishockey und Tennis meisterlich, einmal durfte ich in einem Staatsligaaufstiegsspiel gegen ihn, der bei TC Zell am See spielte, mit der Mannschaft des TC Bregenz verlieren).

Was machte der polnische Trainer: er ließ jeden aus dem gesamten nominierten Kader von Ecke zu Ecke laufen, man musste 15 Minuten lang die pausenlos von ihm Cross und Longline geschlagenen Bälle retournieren. Wer vorher schlappmachte, war aussortiert. Dann zeigte er uns, analog zum großen Happel, der gern Zigarettenschachteln auf die Querstange legte und sie vom 16er herunterschoss, wie er mit einem platzierten Service nach Belieben ins Aufschlagsfeld platzierte Bälle traf. Dann erklärte er uns die paar wichtigen Dinge, Gewicht unter den Ball bringen, Ball vor dem Körper treffen, den Ball spielen, nicht den Gegner, simpel war das, aber alle, die noch übrig geblieben waren, spielten gleich eine Klasse besser. Mindestens.

Ich denke, so simpel wird es bei Ralf Rangnick sein, da ist ein Verständnis, da sind ein paar einfache Dinge, die man weiß und doch nicht weiß, die einem richtig gesagt werden müssen, damit man sie weiß, und schon ist der Wille da, und mit dem Gewinnenwollen kommt auch das Gewinnen. Ich war nie ein begabter Sportler und habe doch das eine oder andere gewonnen, des Willens wegen. Aber am meisten hat mich geärgert, wenn ich im Wiener Unterklassenfußball sah, dass von elf Leuten sieben dazu neigten, den Kopf hängen zu lassen, wenn scheinbar nichts mehr zu machen war. Es gibt sie, diese österreichische Mentalität, die bei anderen Dingen sympathisch sein mag, aber wenn man ihr im Sport nachgibt, hat man eben verloren.

Jemand sagte einmal, Film heiße, schöne Frauen dazu zu bringen, hässliche Dinge zu tun. Ralf Rangnick bringt Österreichs Fußballer dazu, sich zu überwinden und richtig hässliche Dinge zu tun, die dann in schöne Spielzüge umschlagen, wie in das Tor gegen Frankreich, das war wie Ballett, tänzerisch-kraftvoll abgeschlossen von Andy Weimann, einem anderen Übersehenen. Deswegen fühlen wir Fußballfans uns momentan wie im richtigen Film.

Wie ich meinen Garten jetzt rangickisiere, berichte ich Ihnen vielleicht ein andermal. Spoiler: es hat nichts mit Löchern im Rasen zu tun.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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