Gandalf, Peter Thiel, der Altkanzler und ich. Und eine erhitzte Mädchenwange.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 751

Armin Thurnher
am 10.06.2022

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Ian McKellen als Gandalf der Weiße in Peter Jacksons The Two Towers (2002) Screenshot: Wikipedia

Es ist wunderbar, was man sich ersparen kann, wenn man kein Welt-Abonnement besitzt. Angeblich hat der österreichische Altkanzler, der vorvorletzte, dort ein Interview gegeben, aber ich konnte es nicht lesen, weil ich einen Euro für ein Probeabonnement als Zumutung empfand.

Während ich erwog, den Euro doch zu riskieren, überlegte ich, dass ich ein solches Interview nicht zu lesen brauchte, da ich meinte, zu wissen, was und wie geredet worden sei. Es kommt ja doch mehr auf die Laune und die Stimmung des Interviewenden an, und da wiederum dachte ich, ist es umso weniger interessant, für je interessanter sich dieser hält. Es gäbe zwar einiges, was mich am Altkanzler interessieren würde, aber solche Fragen an ihn habe ich noch nie gelesen, und blöde Andeutungen schaffe ich selber.


Lass es, dachte ich. Um deinem Verdacht nachzugehen, kannst du genauso gut selbst verdachtsschöpferisch tätig werden. Außerdem hast du andere Sorgen, zum Beispiel mit dem neuen Chef des Altkanzlers.

Peter Thiel hat mit mir ja nicht sehr viel gemeinsam, aber doch dieses, dass wir beide Gründer sind. Ich habe leider keinen Bezahldienst in meinem Portfolio und infolgedessen etwas weniger auf dem Konto, auch habe ich manches, was mir als Gründung angerechnet wird, gar nicht gegründet, aber ab und zu stimmt ja manches doch.

Noch eines verbindet mich mit Thiel. Auf Twitter wird neuerdings gern behauptet, ich sähe dem Gandalf-Darsteller Ian McKellen ähnlich, manche behaupten gar, ich gliche dem von McKellen dargestellten Gandalf (ich habe mir die Haare wachsen lassen, rasiere derweil aber noch meinen Bart. Vielleicht sollte ich darüber nachdenken). Tolkien kenne und schätze ich seit meinen US-Hippie-Tagen, das ist also ein Weilchen her, so zirka aus der Zeit von Mittelerde.

Thiel ist ebenfalls Tolkien-Fan und hat auch Palantir gegründet. Palantir ist eine Spionage- und Überwachungsfirma, die mit Daten handelt und, wenn ich es recht verstehe, in der technooptimistischen Perspektive eine wichtige Rolle bei der Beherrschung von Gesellschaften mittels social engineering spielen will.

Intelligence, also Spionage spielt in modernen Kriegen eine entscheidende Rolle. Darüber spricht man im Ukraine-Krieg eher diskret, aber soviel sickert durch, die Ukraine hat den gesamten Intelligence-Vorteil des Westens für sich, was die Russen ziemlich nervt.


Die Meldung, die mich verstörte, kam aber aus London. Ich las sie in der Financial Times. Das englische Gesundheitssystem schreibt seine Datenverwaltung aus, und Palantir bewirbt sich um den 360-Millionen-Pfund-Auftrag.

Palantir hat in der Corona-Krise dem englischen Nation Health Service NHS offenbar gute Dienste geleistet, aber was nun ansteht, geht Menschen mit nur einem Hauch von Empfinden für Datensicherheit und den Schutz persönlicher Integrität viel zu weit. Palantir (mit dem der Altkanzler nichts zu tun hat, vielmehr werkt dort die ehemalige SPÖ-Politikerin Laura Rudas) hat sich schon die Dienste zweier Spitzenbeamter des NHS gesichert, was „für hochgezogene Augenbrauen sorgt“, schreibt die Financial Times. Palantir gilt dennoch(oder deswegen) als Favorit für den Auftrag. Es treten aber schon Bürgerrechtsgruppen dagegen auf.


Ich habe dann das Interview in der Welt natürlich doch gelesen, so neugierig bin ich. Ich darf Ihnen versichern, Sie können es sich sparen. Menschen, die nach Wien kommen, um Feuilletonisten zu werden, aber nicht wissen, dass ein Feuilleton zu schreiben auf einer Glatze Locken zu drehen heißt, und stattdessen meinen, ihre Feuilletons würden feuilletoniger, wenn sie sich mit einem Sack voller Lockenwickler an üppigem, gegeltem Haupthaar zu schaffen machen, die stehen noch, sagen wir es so, ganz am Anfang ihrer Kunst und sollten vielleicht doch eher eine Coiffeur-Laufbahn in Betracht ziehen als ein Schriftstellerdasein.

Die fortgesetzten Versuche der Springerpresse, den Altkanzler, diese abgeschmierte Hoffnung der Konservativen, mit Mitteln des Politkitschs am Leben zu erhalten, kann man nicht herzig nennen, aber sie verdienen einen Hilflosenzuschuss.

„Jetzt, mit 35, ist er glücklicher Jungvater und verliebt in seine schöne, sehr blonde, immer noch junge Freundin. Sie schläft inzwischen. Er streicht ihr vorsichtig mit dem Handrücken über die erhitzte Wange. Das Licht löscht er ebenso sanft durch eine lautlose Bewegung durch die Lichtschranke. Das Mädchen war bei ‚Diener des Volkes‘, letzte Staffel, eingeschlafen.

Wir treten auf den Balkon, das dritte Glas Campari in der Hand, und schauen auf das Schloss Schönbrunn. Mitternacht ist vorbei.“

Ja, es ist ein tiefer Graben, den sie mit ihren triefenden Phrasen füllen müssen, um die Zeit zu überbrücken, bis der Altkanzler Milliardär geworden ist und im Triumph zurückkehrt, nicht um das madige Österreich zu retten, sondern um Europa erweckend über die erhitzte Wange zu streichen.

G’sund schauma aus.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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