Der Bauer und der Bobo. Filmkritik.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 750

Armin Thurnher
am 09.06.2022

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Manchmal treffen Dinge im Leben zusammen. Gestern war ich endlich im Kino, Der Bauer und der Bobo. Denn auf Florian Klenk kann ich den Satz nicht anwenden, den mein Großvater bei Begräbnissen von Alterskollegen sagte, die er schwänzte: Der got mer ou nümma. Der geht mir auch nicht mehr. Klenk geht mir schon noch, und er ging mir auch schon, also ging auch ich. Ich weiß, dass er eine Kritik erwartet, und er hat jedes Recht darauf, denn so etwas gibt es heute nicht mehr. Abgeschafft.

Ehe ich also über den Film nachdenke, denke ich über Kritik nach, oder Rezension, und deren Ort, das klassische Feuilleton, das manche Chefredakteure längst von diesem Genre befreit haben, wenn sie es nicht als Ganzes aus der Zeitung austrieben.

Mir fiel das einmal auf, als ich eingeladen wurde, eine Lesung des bei den Festwochen 1970 gespielten Stücks Stoned Vienna zu halten, das ich mit Heinz R. Unger verfasst hatte. Lang ist’s her, und ich merkte, wie lange, als ich die alten Rezensionen heraussuchte; es gab eine in jeder der fünf Tageszeitungen, und jede für sich wäre heute allein aufgrund der beanspruchten Fläche der Stolz aller Kulturproduzierenden.

Tempi passati. Klenk und Langbein erhielten für ihren Film exakt Null Rezensionen. Damit noch kurz zum erwähnten Zusammentreffen. Der verehrte Kurt Kister, Ex-Chefredakteur und nunmehr Graue Eminenz der Süddeutschen Zeitung schrieb in seinem wirklich feinen Newsletter „Deutscher Alltag“ gerade erst gestern über ein Interview mit Claus Peymann: „Es ist löblich, dass dpa dieses Interview auch für jene Medien verbreitet, die sich kein Feuilleton mehr leisten wollen, weil Verleger oder, viel schlimmer, manche Chefredaktionen zum Beispiel glauben, Feuilleton (und andere Ressorts) ließen sich durch ,Thementeams‘ oder Weglassen ersetzen. Feuilleton ist Theater, und es ist wie Theater. Zwar hat der Kopf manchmal höhere Ansprüche als das Feuilleton. Aber solange der Kopf denkt, braucht er das Feuilleton.“

Das habe ich immer so gesehen. Lange Zeit war der Falter nur ein großes Feuilleton mit Programm, und ich war sein Theaterkritiker. Ich sollte also wissen, wie man eine Kritik schreibt, und weil ich schon so viel geplaudert habe, geht sich jetzt keine richtige Kritik mehr aus. Keine richtig lange jedenfalls.


Foto: Florian Klenk

Kurt Langbeins Dokumentationsfilm „Der Bobo und der Bauer“ rekonstruiert geschickt die verblüffende Geschichte, wie einander der Chefredakteur des Falter und ein steirischer Bergbauer kennenlernten. Klenk hatte sich als Jurist anlässlich eines Urteils gegen die Menge gestellt und kommentiert, der Bauer, dessen Kuh eine Frau mit Hund niedergetrampelt hatte, habe seine Aufsichtsplicht verletzt. Der Bergbauer Christian Bachler hielt auf Facebook dagegen und nannte Klenk einen ahnungslosen Bobo, der sich einmal auf dem Hof umsehen solle, er lade ihn zu einem Praktikum ein.

Vermutlich wusste er nicht, dass Klenk vor allem durch Widerstand zu reizen und zu interessieren ist. Jedenfalls reiste der hin, sah den Hof und bekam später durch Zufall mit, dass der Bauer vor dem Ruin stand, weil er seine Kredite nicht mehr bedienen konnte und ihm die Raiffeisenbank, die den Hof belehnt hatte, diesen versteigern wollte.

Klenk startete eine Rettungsaktion in letzter Minute, deren professioneller Grad im Film nicht ganz deutlich wird. Binnen weniger Tage kamen die erforderlichen 400.000 Euro zusammen, Bachler konnte entschuldet werden und wirtschaftet seitdem erfolgreich.

Ein modernes Märchen, das mit angemessener Leichtigkeit erzählt wird, nicht ohne alle Chancen zu nützen, das bäuerliche Leben mit der Natur und Biobauer Bachlers Experimente in naturnahem Wirtschaften herzerwärmend zu zeigen. Klenks mediengerechtes Erzähltalent hilft dabei. Auch die Medienversatilität des Bergbauern und dessen verblüffende Beredsamkeit werden ins rechte Licht gerückt. Die Frage stellt sich der Rezensent hier aber doch: Woher hat Bachler seine Social-Media-Kenntnisse, die offenbar selbst den Städter Klenk erstaunten? Auch einen online-Versand hat er mittlerweile aufgestellt; als ihn eine Kollegin fragt, wie er das gelernt habe, sagt er nur „mit viel Weinen“.

Der Film lehrt uns unaufdringlich einiges über die Finanzierung von Landwirtschaft. Aber darüber hätte man gern mehr gewusst: den Kollegen, die im Wirtshaus ein wenig über Bachler, dessen Medienkompetenz, angebliche Faulheit und die Unordnung auf seinem Hof lästern, hätte man gern mehr auf den Zahn gefühlt gesehen, ebenso der Bank und ihren Praktiken. So bleiben die Gegensätze pure Illustration.

Der Film wirft fast alle Fäden auf, die auch das Buch von Florian Klenk aufwirft, und die Regie kann sie nicht alle einfangen. Die Tierschützer, eine Massentierhaltungschweinemast, die Geschichte von Klenks dörflichen Vorfahren, erzählt von seinem Vater, das alles lenkt ein wenig ab und deutet ein impressionistisches Mosaik an, wo die dringlichen Fragen im Raum stehen: kann naturnahe Landwirtschaft gegen die industrialisierte Agrarwirtschaft, gegen die Agrarfinanzkonzerne, die einmal Genossenschaften waren, gegen die Handelsketten und ihr Marketing dauerhaft ankommen, wie geht es den Kollegen vom Stammtisch damit, können so die Bedürfnisse der Massen wirklich befriedigt werden, und wie hilft es gegen die Klimakrise?

Das ist Jammern auf hohem Niveau, und ein Erfolg des Films ist gewiss, dass man sich am Ende solche Fragen stellt. Gut unterhalten hat man sich bei dieser unwahrscheinlichen Geschichte zweier grundverschiedener Freunde auf jeden Fall.

Der Autor Egon Christian Leitner nannte kürzlich den Falter „eine Welt in der Welt“ und erwähnte dabei explizit auch die Aktion Klenks und Bachlers. Langbeins Film zeigt Bachlers Kosmos als Gegenwelt, und das ist gut genug.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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