Gespräche mit meiner Mutter über Sport

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 747

Armin Thurnher
am 04.06.2022

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Mutter Thurnher mit rumänischem Flüchtlingshund Hazel.

Bin zu Pfingsten zu meiner Mutter nach Bregenz auf Besuch gefahren. Ich muss gleich unhöflich sein und nach der Begrüßung den Fernseher aufdrehen, denn Rafael Nadal spielt gegen Sascha Zverev um den Einzug ins Pariser Finale. Weiß aber, dass Mutter nicht ungern Sport mit mir schaut, was bleibt ihr übrig.Eine Zeitlang mochte sie Formel 1. Die interessiert sie allerdings nicht mehr. Ich schaue nur mehr das Ergebnis an, sagt sie.


Zverev beginnt übermächtig. Nadal wirkt müde, spürt vielleicht die Fußverletzung, aber er ist der Mann des Willens und gewinnt den ersten Satz nach Rückstand. Im zweiten wird es wieder knapp, es dauert schon drei Stunden und schien ins Tiebreak des zweiten Satzes zu gehen. Da überknöchelt sich Zverev, man sieht sofort, eine schwere Verletzung, er liegt im Sand und schreit vor Schmerzen. Ich: Das ist tragisch Mutter: Ja, da geht’s auch um viel Geld. Ich: Aber in so einem Augenblick denkt man nicht an sowas. Mutter: Ja, die sind eh auch gut versichert.


In ihrer Jugend war Tennis ein exotischer Sport, erzählt sie. Nur für die Reichen. Heute spielt ja jeder. Damals, da war einer, der Markstahler, den haben wir angeschaut wie einen exotischen Vogel. Was war das für einer? Er war der Sohn des Direktors der Creditanstalt, das war ein feiner Mann, und der Bruder meiner besten Freundin. Die hatte eine Wut auf ihren Bruder, denn der studierte sehr lange, und solange er studierte, konnte sie nicht heiraten, denn das Studium war zu teuer, hieß es. Also musste ihre Aussteuer warten. Ihre Mutter war „a Monk“ – Eine was? Eine Monk, das ist eine Frau, die dauernd keppelt.


Sie schaut meine Haare an. Ein bisschen gehören die aber schon geschnitten! Ich lasse sie mir wachsen, wie früher. Geh, was machst dann, einen Zopf? Oder einen Rossschwanz. Ja, ja, man wird wieder infantil im Alter…


(Bei Betrachtung des Tennisspiels) Speck setzen die keinen an. Es ist interessant, was der Menschheit alles einfällt an Spielen, was man da alles machen kann. Wir haben Völkerball gespielt. Kennst du das noch? Wir auch. Spielt man das noch? Keine Ahnung. Warst du gut? Ich war ziemlich gut, einmal habe ich mir allerdings fast den Daumen gebrochen, weil mir ein Ball draufgepfeffert wurde. Der war wochenlang geschwollen. Wir hatten einen schönen Platz im Marienberg, einer kirchlichen Schule samt Internat. Ich war extern. Die Internen haben das Völkerballspiel ausgenutzt, um den Ball über den Zaun zu werfen, hinunter in den Wald ins Fuchstobel, dort haben sie sich mit den Gymnasiasten verabredet, da hat sich allerhand abgespielt. Eine hat es besonders bunt getrieben, die Viktoria T. aus Innsbruck, ihr Vater hatte eine Apothekenkette und war mit dem Bischof bekannt. Der hat dann immer für sie interveniert. Immer? Ja, die hat den Schwestern gern Streiche gespielt. Zum Beispiel? In jedem Schulzimmer gab es ein Weihwassergefäß, und die Viktoria hat einmal Kölnischwasser einfüllt. Das war ein Hallo, als sich die Schwester damit bekreuzigte, da haben wir alle gelacht. Und sie wurde erwischt? Ja, aber der Bischof hat sie gerettet.


Die Fußballer müssen eigentlich viel herumrennen. Und dauernd rennen. Warum? Und wie ergeben sich die Streifen im Rasen? Es gibt immer Fragen. Man muss mit Mutter immer besprechen, was so vor sich geht. Warum die Weißen rotkarierte Trikots tragen. Das ist die kroatische Flagge. Finde ich nicht schön. Sieht aus wie ein Faschingskostüm. Was tust du da? Ich schreibe die Kolumne. Da bist du aber spät dran. Fällt dir nix ein? Wieso? Die sollte doch schon fertig sein, oder?


Mutter wird in zwei Monaten 103. Sie macht keine Tandemfallschirmsprünge, jätet aber Unkraut, lebt allein im Haus (täglich besucht von meiner Schwester) und braucht keinen Rolator. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist schlecht, aber ihr Langzeitgedächtnis ist eine Fundgrube, und ihre Schlagfertigkeit lässt wenig zu wünschen übrig. Sie braucht kein Pfingstfest, das ihr die Zunge löst. Frohen Feiertag!


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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