Mehr schwaches Denken, bitte!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 745

Armin Thurnher
am 02.06.2022

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Gestern war ich in Graz, auf Einladung von Egon Christian Leitner, ja, dem Sozialstaatsleitner, dem bestunterschätzten Schriftsteller Österreichs, dem warmherzigen Leitner, dessen Bücher hier des öfteren gerühmt werden. Wir diskutierten darüber, was Leitner „schwaches Denken“ nennt. Er meint damit den einfachen Blick auf die Verhältnisse, die unter der Vorgabe Schopenhauers, keinem lebenden Wesen soll ein Leid geschehen (ich zitiere aus dem Gedächtnis, also falsch), beurteilt werden.

Egon Christian Leitner Foto Literaturhaus © Peter Ch. H. Stachl

Dieses Denken nennt Leitner nur deswegen schwach, weil es nicht von den Mächtigen geschätzt wird, sondern von deren Kritikern. Ich mag seine Unvoreingenommenheit, die er trotz bedingungsloser Parteinahme fürs Nicht-Verletzen, fürs Nicht-Leid-Zufügen, fürs Gute behält. So beurteilt er auch Pierpont Morgan, den amerikanischen Banker und Begründer der Wallstreet-Macht als einen, dem man zumindest nicht abstreiten könne, Krisen gelöst zu haben, indem er Verantwortliche zur Kooperation zwang. Etwa nach Muster der legendären Bregenzerwälderrepublik, wo die Bevölkerung auf der Bezegg die leitenden Beamten, die Ammänner in ein Haus auf Pfählen zur Beratung einsperrte und ihnen die Leitern wegnahm. Speis und Trank bekamen sie erst, wenn sie sich geeinigt hatten, dann wurden ihnen die Leitern hingestellt. Mir gefällt die Geschichte, auch wenn gewiss Vorarlberger Historiker mir erklären werden, es sei mehr Märchen als Realität. Dann ist es halt eine gute Parabel.


Mit mir auf dem Podium saßen Moderatorin Elke Edlinger, die ihre Freue hatte, Markus Marterbauer, Fritz Orter und mich nicht bändigen zu können. Orter sagte kluge Sachen über den Krieg und die Hoffnungslosigkeit, Kriege anders als durch Gewalt beenden zu können; Marterbauer berichtete von seinem kommenden Buch, das Vermögen begrenzen will und nach unten ein Grenze gegen Armut einziehen will, um der Bevölkerung die Angst zu nehmen. Was jetzt geschehen muss, fragte Leitner. Die acht Prozent Inflation sofort auf die Sozialhilfe, die Notstandshilfe und das Arbeitslosengeld draufschlagen! Da muss man nichts erfinden, sagt Marterbauer, das ist praktisch. Leider auch transparent, sagte ich, man sieht was es kostet. Aber man könnte auch zeigen, was man sich damit erspart.


Meine Rolle bei diesem Gespräch war wie immer, die Rolle der Medien bei der Zerstörung der Demokratie zu beschreiben. Ein nicht enden wollendes Thema, bei dem überall neue Akte zu beobachten sind. Das Fellner-Konglomerat hat 100 Millionen Euro Schulden, so war einem Standard-Bericht zu entnehmen. Ein Sanierungsberater führt jetzt dort die Geschäfte. Was das heißt, kann ich aus eigener Erfahrung sagen. In den 1980er Jahren hätte es den Falter beinahe erwischt; allerdings nicht weil wir zu viel, sondern weil wir zu wenig Inseratengeld erhalten hatten. Auch wir bekamen einen Sanierungsberater von der Bank verordnet, mit dem wir uns bald anfreundeten, als er nach einigem Suchen entdeckte, dass der Grund für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten das zu schnelle und mit dem gleichzeitigen Umbau von Kollektiv- zu Normalbetrieb nicht ausreichend kontrollierbare Wachstum und nicht die Entnahmen der Gesellschafter waren. Bin gespannt, ob das auch bei Fellners der Fall ist.Wahrscheinlich gründen sie gemeinsam mit ihrem Sanierer eine Sanierungsfirma für Tourismusbetriebe, Immobilien und Gratisgeschenke für Sanierungskunden.


Dieser Fall wird uns noch beschäftigen, ebenso die Medienpolitik der Sozialdemokratie, oder auch die österreichische, oder auch die schwarze, grüne oder europäische. Die es alle zusammen nicht gibt. Es gibt die rechte Medienpolitik, die einfach ihre Propaganda und ihre Desinformationen in die Welt bläst, gänzlich uninteressiert an einem Streit der Ideen (so könnte man Öffentlichkeit in. schwachem Denken definieren), sondern nur interessiert an der eigenen Macht. Morgen in der Früh nehme ich an einer Pressekonferenz des Community-TV-Senders Okto teil. Ich will nicht vorgreifen, ich werde berichten.


Wenn ich schon dabei bin: der Supreme Court, obgleich trumpisiert und mehrheitlich stockreaktionär, verhinderte gerade ein Gesetz des Staates Texas, das es Social-Media-Konzernen verboten hätte, ihre Inhalte zu bestimmen. Die Rechte in Amerika pocht auf ihr Recht, Desinformation und Hetzpropaganda zu publizieren und begründet dies mit dem Recht auf Redefreiheit.

Ja, das First Amendement, da staunt das starke Denken. Und es übersieht, dass Youtube, Google, Facebook, Twitter eben private Firmen sind, die publiuzieren können, was sie wollen. Und die nur darauf achten müssen, dass dabei niemand verletzt wird.Eine Aufgabe, der sie nach einigem Zögern begannen nachzukommen, aber hilflos oder unbeholfen, denn ihr erster Zweck ist es ja nicht, Menschen zu helfen, ihre Ideen fair miteinander streiten zu lassen und einander fair zu informieren, sondern ihr erster Zweck ist es, Kohle zu machen.

Das ist die Crux dieser Medien. Einerseits gleichen sie Telefon und Funk, indem sie gleichsam neutrale Medien sind, wo jeder darf; andererseits prägen und gewichten sie mit ihren Algorithmen eben den Diskurs, indem sie ihn brutalisieren und verletzlicher machen, weil das Aufmerksamkeit maximiert und bessere Geschäfte ermöglicht.

Die einzige Alternative besteht also darin, sie wirklich zur neutralen Infrastruktur zu machen. Das heißt aber, sie vor den Interessen ihrer privaten Eigentümer zu schützen und diese zu enteignen (gegen Bezahlung naturgemäß).

Nur so kann eine Weltöffentlichkeit geschaffen werden, die den Fortbestand demokratischer Staatlichkeit sichert. Das wird noch ziemlich kompliziert.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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