I’m looking at Nadal, but I’m thinking of Thiem

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 744

Armin Thurnher
am 01.06.2022

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Es ist Paris, Roland Garros, Thomas Muster liegt dort auf dem Rücken im roten Sand, glücklich, weil er gerade das Finale gegen Michael Chang gewonnen hat. Erster Grand Slam Turniersieg eines Österreichers. In New York hat es ihm Thiem dann nachgemacht, in einer Nervenschlacht gegen Sascha Zverev.


Jetzt aber spielt die Nummer Eins der Welt, Novak Djokovic, gegen den 13maligen Sieger von Paris, Rafael Nadal. Djokovic ist klarer Favorit, Nadal war lange verletzt, wird vielleicht bald aufhören, möglicherweise ist es sein letztes Paris-Turnier. Er ist bloß der Favorit der Herzen.

Das erste Game: Nadal hat Breakbälle, schlägt einen schlechten Stopp, Djokovic kontert, aber Nadal antizipiert und schupft ihn ins Feld. Die Härte und Präzision der Grundschläge von Nadal führen am Ende zum Break.

Er gibt Druck, sagen die Kommentatoren, denn erstens ist es noch warm, die Bälle fliegen schneller; wenn es kühler und feuchter wird, ist der Djoker im Vorteil. Das Nachtspiel wurde also nicht zum Vorteil Nadals angesetzt. That a way to treat a friend?, fragte der Rekordsieger verdrossen.


Thiem, Dominic Thiem. Ich habe Spiele von ihm im Kopf, wie er die beiden einfach wegpowerte. Er schoss Djokovic vom Platz. Er war stärker als Nadal. Gut, nicht im Finale von Paris, aber nach einer klaren Niederlage beim ersten Mal war er beim zweiten Mal dem Sieg schon näher gekommen. Nach dem Gewinn der US Open riss es dann ab, er verlor in Paris gegen Diego Schwartzmann. Und dann kam die Handverletzung. Und Corona.


Im nächsten Aufschlagspiel zeigt Djokovic, wie schwer es ist, ihm den Aufschlag abzunehmen, mit einem As beendet er es zu null. 1:2

Nadal lässt ihn laufen, aber er wird immer stärker und beendet eine lange Rallye mit einem Rückhandlongline – Thiem konnte das wie keiner –, dann gleich 15:30 und auf zu schwachen Aufschlag zwei Breakbälle. Nadal wehrt beide ab, dann hilft ihm das Netzband, 3:1

Dann bringt Djokovic bei 15:30 einen genialen kurzen Backhandcrossschuss, nach langem Ballwechsel, sowas muss man sich trauen. Dann verschlägt er eine leichte Vorhand. Der erste Aufschlag kommt ihm zu selten, 45 Prozent (sonst 75), und Nadal haut einen Kraftvorhand longline auf die Linie, zweites Break.

Bei 4:1 setzt er einen nach dem anderen ins Out und ins Netz. Zu Null auf 5:1. Djokovic ist nervös, aber auch im Vorjahr gewann Nadal den ersten Satz und verlor. Jetzt ist Druck da, und Nadal verschlägt. 5:2


Ich wollte einmal einen einzigen Satz beschreiben, um die Entschlossenheit anzudeuten, mit der die beiden die längste Zeit besten Spieler der Welt auf einander losgehen. Tun sie natürlich nicht, sie gehen auf den Ball los, das ist es, was man im Tennis tun muss.


Nadal verschlägt gerade einen aufgelegten Ball am Netz, dafür pfeffert er eine Vorhand inside out ins Eck 15:15. Er serviert jetzt auf den Satz, und jetzt kommt ein Ballonball, den kanoniert Novak longline, dass er ihn nicht einmal berührt. Dafür klappt ein Rafa-Netzangriff. 30 beide. Er hat nicht zu viel Zeit. Es wird kühler in Paris. Dann trifft Novak einen Ballon mit der Rückhand nicht, der Ball fliegt weit ins Out, und auch der Return auf den ersten Aufschlag gurkt ins Netz. 6:2. Erster Satz Nadal.


Sie gehen auf den Ball los, nicht aufeinander, der Feind ist der Ball. Triffst du ihn auf diesem Niveau nicht genau, fliegt er irgendwohin. Dominic Thiem hat so eine Phase. Nach Krankheit und langer Reha nach seiner sehr komplizierten Handverletzung sieht man ihn auf der Tour und man sieht ihn nicht. Denn der Ball ist nicht mehr sein Freund, man merkt seine Angst, dass der Ball macht, was er will, und das überrascht den Dominic. Statt einer selbstvergessenen Entschlossenheit, mit der er ihn traf und Djokovic überpowerte, Medvedev und Zverev wegschoss, ist da eine an sich selbst denkende Unentschlossenheit, die deswegen so tückisch ist, weil zwischendurch einmal die alte Entschlossenheit da ist. Aber der Ball macht dann wieder etwas anderes und fliegt hoch ins Publikum, statt dass er von der Rückhand die Linie hinunterdonnert und dann wieder doch.

Man kann es nicht mitansehen, und er auch nicht. Er leidet jetzt irgendwo of Challenger-Turnieren, während Leute, mit denen er bei normalem verletzungsfreiem Verlauf seiner Karriere um Grand SlamSiege kämpfen würde, in Paris oder Wimbledon spielen. Ich wünsche ihm das Beste. Als Thomas Muster gegen seine Knieverletzung kämpfte, sah man Bilder, wo er auf einem Sessel sitzend schmerzverzerrt über seine Grenzen ging. Er hatte nicht einmal halb soviel Talent wie Thiem und schaffte es doch. Bei Thiem in seiner besten Zeit hatte man das Gefühl, er könne jederzeit zurückkommen und sei erst besiegt, wenn der letzte Ball geschlagen war. Der ist noch lange nicht geschlagen.


In Paris vergab Nadal nach 3:0 den zweiten Satz, hätte er den gewonnen, ja dann… Aber je später der Abend, desto niedriger die Temperaturen, Djokovic legte seine Unsicherheit ab, Nadal verlor seine Aufschlagssicherheit, und aus wars. Der Djoker zeigte auf seinen Kopf, damit hatte er den Ball besiegt. No way to treat a friend. Dachte man, als Nadal den zweiten Satz aus der Hand gab. Dann gewann er den dritten. Und schien den vierten wieder aus der Hand zu geben. Doch Novak hatte einen zweiten Gegner, in seinem Kopf. Den hat Nadal nicht. Deswegen gewann er, nach 4:12 Stunden, in der Kälte, fußverletzt, das macht ihn so unglaublich, Zwangsneurosen hin oder her, Linienabschreiten, Stirnband auf Kante Schlichten, Beutelkratzen, Schulter-Schulter-Backe-Backe-Nase-Berühren und endlos Ball päppeln – wegen seiner Beharrungskraft bewundern wir ihn und können mit ihm jetzt auf Nummer 14 hoffen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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