Sebastian Kurz schreibt ein Buch. Das Leben ist kein Investment-Fonds.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 740

Armin Thurnher
am 27.05.2022

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Sebastian Kurz kündigt an, er wolle ein Buch schreiben. Selbstverständlich nimmt niemand an, das sei wahr, und er würde so etwas selbst schreiben. Wann sind wir von der Vorstellung abgekommen, dass Politiker selbst etwas schreiben können? Sie flüchten sich in die Arbeit von Helferlein bei allem, was sie tun. Wenn sie ein Gesetz entwerfen, kommen die Legal Advisers ins Spiel. Schlagen sie etwas Wirtschaftliches vor, sind es die Wirtschaftsberater, selbstverständlich sind das die Leute der Wirtschaft, die wissen, wie man Profit macht. Kommunikationsberater stellen sich zwischen Politiker und Staatsvolk. Staatsberater, das waren einst Beamte, die gibt es für die neuen Hohlpolitiker nicht mehr.

Erkennen Sie das Problem? Menschen, die gewöhnt sind, alles zu delegieren, deren Beruf geradezu darin besteht, alles an andere abzugeben, woher sollen die dann wissen, was am Ende richtig ist? Woher bezieht ihre Entscheidung die Substanz? Sie können nichts entscheiden, denn sie haben keine.

Sebastian Kurz schreibt ein Buch, ohne ein Buch zu schreiben, er lässt ein Buch verfassen, von einer Buchverfassungsprofessionellen. Es ist die Conny Bischofberger von der Kronen Zeitung, eine gewiss adäquate Wahl, so neugierig sind wir aber auch nicht, dass wir eine große Geschichte daraus machen. Uns interessiert vielmehr das Phänomen der eigentümlichen Beziehungslosigkeit zum eigenen Tun, das sich in der Hybris ausdrückt, sich ein Buch machen zu lassen.

Ich zum Beispiel hatte einen Heidenrespekt vor meinem ersten Buch. Ich hatte immer davon geträumt, eines zu schreiben, und als es dann kam, war es anders, aber es war anstrengend und schön. Mein erstes Buch war eine Kompilation eigener Texte. Sie erschien unter dem Titel „Schwarze Zwerge. Österreichs Medienlandschaft und ihre Bewohner“ im Sonderzahl Verlag und versammelte viele meiner zum Thema Medien im Falter erschienenen Glossen.

Ich legte Wert darauf, dass diese Sammlung knapp aber doch vor dem Buch erschien, das beinahe zeitgleich im deutschen Eichborn-Verlag herauskam. Ein Gesprächsband mit Franz Vranitzy, dem österreichischen Bundeskanzler. Der deutsche Eichborn-Verlag hatte eine Reihe Bücher mit Staatschefs, ein Band mit einem Gespräch mit Vaclav Havel war erschienen, ebenso einer mit Richard von Weizsäcker. Da merkten die deutschen Kollegen, dass ihnen ein Sozialdemokrat fehlte, und Vranitzky hatte durch seine Haltung gegenüber Kurt Waldheim und dem Waldheim-Österreich, auch durch die Aufkündigung der Koalition mit der FPÖ, als Jörg Haider dort an die Macht kam, einiges an Reputation gesammelt, sodass ein Gesprächsband mit ihm in die Reihe zu passen schien.

Das Problem war dann ich. Ich kannte den Lektor, der die Reihe betreute, Albert Sellner, ein Kollege vom Pflasterstrand, einer Frankfurter Sponti-Zeitung, die, herausgegeben von Daniel Cohn-Bendit, auf lange Sicht die Regierungsbeteiligung der Grünen in Deutschland vorbereitete. So war Sellner auf mich verfallen, als Eichborn einen Interviewer für Vranitzky suchte. Für das Kabinett Vranitzky war ich eine bekannte Unbekannte, nicht steuerbar, das war klar; andererseits empfand man das Buch als Chance, europäische Beachtung zu erhalten (das Buch erschien 1992, Österreich war noch nicht in der EU). Also musste zuvor zumindest bei einem Lunch abgetestet werden, ob Vranitzky mit mir konnte. Das Essen verlief zu Zufriedenheit, und wir machten den Interviewband. Mehr davon vielleicht ein andermal.

Ich dachte daran, als ich hörte, Kurz schreibe ein Buch. Vranitzky schrieb damals kein Buch, aber wir saßen einander Stunden um Stunden am Ballhausplatz gegenüber und ich versuchte, ihn durch das gesamte Spektrum der Politik zu quälen, und er quälte sich mit mir und rang bedachtsam um Antworten; es sollte ja ein Buch werden, das empfanden wir beide als wichtig-gewichtig. Ich ging dann nach Hause und schrieb alles ab; er redigierte die Transkripte. Irgendwo habe ich sie aufgehoben, manchmal war er am Abend offenbar so müde, dass ihm die Füllfeder über den Rand des Papiers rutschte. Wir strengten uns beide bis zum Äußersten an.

Vranitzky brauchte keine Berater, die sein Urteil vorformulierten. Selbstverständlich hatte er welche. Auch suchte er den Diskurs, veranstaltete regelmäßig Runden mit Intellektuellen, in denen er selber mitredete, aber vorsichtig, nicht auftrumpfend; nicht auspresserisch oder auf den aktuellen Vorteil bedacht. Wie soll ich es sagen? Er hatte etwas in sich, an dem er sich orientierte; man hatte nicht das Gefühl, dass er alles nur von außen nahm. Um so weit zu kommen, hatte er hart an sich gearbeitet. Er kannte seine Defizite; an denen arbeitete er umso mehr.

Später schrieb er dann wirklich selbst ein Buch. Es war ihm wichtig, es selbst geschrieben zu haben, von Hand übrigens. Ich freute mich sehr, als er mich einlud, ihn bei der Präsentation auf der Bühne zu interviewen.

Wer wird Sebastian Kurz erklären, dass Bücher etwas Wichtiges sind, manchmal etwas Heiliges, jedenfalls etwas Bedeutendes, und man sie nicht einfach so in die Welt hinausbläst, indem man sich jemand anderes Fähigkeiten aneignet? In solchen Aneignungsversuchen merkt man die Überheblichkeit, die meint, sich alles abgreifen zu können, als wäre das Leben ein geiler Investment-Fonds. Und die nicht merkt, dass sie in diesen Aneignungsversuchen ins Leere greift und alles leer macht. So leer, wie sie selber ist.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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