Die Affenpocken – ein Affentheater? In keiner Weise. Aber Krisen begünstigen Infektionskrankheiten.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 735

Armin Thurnher
am 21.05.2022

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Müssen wir uns vor einer neuen Pandemie fürchten? Nein, sagt Epidemiologe Robert Zangerle. Er beobachtet die bis dato in Laienkreisen kaum bekannten Affenpockenseit zwei Jahrzehnten. Und nein, bei vernünftiger Bekämpfung, sprich gutem Contact Tracing und gut organisierten Behörden ist keine neue Pandemie zu befürchten, sagt er. Das gibt dann doch wieder zu denken. Lesen Sie selbst. A. T.

»All diese Infektionen, hört das denn jetzt nie auf? Durch Covid ist die Welt aufmerksamer geworden, und Berichte über Krankheitsausbrüche, die es schon immer gegeben hat, werden plötzlich wahrgenommen. Es gibt tagaus, tagein ständig Krankheitsausbrüche.  Affenpocken sind halt alles andere als neu, und schon seit Jahren wurde mit einer Zunahme von Ausbrüchen gerechnet, hier und hier. Deshalb auch nicht überraschend, dass hervorragende Information rasch zur Verfügung stand, hier und hier.

Andererseits war man doch über manche Entwicklung überrascht. So hat z.B. der dänisch-deutschen Herstellers Bavarian Nordic für den einzig derzeit zugelassenen Impfstoff gegen Pocken vor zwei Tagen an der Kopenhagener Börse einen Kurssprung um rund 30 Prozent verzeichnet. Das Unternehmen soll gestern einen Vertrag mit einem nicht näher genannten europäischen Land für die Lieferung eines Impfstoffs geschlossen haben.

Pocken, Blattern oder Variola, auch Pockenkrankheit, sind eine für den Menschen gefährliche Infektionskrankheit, durch Pockenviren (Orthopox variolae) verursacht. Ihre hohe Infektiosität und Letalität machten Pocken zu einer der gefährlichsten Krankheiten für den Menschen. Erst ein konsequentes Impf- und Bekämpfungsprogramm erreichte, dass am 26. Oktober 1979 die Welt von der WHO für pockenfrei erklärt werden konnte. Die routinemäßige Pockenimpfung wurde daraufhin eingestellt, seither beobachtet man vor allem zwei tierische Orthopoxvirus-Spezies, vor allem bei jungen Menschen, die keine Impfung gegen Pocken erhalten haben können: Das Kuhpocken– und das Affenpockenvirus können Krankheit sowohl bei Menschen als auch bei Tieren verursachen. Die Bezeichnungen der beiden Viren sind nicht angemessen und führen ein wenig in die Irre. Kinder bekommen das Virus häufiger, vermutlich weil sie intensivere Kontakte mit Tieren haben.

Es gibt aber auch seltene Berichte von an Vacciniavirus erkrankten Menschen. Wie das? Das Vacciniavirus ist doch der wirksame Inhalt des Lebendimpfstoffs gegen Pocken. Das soll noch in freier Wildbahn existieren? Ja, weil mehrere Staaten ihr Militär gegen Pocken impfen (USA, Israel, von Russland ist das ebenfalls anzunehmen). Derart Geimpfte können das Virus an Partner durch Schmierinfektionen weitergeben, darunter können sich auf Immungeschwächte befinden, die durchaus schwer erkranken können. Todesfälle sind in den letzten Jahrzehnten beschrieben worden.

Das Vacciniavirus ist eng mit dem Kuhpockenvirus verwandt (lateinisch vacca = Kuh). In der Vergangenheit wurden die beiden oft für ein und dasselbe gehalten. Im Jahr 1939 wurde gezeigt, dass Vacciniaviren und Kuhpockenviren unterschiedlich, aber immunologisch („serologisch“) ähnlich sind. Dies war damals überraschend und warf das knifflige Problem des Ursprungs und der Identität des Vacciniavirus auf. Der genaue Ursprung des Vacciniavirus ist aufgrund fehlender Aufzeichnungen nicht bekannt, da das Virus jahrzehntelang immer wieder in Forschungslabors gezüchtet und weitergegeben wurde.

Die Möglichkeit, Katzen- und Affenpockenviren „routinemäßig“ nachzuweisen, ist erst seit der großen Debatte um Bioterrorismus nach 9/11 entstanden, weil damals Gesundheitsbehörden in vielen Ländern, auch in Österreich, veranlasst wurden, einen „nationalen“ Pockenvirus-Alarmplan einzuführen. Klinische Wachsamkeit und eine genaue Diagnose waren und sind erforderlich, um verdächtige Orthopoxvirus-Erkrankungen zu erfassen, am leichtesten zu verwechseln sind sie mit Schafblattern/Windpocken (Varizellen), die Differentialdiagnose schließt aber auch Herpes und Syphilis mit ein. Und Erkrankungen durch das Vacciniavirus.

Kuhpockenviren wurden bisher nur in Europa nachgewiesen, von Nordeuropa und Großbritannien bis zum Ural. Als Wirtstiere gelten heute vor allem Nagetiere wie Mäuse. Zwei von hundert Katzen, die serologisch auf das Orthopoxvirus untersucht wurden, erwiesen sich als positiv und hatten sich vermutlich beim Verzehr von Mäusen infiziert.

Um noch etwas mehr Verwirrung über Namen der Viren und deren Wirte stiften, schieben wir einen Fallbericht von Kuhpocken ein: Ein 16-jähriger, sonst gesunder Junge ohne Anzeichen einer Immunschwäche entwickelte hohes Fieber (> 39 °C) und einen generalisierten pustulösen Hautausschlag mit einigen nicht eitrigen Bläschen, die eine charakteristische Nabelung aufwiesen, siehe Abbildung. Der Patient hatte keine Pockenimpfung erhalten, berichtete aber über Windpocken in der Kindheit. Drei Wochen zuvor hatte der Patient Kontakt zu einer kranken Hausratte, die kurz darauf verstarb. Der Junge war sich nicht bewusst, dass er gebissen worden war, aber er hatte sich gekratzt.

 

Die Laboruntersuchungen zeigten eine erhöhte Zahl an weißen Blutkörperchen und erhöhte Entzündungswerte (C-reaktives Protein und Blutsenkungsgeschwindigkeit). Das Röntgenbild der Lunge war normal. Die Elektronenmikroskopie („negative Stain“) von getrockneten Kratzern zeigte typische Orthopoxpartikel (Abbildung unten rechts), die sich morphologisch sich nicht voneinander unterscheiden (elektronenmikroskopisch kann man zwischen Kuhpocken-, Affenpockenviren, Vacciniaviren und den Viren, die die Pocken auslösen nicht unterscheiden). Kuhpocken-spezifische Antikörper wurden jedoch in hohen Titern gefunden. Der wirkliche Beweis aber wurde mit einer PCR geführt, bei der auch eine Infektion mit Affenpockenviren ausgeschossen werden konnte.

Kuhpocken-Infektionen sind insgesamt sehr selten, sie nehmen in den letzten Jahren aber zu. Unklar ist, ob dies primär auf eine gesteigerte Aufmerksamkeit der Ärzte zurückzuführen ist oder auf eine sinkende Immunität gegen die Viren, nachdem seit Ende der 70-er Jahre die Impfung gegen humane Pocken eingestellt wurde. Damit haben manche Wissenschaftler gerechnet, hier  und hier.

Nun zum Affenpockenvirus. Dieses wurde erstmals 1958 von Preben von Magnus als Erreger in Krabbenfresser-Makaken (Macaca fascicularis) in Kopenhagen identifiziert, die eine pockenähnliche Krankheit hatten. Daher der Name Affenpocken, obwohl diese Viren eigentlich in Nagetieren (dazu gehören auch Hörnchen, wie der amerikanische Präriehund – Ausbruch 2003 in den USA) vorkommen, und Affen eher als sogenannte Fehlwirte gelten. Kinder bekommen das Virus häufiger, vermutlich, weil sie intensivere Kontakte mit Tieren haben.

Affenpocken sind eine seltene Zoonose, die durch das Affenpockenvirus verursacht wird, das zur Gattung der Orthopoxviren gehört. Obwohl das natürliche Reservoir der Affenpocken unbekannt ist, können Nagetiere und nichtmenschliche Primaten das Virus beherbergen und Menschen infizieren. Außerhalb eines Labors wurde das Virus erstmals 1970 bei Menschen in der Demokratischen Republik Kongo festgestellt. Die Affenpocken sind heute in einigen zentral- und westafrikanischen Ländern endemisch und werden außerhalb Afrikas nur selten gemeldet. Eine Ausnahme war ein Ausbruch 2003 in den USA, ausgelöst durch Übertragungen mit Kontakt zu amerikanischen Präriehunden, später von Mensch zu Mensch übertragen. Die Präriehunde wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Kontakt mit afrikanischen Wildtieren infiziert, jedenfalls gab es zum Ausbruch einen Transport, wo Affenpockenvirus bei Gambiaratten, afrikanischen Streifenhörnchen und Schlafmäusen nachgewiesen wurde.

Im Mai 2022 wurden mehrere Fälle von Affenpocken in mehreren nicht endemischen Ländern wie Großbritannien, Portugal, Spanien, Italien, Schweden, Deutschland, Belgien, Israel, Australien, Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika festgestellt. Es sind Cluster fast immer ohne Reisegeschichte zu Afrika (aber mit einer solchen innerhalb eines Landes oder zwischen den Ländern) oder ohne direkten Kontakt zu infizierten Tieren.

Das Virus wird durch engen Kontakt mit Läsionen, Körperflüssigkeiten, Atemtropfen und kontaminierten Materialien von Mensch zu Mensch übertragen. Unwahrscheinlich ist eine Übertragung durch Aerosole. Zwar sind Aerosolexperten wie Linsey Marr diesbezüglich skeptisch, anderseits werden Aerosole bei den ausgestorbenen Pocken ins Spiel gebracht. Es bleibt auch ein Rätsel, warum viele Cluster Männer im Alter von 20 bis 50 Jahren umfassen, von denen viele Männer sind, die Sex mit Männern haben (MSM). Zwar ist nicht bekannt, dass Affenpocken sexuell übertragen werden, aber sexuelle Aktivitäten stellen sicherlich einen engen Kontakt dar.

Derzeit werden Studien durchgeführt, um die Einschleppung und rasche Verbreitung von Affenpocken in diesen Ländern besser zu verstehen. In diesem Zusammenhang wird die Bestimmung der Genomsequenz des Virus, das diese Infektionen verursacht, sicherlich dazu beitragen, die Epidemiologie, die Infektionsquellen und die Übertragungsmuster besser zu verstehen. Das ist gerade in Portugal geglückt, wo der erste Entwurf der Genomsequenz des Affenpockenvirus, das mit diesem großen Ausbruch in Verbindung steht, der mehrere Länder weltweit betrifft, veröffentlicht wurde.

Diese Sequenz wurde aus einem am 4. Mai von Hautläsionen eines männlichen Patienten entnommenen Abstrich gewonnen. Eine erste schnelle phylogenetische Analyse des Genom-Entwurfs deutet darauf hin, dass dieses zur westafrikanischen Gruppe („Clade“) gehört und am engsten mit jenen Viren verwandt ist, die mit der Ausfuhr von Affenpockenviren aus Nigeria in mehrere Länder in den Jahren 2018 und 2019 in Verbindung gebracht werden, nämlich nach Großbritannien, Israel und Singapur. Das sind vorläufige Daten, die in Kürze aktualisiert werden, sodass eine Klärung des Ursprungs und der internationalen Verbreitung des derzeit zirkulierenden Virus vielleicht möglich wird.

Es gibt zwei Möglichkeiten, um die weite Verbreitung des Affenpockenausbruchs zu erklären:

  • Es ist leichter von Mensch zu Mensch übertragbar geworden

und/oder

  • die Bedingungen waren genau richtig für eine weite Verbreitung

Derzeit gib es mehr Daten, die für Letzteres sprechen. Während der erste Entwurf der Genomsequenz aus Portugal noch eine Veränderung zu einer leichteren Übertragbarkeit möglich erscheinen ließ, spricht eine gestern bekannt gewordene vollständige Sequenzierung des Genoms des Affenpockenvirus eines belgischen Patienten dagegen: die Genomsequenz scheint mit einer Sequenz aus dem Jahr 2018 aus Großbritannien identisch  zu sein (die wiederum mit Nigeria in Verbindung steht).

Das schlösse eine evolutionäre Veränderung der Übertragbarkeit aus, aber Fragen über technische Details der Sequenzierung sind ungeklärt, weshalb abzuwarten ist, was weitere Sequenzierungen zeigen werden.

Zur Diskussion steht, dass ein oder mehrere Superspreading-Ereignisse in einem global vernetzten Sozialnetz den Ausbruch dominieren . Das könnte auch geschehen, selbst wenn der Reproduktionsfaktor insgesamt unter 1 liegt! Wichtige Zeiten für Contact Tracer, denen wir viel Erfolg wünschen.

Die Symptome der Affenpocken beginnen 5-21 Tage (durchschnittlich 6-16 Tage) nach der Exposition mit Fieber, Unwohlsein, Lymphknotenschwellungen und Kopfschmerzen. Es können auch atypische Symptome auftreten, wie z. B. das Fehlen von Fieber. Innerhalb von 1-5 Tagen nach den ersten Symptomen entwickelt sich ein Ausschlag, der häufig im Gesicht oder im Genitalbereich beginnt und sich dann auf andere Körperteile, insbesondere Arme und Beine, ausbreitet. Der Ausschlag entwickelt sich langsam von einem Fleck zu einem Bläschen oder Knötchen (eigentlich eine Mischung von beiden Läsionen), das sich nabelt und geschwürig werden kann, bevor es schließlich verkrustet, wie es auch der Fallbericht zu den Katzenpocken („Kuhpocken“) zeigt.

Es wird von den meisten Experten nicht erwartet, dass sich die Affenpocken zu einer weltweiten Pandemie ausweiten, die lange Inkubationszeit sollte das bei sorgfältigem Contact Tracing verhindern. Ärzte und diagnostische Labors sollten dennoch vorbereitet sein. Zumindest hat Österreich einen Pockenalarmplan, er wurde bereits mehrfach in der Seuchenkolumne erwähnt. Deshalb hier im Original ein Reprint eines Texts vom Dreikönigstag 2021, der diesen Alarmplan im Zusammenhang mit den drastischen Covid-19-Pannen setzt:

„Die Verantwortung zu Ischgl („pronounce: Ish-gul“) wird ebenfalls sehr kontrovers diskutiert: Von ,Haben alles richtig gemacht bis Gefängnis, alles zu vernehmen. Ich wollte mich dazu nie äußern, aber ein ,Zangerle muss sich irgendwann Ish-gul schon stellen, ist doch der Urgroßvater von dort übers Zeinisjoch nach Partenen gezogen. Wer hat zu Beginn des Ausbruchs in den ersten Märztagen mehr Verantwortung, Bund oder Land? Dazu muss ich weit ausholen und Ihnen über einen schleichenden Ausbruch von Legionellose (Legionärskrankheit) in einem Tiroler Dorf berichten.

Die Legionellose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die meist Lungenentzündungen hervorruft und über temperiertes Wasser (25-50°) via Tröpfchen und Aerosole und nicht von Mensch zu Mensch, aber meist in Hotels, Krankenhäusern und anderen Institutionen übertragen wird. Sie hat eine Inkubationszeit, bei der man im Mittel nach 6 Tagen erkrankt, sodass sehr häufig die Betroffenen (Urlauber!) zum Zeitpunkt der Erkrankung bzw. dann wenn die Erkrankung sie zum Arzt führt, nicht mehr am Ansteckungsort verweilen. So spielte es sich auch über Jahre in einem kleinen Tiroler Dorf ab, wo es lange brauchte, vor allem neu aufgebauter über Europa verstreuter Netzwerke bedurfte, die solche Meldungen zusammen trugen. Dieser Erfolg wurde 2004 in Lancet publiziert, mit der Forderung nach prinzipiell nationaler Kontrolle von Ausbrüchen. In dieser Arbeit standen aber noch andere interessante Einschätzungen, die wenn ich mich nicht täusche, immer noch gelten.

Übersetzung (Auszug aus dem Lancet Letter): „Obwohl die örtlichen Gesundheitsbehörden vom Nationalen Referenzzentrum sofort über jeden einzelnen Fall informiert wurden, erreichte die offizielle Mitteilung über diesen Ausbruch der reisebedingten Legionellose weder die allgemeine Bevölkerung noch den örtlichen Arzt oder das Krankenhaus, das dieses Touristendorf versorgt. Allerdings wurde von der Gemeindeverwaltung ein Flugblatt an alle Privathaushalte verschickt, in dem darüber informiert wurde, dass am 2. Dezember 2002 „nach Abschluss umfangreicher Reparaturarbeiten“ eine Chlorierung des Wassersystems des Dorfes als allgemeine Desinfektionsmaßnahme erforderlich sei. Auf lokaler Ebene – z. B. in einem kleinen Dorf, dessen Haupteinkommensquelle der Tourismus ist – könnten Interessenkonflikte ein unüberwindbares Hindernis für die Durchführung geeigneter Ausbruchskontrollen darstellen.

Ein Ausbruch ist also eine nationale Angelegenheit, und man musste lange vor den ersten Märztagen damit rechnen, dass Meldungen von rückkehrenden Urlaubern zu Beginn eines Ausbruchs eintreffen und dass solche Meldungen von eminenter Bedeutung sein werden, einerseits ganz allgemein für die Prävention und andererseits für die Unterbrechung von Infektionsketten.

In der Nacht vom 4. auf den 5. März 2020 gab es dann die Warnung aus Island über das europäische Early Warning Report System (EWRS). Die Bundesregierung, zuallererst natürlich das Gesundheitsministerium, hätte also spätestens am 5. März die Pflicht gehabt (meine Laienmeinung sagt, auch die juristische Pflicht), die Bevölkerung aufzuklären, zumindest darüber, dass es einen starken Verdacht gibt, dass sich Urlauber während des Skiurlaubs mit SARS-CoV-2 in Ischgl angesteckt haben und dass deshalb auch Rückkehrer aus Ischgl auf SARS-CoV-2 getestet werden sollen, wenn sie Symptome aufweisen. Das blieb wegen ausbleibender Handlung der Regierung jedoch praktisch unerlaubt. Auch das ist skandalös, für Beteiligte in Tirol könnte es jedoch juristisch einen Freibrief bedeuten. Wir witzelten, ,liegt Ischgl nicht in der Lombardei?‘, weil dann nämlich das Testen möglich gewesen wäre. Jedenfalls war mir das am 5. März klar (bis dahin hatte ich mich wenig mit Covid-19 beschäftigt!) und ich informierte noch praktizierende Freunde in Deutschland darüber.

Einer schrieb mir am 10.3. zurück, dass er eine Ärztin betreue, die sich nach allem Ermessen in St. Anton angesteckt haben muss. Sehr irritiert über fehlende Informationen und das Nichthandeln informierte ich am 11. März eine Tageszeitung, dass mindestens drei Länder rückkehrende Urlauber aus zwei Orten mit Covid-19 identifizierten (Dänemark hatte an diesem Tag die Reisewarnung von Ischgl auf ganz Tirol ausgedehnt) und dass es gälte, SOFORT alle Après Ski Lokale Österreichs zu sperren.

Das Wissen um Gefahren durch Pandemien ist selbstverständlich zentral in größerem Ausmaß vorhanden als in der Peripherie. Und Epidemiologen war auch die Gefahr von Interessenskonflikten vor Ort klar. Niemand erwartet medizinisches Wissen von einem Hotelier. Es ist eher amüsant, wenn der Ischgler Hotelier Günther Aloys meint, Covid-19 sei ,nichts anderes als eine Grippe, die für die allermeisten nicht tödlich ist‘ . Wir erwarten von einem Hotelier in Grado auch nicht, dass er uns den Unterschied zwischen Hepatitis A und B erklärt.

Weniger amüsant finde ich schon, dass der ORF einen solchen Ahnungslosen mit seiner medizinischen Einschätzung zitiert, ohne fachliche Kommentierung durch Expertise. Der ORF, ein Verlautbarungsorgan von Hoteliers? In der ganzen Häme der Medien gegen den Habe-alles-richtig-gemacht-Landesrat Bernhard Tilg wurde die wesentlich höhere Verantwortung der Bundesregierung außer Acht gelassen. Manche Medien, offensichtlich auf der Suche nach Schuldigen, überhöhten den Einfluss der ,Adlerrunde‘ massiv, als ob Liftbesitzer oder Teilhaber von Bergbahnen einen Verein wie die Adlerrunde bräuchten. Weder Peter Schröcksnadel (Teilhaber mehrerer Skigebiete), noch die Firma Fröschl (Axamer Lizum), noch gar der größte private Liftbetreiber Österreichs, Heinz Schultz sind Mitglieder der Adlerrunde. Immerhin hat schon ein Landesrat zurücktreten müssen, weil er günstig in einer Penthouse-Wohnung von Heinz Schultz in der Innsbrucker Innenstadt wohnen durfte.

Bis auf eine Ausnahme scheint bei der Bundesregierung nicht ernsthaft nachgefragt worden zu sein: ,Wenig gesprächsbereit zu diesem neuen Fall zeigte sich die Kommunikationschefin des grünen Gesundheitsministers. Mit den Worten ,da ist die Landessanitätsdirektion Tirol zuständig, wurde das Telefon aufgelegt‘. Die eigenartigen Meldungen dazu aus Tirol – ,vermutlich im Flugzeug angesteckt‘ – hätten umgehend einer fachlichen Korrektur von Seiten der Bundesverwaltung bedurft.

Reichte der schon 2004 beschriebene Interessenskonflikt in der Ausbruchsbekämpfung bis in die Bundesregierung? Oder war das der Moment, wo Minister Rudolf Anschober nichts sagte, weil seine aus Vorgängerrregierungen ,geerbten‘ Spitzenbeamten ihn unzureichend informierten, gar hintergingen, er sich damit aber unauflösbar so verstrickte, sodass er in der Folge zwangsläufig dann oft nichts sagen konnte, wenn es brenzlig wurde? Im Gesundheitsministerium sind immer wieder bizarre Dinge passiert. Hier beispielhaft so ein ,bizarres Ding‘: Die Mutter aller Masterpläne schlechthin dort stammt irgendwie immer noch vom ,Pockenalarmplan‘. Sie erinnern sich sicherlich an die Anthrax-Anschläge unmittelbar nach 9/11. Diese zogen eine enorme Welle an Bioterrorismus-Initiativen nach sich und mussten selbst als Grund für den Irakkrieg 2003 mit herhalten, obwohl sie von Mitarbeitern der US-Armee initiiert worden waren. Der juristische Beweis dafür konnte wegen Suizid des Hauptbeschuldigten nicht erbracht werden.

Die folgende weltweite Massenhysterie erreichte auch unser Gesundheitsministerium, wo der damals von der FPÖ bestellte Sektionschef das mit großer Begeisterung aufnahm und sogleich die Ausarbeitung eines ,Pockenalarmplans‘ in Gang setzte. Das passierte in anderen europäischen Ländern auch, dort wurde aber weniger Energie aufgewendet, offensichtlich sind dort weniger Beamte diesem Drang der Militärs und Geheimdienste dermaßen erlegen. Pocken sind die erste und immer noch einzige gezielt eliminierte Infektion, aber Pockenviren werden immer noch in Beständen der US- und russischen Armee konserviert. Wissenschaftler rufen weltweit alle paar Jahre in einem Moratorium zur Vernichtung dieser Bestände auf.

Wieso ich das erzähle? ,Das ist ein bewährtes Modell, das wir auch in Sachen SARS verwendet haben. Allerdings müssen wir natürlich auf die speziellen Charakteristika der Influenza eingehe‘, so erläuterte das Ministerium seine Antwort auf die Vogelgrippe und Influenza. Die viel wichtigere Ausarbeitung eines Grippe-Pandemieplans geschah im Vergleich dazu auf Sparflamme. Was ist ein Grippe-Pandemieplan wert, wenn Hotspots wie Après-Ski-Lokale unerkannt bleiben? Ein Grund sei noch angeführt: Niki Romani’s Expertise am Elektronenmikroskop zur Diagnose der nicht mehr vorkommenden Pocken war gefragt und als diagnostisches Labor für die Erkennung von Pocken im Plan vorgesehen. Es gelang so, das alte, reparaturanfällige Elektronenmikroskop für eine lange Zeit wieder funktionstüchtig zu bekommen, und endlich kam Niki in direkten Kontakt mit dem berühmten HIV-Elektronenmikroskopiker Prof. Gelderblom (übrigens vom RKI), dessen Kommentar Sie auf dem Abbild eines harmlosen Kuhpockenvirus lesen können.

Wenn man das alles Revue passieren lässt, kann man kaum glauben, wer da alles vor diesen Karren gespannt wurde und welche Blüten zu beobachten waren. In 20 Jahren sollte man nicht so auf unsere Reaktionen auf Covid-19 zurückschauen müssen.“

P.S.: Man kann es wohl nur als Fehler ansehen, einer Pandemie mit 9 Landesräten und 9 Landessanitätsdirektionen zu begegnen und auf internationale Absprachen weitgehend zu verzichten.

P.P.S: Der Krieg beeinflusst die Einschätzung der Pandemie maßgeblich. Corona ist nicht die einzige Infektionskrankheit, die unter Kriegsbedingungen massiv zulegen kann. Die Ukraine und Russland sind beispielsweise auch klare Hot Spots resistenter Tuberkulosebakterien. Je länger der Krieg dauert, umso gefährlicher werden auch die Folgen dieser Krankheiten sein.« R. Z.


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Ihr Armin Thurnher

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