Finanzkapitalismus ade! An den Trainern erkennst du die Zeiten.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 734

Armin Thurnher
am 20.05.2022

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Als ich gestern schrieb, ich sei müde, lag das wohl, wie ich erzählte, an der Gartenarbeit. Der Frühling bricht mit Wucht über das Waldviertel herein, während woanders schon der Sommer sommert. Ich war aber, ich gebe es zu, auch ein wenig müde, weil ich das Finale der Europa League ansah, ansehen musste, denn es war die Frankfurter Eintracht, trainiert vom Österreicher Oliver Glasner, ehemals Profifußballer des SV Ried, als Trainer sozialisiert in der Red-Bull-Welt von Salzburg, aber wie Adi Hütter, sein Vorgänger bei Frankfurt, vom Mateschitz-Imperium abgenabelt.

Hütter war mit Frankfurt ebenfalls in der Europa League so erfolgreich, dass Borussia Mönchengladbach für ihn eine Transfersumme zahlte (7,5 Millionen Euro), um ihn aus dem Frankfurter Vertrag zu lösen. Tragischerweise wurde Hütter in Mönchengladbach nach einem Jahr wegen Erfolglosigkeit entlassen, er erreichte nur den zehnten Platz statt der erwarteten Champions League Qualifikation. Zur Tragik kam die Ironie, denn die Entlassung erfolgte drei Tage vor dem größten Sieg seines Nachfolgers.

Glasner, der in Frankfurt einen schwierigen Beginn hatte, gewann mit Frankfurt das Finale gegen die Glasgow Rangers denkbar knapp im Elfmeterschießen; Torwart Kevin Trapp verhinderte mit unglaublicher Fußabwehr in der 118. Minute die Entscheidung zugunsten der Rangers und hielt dann ebenfalls mit Fußabwehr einen mitten aufs Tor gedonnerten Elfer des Ex-Arsenal und Juventus-Stars Aaron Ramsey.

Die Frankfurter, bei denen der in Frankfurt üblicherweise mit „Hinti-Hinti“-Chören gefeierte Martin Hinteregger, österreichischer Nationalspieler, verletzt fehlte, donnerten und knallen ihre Elfer gnadenlos links und rechts via Innenstange ins Tor; den entscheidenden Elfer schoss der Kolumbianer Rafael Borré mit Vollspann ins linke Kreuzeck.

Diese Entschlossenheit, diesen Willen im Rahmen taktischer Disziplin zu entfachen und in angriffsfrohem Fußball auszudrücken, war schon Hütter gelungen; Glasner vollendete Hütters Werk und trieb es noch weiter. Der Mann mit dem Charisma eines Religionslehrers an einer Schule für höhere Töchter wurde von der spanischen Sportzeitung As „in den Olymp der großen Trainer“ eingewiesen. Dass wir Österreicher damit nun auch irgendwie Europa League Sieger sind, versteht sich.

Der Frankfurter Sieg löste eine unglaubliche Euphorie aus; Zehntausende feierten in Sevilla, noch viel mehr in Frankfurt, wo Fans die Übertragung im vollen Waldstadion verfolgten und dann die Innenstadt übernahmen. Der Ausnahmezustand wird ein paar Tage lang anhalten.

Selbst die nüchtern-konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung fand nach diesem Supermatch zweier – verglichen mit den Superclubs – „Durchschnittsvereine“ zu kapitalismuskritischen Tönen:

„Viel mehr kann der Fußball nicht leisten, auch nicht im Champions-League-Finale am 28. Mai in Paris zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool. In diesem Endspiel stehen sich ebenfalls zwei Vereine mit einer großen, langen und ruhmvollen Vergangenheit gegenüber.Doch in der Gegenwart sind Real und die Reds eher Synonyme für den modernen Wahnsinn als für alte Werte. Sie finanzieren Glanz und Gloria durch horrende Ausgaben, die durch den spanischen Staat (Steuer- und Immobiliengeschenke) oder im Fall von Liverpool durch eine amerikanische Investorengruppe gedeckt sind.Der Fußball-Geschäftsbetrieb gibt solche Summen nicht her. Das extern zugeführte Geld, ob durch Staatsregierungen, Investorenanleihen, Großkonzernen oder Oligarchen hat nicht zum Reichtum der damit gesegneten Klubs gesorgt, sondern wegen ihres übersteigernden Konkurrenzdenkens untereinander zu einem völlig überhitzten Markt, der nur nach immer mehr frischem Kapital schreit.

Den Hunger dieser Superklubs zu befriedigen hat den Fußball zu einer Zerreißprobe geführt. In Sevilla wurde deutlich, dass die Wurzeln des traditionell finanzierten Fußballs im Moment kräftig genug sind, um von den Superklubs nicht einfach herausgerissen zu werden, falls sich diese doch noch in einer Super League selbständig machen sollten.“

Jetzt geht’s dem Kapitalismus endgültig an den Kragen! Und daran ist Oliver Glasner schuld. Den Titel „An den Trainern erkennst du die Zeiten“ habe ich übrigens dem großartigen in Innsbruck lebenden Lyriker Christoph W. Bauer geklaut, der jüngst den Band an den hunden erkennt ihr die zeiten herausbrachte. Glasner, der Mann der entschlossenen taktischen Disziplin, jeder Megalomanie und jedem Wahnsinn abgewandt, wohlerzogen und softspoken, klug und rücksichtsvoll, ist das genaue Gegenbild des anderen olympischen österreichischen Trainers, Ernst Happel. Der war mürrisch, unumgänglich unzugänglich und verrückt. Genial und das Gegenteil von brav. Sein Geld trug er ins Casino. Ein Mann es exzentrischsten Casinokapitalismus. Mit Glasner kehrt die Normalität zurück, wenn wir denn an den Trainern die Zeiten erkennen.

Ich fürchte nur, am 28. Mai ist das alles vergessen, denn dann spielt David Alaba mit Real Madrid gegen den von Jürgen Klopp trainierten FC Liverpool. Wenn es seine Adduktoren zulassen. Die Trainer der beiden Vereine sind nicht uninteressant. Schaumamal, was wir an ihnen erkennen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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