Paxlovid wirkt gegen Corona. Hervorragend. Aber Rückfälle kommen vor – was nun?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 729

Armin Thurnher
am 14.05.2022

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Hier schildert Epidemiologe Robert Zangerle, was wir über die Wirkung des Medikaments Paxlovid wissen, und warum es nach fünf Tagen zu Rückfällen und zu Neuinfektionen kommen kann. Wenn Sie diesen Text gelesen haben, wissen Sie alles über Medikamente gegen das Coronavirus. Das heißt: alles, was wir derzeit wissen. Das ist nicht wenig, aber nicht alles. A. T.

»Dass man „mit dem Coronavirus nun leben kann“ und deshalb die „Rückkehr zur Normalität“ ansteht wird auch damit begründet, dass jetzt die „Werkzeuge“ zur Verfügung stünden, die Pandemie zu kontrollieren. Dabei wird nicht nur außer Acht gelassen, dass Impfstoffe allein nicht helfen, dazu bräuchte es nämlich viel mehr der Impfungen, sondern dass es viele Menschen gibt, denen diese Werkzeuge nicht zur Verfügung stehen oder denen sie wenig helfen (z.B. Immunsupprimierte). Das aber, und ein dementsprechendes Verhalten ist alles andere als neu, wird entweder ausgeblendet oder durch allgegenwärtige Botschaften von Bildern (Seitenblicke Events mit Promis & Politik) verschleiert. Bei vielen Krankheiten geschieht dies seit Jahrzehnten, ist halt die „globale Community“. Beispiele? Tuberkulose, Malaria, HIV, Dengue.

Dennoch, seit einiger Zeit nun gibt es tatsächlich ein hilfreiches und gut wirksames „Werkzeug“, nämlich Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid). Da sich aber in Österreich im Augenblick alle auf den „Herbst“ vorbereiten, ist der öffentlichen Aufmerksamkeit ganz entgangen, dass bei einigen Personen, die gegen Covid mit Paxlovid behandelt werden, wenige Tage nach Beendigung der Behandlung ein Krankheitsrückfall auftritt. Dabei handelt es sich sowohl um ein Wiederauftreten der Symptome, als auch um neuerlich positive Tests auf SARS-CoV-2. Vorerst gibt es aber wenig Fundiertes, ein erster Fallbericht (Preprint) zeigt, dass ein Rückfall mit einem sehr niedrigen CT („Cycle Threshold“) Wert bei einem PCR assoziiert sein kann, was eine hohe Viruslast bedeutet und vermutlich neuerliche Infektiösität bedeutet.

Ein illustrativer Fallbericht dazu: Ein 71-jähriger, 3x geimpfter Mann mit intermittierendem Asthma hatte eine Hochrisiko-Exposition (Tag -2). Am nächsten Tag (Tag -1) am Morgen war die PCR negativ, aber am Abend entwickelte sich ein leichter Schnupfen, und der Antigentest (Abbott) war am nächsten Morgen (Tag 0) positiv. Die Symptome entwickelten sich am Tag 0 rasch zu Halsschmerzen und zunehmender Rhinorrhoe (laufende Nase), Schnupfen, Asthma, Husten, Müdigkeit, Unwohlsein, Schüttelfrost und Fieber von 38,4 °C. Die orale Einnahme von Paxlovid wurde um 15 Uhr an Tag 0 begonnen und alle 12 Stunden bis zum Morgen des Tag 5. Die Symptome verbesserten sich rasch nach Beginn der Paxlovid-Behandlung, mit nur leichtem Schnupfen und Asthma an Tag 1 und vollständiger Auflösung der Symptome an Tag 2. Am 9. Tag noch in der Isolation (immer noch oft fälschlich als Quarantäne bezeichnet) , als er noch isoliert war, entwickelte er typische Erkältungssymptome mit Rhinorrhöe, Halsschmerzen, Schnupfen und Asthma, Die Symptome erreichten am 10. Tag ihren Höhepunkt und verschwanden am 12. Tag.

Die RT-PCR-Zyklusschwelle und die Antigentests schwankten parallel zu den Symptomen, und es gab zwei deutliche Spitzen der Viruslast und der Symptome an Tag 1 und Tag 9 (Abbildung). Die Untersuchung auf Atemwegserreger an Tag 10 war positiv für SARS-CoV-2 und negativ für 21 andere Atemwegserreger.

Die Sequenzierung des viralen Genoms an den Tagen 1, 7 und 11 zeigte Identität für die Omikron-Subvariante BA.1, und bewies somit, dass also der Rückfall nicht auf eine behandlungsbedingte Mutation oder eine Infektion mit einer anderen Subvariante zurückzuführen war. Die Antikörperreaktion war gut (Anti-Spike war am 13. Tag stark positiv und Anti-Nukleokapsid lag am 14. Tag bei 0,51 und am 21. Tag bei 1,93 (als positiv gilt ein Index von >1,4).

Behandelnde und deren Patienten sollten also beachten, dass es nach Abschluss einer frühzeitigen wirksamen Behandlung mit Paxlovid zu einem Rückfall der Covid Symptome kommen kann. Die Therapie mit Paxlovid wurde am ersten Tag der Symptome begonnen, nur einen Tag nach einer negativen PCR. Die Wiederaufnahme der SARS-CoV-2-Replikation nach Abschluss der 5-tägigen Paxlovid Therapie wird als Auslöser für das neuerliche Auftreten der Erkältungssymptome gesehen, die vermutlich immunvermittelt sind. Zum Zeitpunkt des neuerlichen Auftretens der Erkältungssymptome wurden keine anderen Atemwegsviren identifiziert. Die Antigentests stimmten mit den PCR-Ergebnissen, wie beschrieben, gut überein und sie könnten sich deshalb bei der anfänglichen Bewertung von wiederkehrenden COVID-19-Symptomen nach einer PAXLOVID-Behandlung als hilfreich erweisen.

Impfung und Auffrischungsimpfungen bieten nur einen bescheidenen Schutz gegen symptomatische Infektionen mit der Omikron-Variante; daher kann die Entwicklung einer Immunität gegen besondere („unique“) Omikron-Epitope notwendig sein, um das Omikron-Virus zu beseitigen, selbst bei geimpften Personen. Die Immunität nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 (wie auch gegen andere Viren) entwickelt sich über einen längeren Zeitraum. Sie wäre deshalb sicherlich besser entwickelt und stärker, wenn Paxlovid beispielsweise erst am Tag 10 und nicht schon nach 5 Tagen enden würde. Dieser Fallbericht deutet darauf hin, dass eine sehr frühe Behandlung mit Paxlovid die virale Replikation (Vermehrung) vorübergehend unterdrücken kann, bevor die Antwort des Immunsystems ausreicht, die Elimination von SARS-CoV-2 abzuschließen.

In den letzten Wochen stellte sich heraus, dass diese Rückfälle nach der Paxlovid-Behandlung durchaus vorkommen. Der bekannteste Fall ist nicht der vorige Fallbericht, sondern der Rückfall bei David Ho, einem erfahrenen Virologen, der das Aaron Diamond AIDS Research Center (ADARC) leitet, das 1996 der Rockefeller University angegliedert und nun Teil der medizinischen Fakultät der Columbia University in New York ist. David Ho ist im Augenblick bekannt für seine Arbeiten über die Beurteilung der Wirksamkeit von therapeutisch verabreichten monoklonalen Antikörpern bei den Omikron Varianten. Spoiler: In Europa aktuell nur EVUSHELD (nur als Prä-Expositions-Prophylaxe zugelassen!) Vor 25 Jahren war David Ho einer größeren Öffentlichkeit bekannt, weil ihn das Time Magazine Ende 1996 zum Man of the Year  erkor.

Einige Forscher befürchteten damals, dass diese hohe Auszeichnung, bekannt für ihren harten Wettbewerb und hitzige Auseinandersetzungen, unnötige Spaltung in der AIDS Forschung nach sich ziehen könnte. Dem war aber nicht so. Im klinischen Bereich war David Hos Gruppe an vorderster Front an den Studien beteiligt, die zeigten, dass Protease Inhibitoren, eine damals neue Klasse von Anti-HIV-Medikamenten, die HIV-Konzentration im Blut bei vielen Patienten für mehr als ein Jahr auf nicht nachweisbare Werte senken können, wenn sie in Kombination mit zwei anderen Medikamenten eingesetzt werden. Das Ho-Labor hat auch bahnbrechende Studien darüber durchgeführt, wie schnell sich HIV repliziert und wie lange Medikamente brauchen, um das Virus zu dezimieren.

David Ho sagte, er sei am 6. April an Covid erkrankt, einen Tag nachdem er von einer medizinischen Konferenz in Paris zurückgekehrt war. Sein Arzt verschrieb ihm Paxlovid, und innerhalb weniger Tage nach der Einnahme verschwanden seine Symptome, und die Tests waren negativ. Doch 10 Tage nach der ersten Erkrankung kehrten die Symptome zurück, und seine Tests fielen zwei weitere Tage lang positiv aus. Ho sagte, er habe sein eigenes Virus sequenziert und festgestellt, dass beide Infektionen vom selben Stamm stammten, was bestätigte, dass das Virus nicht mutiert und gegen Paxlovid resistent geworden war. Bei einem zweiten Familienmitglied, das etwa zur gleichen Zeit erkrankte, traten nach der Paxlovid-Behandlung ebenfalls wieder Symptome und Viren auf, so David Ho. „Das hat mich sehr überrascht, bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie von solchen Fällen gehört“, so David Ho.

Die Forscher von Pfizer beobachteten solche Rückfälle in der Zulassungsstudie EPIC-HR in 2% der behandelte Fälle und meldeten dies der Food and Drug Administration (FDA). Diese Beobachtung fand aber weder Eingang in die Veröffentlichung im The New England Journal of Medicine, noch in die Fachinformation. Stattdessen wurde sie kurz auf der 23. von insgesamt 120 Seiten eines Dokuments der FDA zitiert, das nur wenige Ärzte lesen. Weder die Fachinformation der European Medical Agency (EMA)  noch der ausführliche 170-seitige Bericht geht darauf ein.

Nirmatrelvir, die wirksame Substanz in Paxlovid, hemmt die Hauptprotease (Mpro). Proteasen spalten Eiweißmoleküle und schaffen in der Wirtszelle auf diese Weise die passenden molekularen Eiweißbausteine zum erfolgreichen Zusammenbau eines, z.B. HI Viruspartikels, oder in unserem Fall, des SARS-CoV-2 Viruspartikels. Werden diese Proteasen medikamentös gehemmt, können die Viren nicht mehr fertiggestellt und produziert werden – siehe Erfolg der modernen HIV/AIDS Medikamente. So auch im Falle von Paxlovid. Nirmatrelvir ist viralen Eiweißmolekülen nachgebaut, weshalb man sie peptidomimetische Inhibitoren (Peptide sind kleine Eiweißmoleküle) nennt. Es setzt sich in die Spaltungsstelle („aktives Zentrum“) der Protease, „besetzt“ sozusagen diesem Platz, und damit kann diese Protease nicht mehr, wie sie eigentlich soll (aus Sicht des Virus), die viralen Eiweiße spalten. Mutationen an der Spaltungsstelle des Protease Gens können vorkommen, man spricht dann von Polymorphismen dieser Lokalisation. Bei neuen Medikamenten, gar neuen Viren ist die Bedeutung dieser Polymorphismen (Mutationen) unklar. Relevant werden diese Mutationen, wenn dadurch im Eiweiß eine Aminosäure ausgetauscht wird, z. B. am Codon 260 der Mpro, wo ein Austausch von Alanin entweder durch Valin (A260V) oder Threonin (A260T) bei Probanden mit Paxlovid, aber nicht bei Probanden mit Placebo beobachtet wurde. A260T/V könnte also eine mögliche Paxlovid-assoziierte Mutation sein, hier  und hier. Potentiell ist dabei vorstellbar, dass dadurch das Nirmatrelvir nicht mehr in die Spaltungsstelle hineinpasst und die Wirksamkeit des Medikaments verloren geht. In diesem Fall ist jedoch die mögliche Auswirkung einer der beiden Aminosäurenmutationen auf eine die Resistenz unklar, da bei keinem dieser Patienten ein Nichtansprechen auftrat. In einem biochemischen Assay mit rekombinantem Mpro, das A260V exprimiert, wurde ebenfalls keine Verringerung der Paxlovid-Empfindlichkeit beobachtet. Dies gilt auch für die Protease-Substitutionen D153Y, Q107X und die Spaltstelle T6449I, die bei jeweils zwei mit Paxlovid behandelten Patienten auftraten, wobei bei keinem dieser Patienten TF auftrat. Das spricht für eine robuste Wirksamkeit von Paxlovid.

Pfizer, der Hersteller von Paxlovid, hat der FDA Messungen über den Verlauf der SARS-CoV-2-Virusmenge in Abstrichproben zur Verfügung gestellt. Im Allgemeinen findet sich kein Unterschied im Abfall der Virusmenge zwischen den mit Paxlovid behandelten Probanden mit und ohne einer der oben genannten potenziell resistenzassoziierten Aminosäuresubstitutionen. Bei mehreren Probanden schien es – ungeachtet der potenziellen Resistenz-assoziierten Substitutionen – zu einem Wiederanstieg der SARS-CoV-2-RNA-Werte zu kommen.

Nach Angaben von Pfizer, konfrontiert mit den Fallberichten, war die Rate der Rückfälle bei denjenigen, die Paxlovid erhielten, nicht höher als bei den Placebo-Empfängern (jeweils etwa 2%). Es stellen sich derzeit viele Fragen:

  • Wie häufig treten diese Rückfälle wirklich auf? Gibt es einen Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften?

  • Was sind die Risikofaktoren? Könnte es sein, dass diejenigen mit einer hohen Ausgangsviruslast/niedrigen Zyklusschwellen ein höheres Risiko für einen Rückfall haben? Menschen, die stark immungeschwächt sind? Älter sind? Bei Omikron häufiger als bei Delta (in der Paxlovid Zulassungsstudie befanden sich fast nur Patienten mit der Deltavariante)

  • Behindert eine frühe Behandlung mit Paxlovid die Entwicklung der Immunantwort? Muss das Immunsystem eine bestimmte Konzentration viraler Antigene wahrnehmen, um eine ausreichende Elimination zu gewährleisten? Oder handelt es sich bei denjenigen, die einen Rückfall erleiden, nur um eine Untergruppe von Menschen, die von Anfang an eine verlängerte virale Ausscheidung hatten?

  • Muss man davon ausgehen, dass Menschen, die einen Rückfall erleiden, wieder ansteckend werden? Das ist zwar wahrscheinlich, aber es würde ich lohnen, das in einem Forschungslabor zu beweisen, dass die Viren beim Rückfall genauso replikationsfähig sind wie die Viren vor der Behandlung.

  • Entwickelt das Virus während dieser 5-tägigen Behandlung eine Resistenz? Bislang wurde dies trotz eingehender Untersuchungen nicht berichtet. Irgendwann scheint dies jedoch unvermeidlich zu sein, so dass es sich lohnen würde, danach intensiv zu suchen, wiederum im Rahmen einer Forschungsstudie.

  • Sollte die Behandlungsdauer länger sein? Sollten besonders gefährdete Personen mit Rückfällen erneut behandelt werden? Vielleicht ist eine längere Behandlung besser, vielleicht aber auch nicht. Wie wäre es mit einer klinischen Blindstudie über 5 bzw. 10 Tage, mit klinischen, virologischen und immunologischen Endpunkten?

Auszug aus dem Assessment Report der EMA (sinngemäße Übersetzung: Seuchenkolumne):

„Es bestehen Bedenken hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Nutzens bei Patienten mit Immundefizienz, bei denen es zu einer längeren Phase der Virusausscheidung kommen könnte. Dies ist insofern von Bedeutung, als die virale Elimination bei diesen Patienten geringer sein könnte und bei der empfohlenen 5-tägigen Behandlung ein potenzielles Risiko für ein Therapieversagen und die Entstehung einer Resistenz besteht. Daher muss der Antragsteller nach der Zulassung insbesondere das Therapieversagen bei dieser Patientengruppe überwachen.

Darüber hinaus war die an der Zulassungsstudie (EPIC-HR) teilnehmende Population auf ungeimpfte Patienten mit hohem Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung beschränkt. Die Studie EPIC-SR läuft jedoch parallel dazu und rekrutiert sowohl ungeimpfte Patienten ohne Risikofaktoren für einen schweren Covid Verlauf als auch geimpfte Patienten mit Risikofaktoren für einen schweren Covid Verlauf. In einer vorab geplanten Zwischenanalyse der Daten aus dieser Studie wurde eine zusätzliche Verringerung der Viruslast um ~1,0 log10 Kopien/ml (= um das 10-fache) im Vergleich zu Placebo am fünften Tag beobachtet, ähnlich wie bei ungeimpften Hochrisikopatienten aus der EPIC-HR Studie. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die antivirale Aktivität von Paxlovid bei geimpften und ungeimpften Patienten gleich ist, wie es bei einem antiviralen Wirkstoff mit einem intrazellulären Ziel zu erwarten wäre.

Weitere Erkenntnisse aus EPIC-SR (Standardrisiko) wurden in einer Zwischenanalyse von Mitte Dezember 2021 gewonnen. Der neue primäre Endpunkt, d. h. die selbstberichtete, anhaltende Linderung aller Symptome an vier aufeinanderfolgenden Tagen, im Vergleich zu Placebo, wurde nicht erreicht. Aber der wichtigste sekundäre Endpunkt zeigte eine 70%ige Verringerung der Krankenhauseinweisungen und keine Todesfälle in der behandelten Population. Die Studie läuft weiter. Da die Immunität gegen SARS-CoV-2 nachlässt und/oder durch neu auftretende bedenkliche Varianten beeinträchtigt wird, könnte das Risiko einer Krankenhauseinweisung/eines Todesfalls bei geimpften Patienten zunehmen und zunehmend der ungeimpften Patientenpopulation bei EPIC-HR entsprechen.“

ENDE DES AUSZUGS

Insgesamt gibt es vier EPIC (Evaluation of Protease Inhibition for COVID-19) Studien, eine Übersicht in der folgenden Tabelle. Die Abkürzungen HR (High Risk), SR (Standard Risk ), PEDS (pediatric patients ) und PEP (Post-Exposure-Prophylaxis) stehen für die unterschiedlichen Einsatzgebiete (Indikationen). Der Begriff Post-Expositions-Prophylaxe wurde vor Jahrzehnten im Rahmen von HIV geprägt, ursprünglich das praktisch nicht mehr verwendete AZT nach einer Nadelstichverletzung bei einem Patienten mit HIV. Dasselbe gilt für die Prä-Expositions-Prophlyaxe, siehe unten Evusheld.

Aus dem bisher Gesagten muss hervorgehoben werden, dass sowohl die Behörden (FDA und EMA), als auch viele Wissenschaftler die Erwartung haben, dass Pfizer sich intensiv mit den Auflagen, die bei der Zulassung aufgestellt wurden, befasst, und nicht vorschnell aus der Hüfte halbgare Empfehlungen abgibt. Dr. Albert Bourla, CEO von Pfizer, sagte kürzlich, dass Patienten, die nach Abschluss einer Behandlung mit dem antiviralen COVID-19-Präparat Paxlovid einen Rückfall erleiden, das Medikament weiterhin einnehmen können. Offensichtlich interpretieren die FDA und Pfizer die Behandlungsempfehlungen für Paxlovid unterschiedlich. Die FDA kam zu dem Schluss, dass „es derzeit keine Belege für einen Nutzen einer längeren Behandlung (z. B. 10 Tage statt der im Merkblatt für Paxlovid empfohlenen 5 Tage) oder einer Wiederholung der Behandlung mit Paxlovid bei Patienten mit wiederkehrenden COVID-19-Symptomen nach Abschluss einer Behandlung gibt.“

Paxlovid ist ein sehr wirksames Medikament, das durch die Diskussion um die Rückfälle nicht infrage gestellt werden soll. Zu dessen optimiertem Einsatz werden jedoch weitere Daten, beruhend auf sorgfältigen klinischen Studien und Laborexperimente notwendig sein. Viele Patienten, auch in Österreich, waren ganz erstaunt über die rasch einsetzende Wirkung; nicht wenige aber klagen über Dysgeusie, einer Geschmackstörung, am ehesten beschreibbar als metallischer Geschmack ähnlich bei der Einnahme von bestimmten Antibiotika (Metronidazol, Clindamycin). Es soll bei gleichzeitiger Einnahme von (fettem) Essen besser sein.

Zum Abschluss ein Versuch einer plausiblen Erklärung, wieso ein Rückfall vielleicht doch häufiger als bei 2 Prozent auftreten könnte, angelehnt an Michael Mina, einen Epidemiologen aus der USA, der Vertreter des Konzepts der häufigen häuslichen Tests. Aber ich versuche das zuerst von einer anderen Seite zu beleuchten: Einem kürzlich erschienenen Artikel aus der Gruppe von Christian Drosten zufolge ist die Empfindlichkeit (Sensitivität) des SARS-CoV-2-Antigentests bei frisch symptomatischem Krankenhauspersonal zwischen Dezember 2020 und Februar 2022 von 80 auf 67% gesunken. Dass bei der Omikron Variante die Sensitivität des Antigentests geringer sei, ist schon mehrfach berichtet worden. Die neue Arbeit gelangt zu interessanten Schlüssen, wie es dazu kommen könnte:

Sie zeigt, dass die analytische Sensitivität für Omikron auf Zellkulturproben im Vergleich zu früheren Studien (vor dem Aufkommen von Varianten) unverändert ist, was darauf hindeutet, dass der Impfstatus und nicht die Virusvariante der wahrscheinlichere Einflussfaktor auf die Empfindlichkeit von Antigentests ist. Da der durchschnittliche Zeitpunkt der Probenahme nach dem Auftreten der Symptome unverändert ist (geschultes Krankenhauspersonal!), muss die relevante Änderung im durchschnittlichen Zeitpunkt des Auftretens der Symptome im Verhältnis zur Infektion stattgefunden haben. Dies ist plausibel, wenn man bedenkt, dass die Immunität in der getesteten Population während der Impfkampagne schnell anstieg. Wenn geimpfte immunisierte Personen eine schnellere Immunreaktion zeigen, die zu früheren Symptomen führt, werden sie im Durchschnitt früher im Verlauf der Infektion zur Untersuchung erscheinen. Da hat Michael Mina für die New York Times vor einigen Wochen veranschaulicht, siehe Abbildung.

Geimpfte, immunisierte Personen zeigen eine schnellere Immunreaktion (intensive Arbeit der Immunzellen und Botenstoffe), die sich als früher einsetzende Symptome (z.B. Entzündung in den Bronchien) manifestiert. Diese Personen werden deshalb im Durchschnitt früher im Verlauf der Infektion zur Untersuchung erscheinen.

Trotz der allgemeinen Nützlichkeit von Antigentests unterstreicht das hier unterstellte frühere Auftreten von Symptomen bei Durchbruchsinfektionen die Bedeutung leicht umsetzbarer Risikominderungs-/Eindämmungsstrategien wie die Selbstisolierung unabhängig vom Testergebnis, wenn COVID-19-ähnliche Symptome auftreten. Die höhere Wahrscheinlichkeit frühzeitiger falsch-negativer Ergebnisse und die daraus resultierende mangelnde Fähigkeit, eine Infektion durch frühzeitige Antigentests auszuschließen, muss auf allen Ebenen berücksichtigt werden, von Tests bei Einzelpersonen bis hin zu Strategien für Einrichtungen wie Krankenhäuser und bei allgemeineren Überlegungen zur allgemeinen Pandemiebekämpfung.

Erhöhte Wachsamkeit auf Covid Symptome und die daraus folgende frühere Vorstellung zum SARS-CoV-2 Test führt aber zu früheren Diagnosen bei Geimpften und möglicher sehr früher Paxlovid Therapie. Das hat zur Folge, dass auch die Immunreaktion des Wirts zu wenig Chance und Zeit hat, ihre Wirkung zu entfalten – das Virus kann also zurückkommen. Der zeitliche Verlauf der B-Zell-Reaktion weist eine Spitze in der Antikörperproduktion 3-5 Tage nach der Exposition auf. Wenn man eine Exposition mit SARS-CoV-2 für 1-2 Tage hat und dann die Paxlovidbehandlung das Virus früh reduziert, reguliert sich das Immunsystem herunter bzw. kann nicht ordentlich hochgefahren werden, sodass nach dem Absetzen von Paxlovid aus verbliebenen infektiösen Viren in lebenden Zellen ein Rückfall auftreten kann.

Ich möchte die Ausführungen zu Paxlovid nicht abschließen, ohne auf die Gefahren von Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten hinweisen. Ursache dafür ist das im Paxlovid enthaltene Ritonavir, das als Booster für einen höheren Medikamentenspiegel von Nirmatrelvir funktioniert. Ritonavir kam als Hemmer der HIV Protease 1996 auf den Markt und erwies sich als stärkster Inhibitor des Verstoffwechselungsystems (Cytochrom p450 3A), das auch im „normalen Leben“ einer jeden Zelle des Körpers eine ganz wichtige Rolle spielt. Da wir Ritonavir seit längerer Zeit kennen, gibt es ausgeklügelte Hilfestellung zur Beurteilung von Wechselwirkungen.

Zum Abschluss noch ein Kommentar zu zwei Therapien:

Lagevrioâ (Wirkstoff Molnupiravir)

EMA 23.11.2021: „Die EMA wird den Nutzen und die Risiken von Lagevrio innerhalb eines verkürzten Zeitrahmens bewerten und könnte innerhalb weniger Wochen eine Stellungnahme abgeben, wenn die vorgelegten Daten ausreichend belastbar und vollständig sind, um die Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Arzneimittels zu belegen. Ein solch kurzer Zeitrahmen ist nur möglich, weil die EMA bereits einen erheblichen Teil der Daten zu dem Arzneimittel im Rahmen einer fortlaufenden Überprüfung geprüft hat.“ Inzwischen sind 6 Monate vergangen und Molnupiravir ist noch nicht zugelassen. Die Seuchenkolumne über Therapien hat zu Molnupiravir am 19. Jänner 2022 https://cms.falter.at/blogs/athurnher/2022/01/19/ist-es-jetzt-eh-egal-ob-man-corona-bekommt-faites-vos-jeux-nein-sagt-der-epidemiologe/ festgehalten: „Diese Substanz ist wenig wirksam, wird für Schwangere und für Kinder nicht empfohlen, und es gibt Bedenken, dass es über seinen Wirkmechanismus Mutationen beim Virus und auch beim Menschen auslösen kann. Diese Substanz hat also mutagenes Potential, das nicht sicher ausgeschlossen werden kann.“

Evusheld® (Wirkstoffe: Tixagevimab/Cilgavimab) und Xevudy®  (Wirkstoff: Sotrovimab)

EvusheldEvusheld® hat im Laborversuch volle Wirkung gegen BA.2 und ist damit in Europa der einzig wirksame zugelassene monoklonale Antikörper gegen SARS-CoV-2. Das auch zugelassene Sotrovimab (Xevudy®) hat hingegen gegenüber BA.2 seine Wirkung im Laborversuch weitgehend verloren. Klinische Studien dieser beiden monoklonalen Antikörper bei Infektionen mit der Omikron Variante gibt es nicht. Die beiden Wirkstoffe (bei Evusheld) werden intramuskulär verabreicht, jeder Wirkstoff kommt in einem eigenen Fläschchen, es sind also zwei Injektionen. Evusheld ist nur für die „präexpositionelle“ Prophlyaxe zugelassen und nicht für die Therapie. Indiziert ist Evusheld ausschließlich bei Erwachsenen, bei denen davon ausgegangen werden muss, dass sie auf eine Corona-Impfung nur unzureichend Antikörper bilden und ihr Immunsystem nicht ausreichend auf eine Impfung reagiert. Ein charakteristisches Beispiel dafür sind Patienten mit Lymphomen (Blutkrebs) oder ein Teil der Patienten mit Organtransplantation.

Was wir jetzt schon lange wissen, bei SARS-CoV-2 handelt es sich um ein trickreiches Virus. Weitere Überraschungen sind möglich.« R. Z.

Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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