Drei Sätze über das Lügen. Von Markus Wallner bis Elon Musk.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 727

Armin Thurnher
am 12.05.2022

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Lügen ist ok.

Lügen ist politisches Normalverhalten.

Lügen ist nicht strafbar, höchstens unter gewissen Umständen.

Wie würden Sie diese drei Sätzchen qualifizieren?

Ich komme darauf, weil wir uns mit der Wahrheit augenblicklich etwas schwertun. Ich rede noch nicht von Donald Trump, ich rede von Markus Wallner. Als gebürtiger Vorarlberger darf ich Ihnen versichern, dass Vorarlberger immer die Wahrheit sagen. Dass Markus Wallner als Hoffnungsträger der ÖVP gelten sollte, habe ich deshalb nie verstanden, denn die drei Sätze zusammengenommen skizzieren ja das Erfolgsrezept der Generation Kurz.

Stellen Sie sich einmal vor, der Zufall hätte nicht die Chats aufkommen lassen. Wir wüssten nichts von mutmaßlich gefälschten Meinungsumfragen, wir würden weiterhin glauben, dass die Familien Fellner und Dichand tagtäglich nichts wollen, als die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen, und wir freuen uns wie Unschuldsraben (oder heißt es Waisenknaben?), dass nun ausgerechnet die Vorarlberger Nachrichten die finsteren Winkel der profitablen Kooperation zwischen Medienmacht, Politik und Wirtschaftstreiben mit ihrem zarten, aber umso unerbittlicheren Lichtkegel naiver Unschuld ausleuchten.

Es ist eine schöne Welt, und natürlich hat der wackere Ö1-Journalist Stefan Kappacher die Sache aufgedeckt. Gewisse Kreise werden sich nun in ihrer Ansicht bestätigt fühlen, kein öffentlich-rechtliches Medienmagazin zu wollen, die sie zwar jahrzehntelang nicht geäußert, dafür umso entschlossener praktiziert haben. Es gibt ja, um die ganze Lügenfrage noch etwas komplizierter zu machen, auch eine Form von Lügen, die umso wirksamer werden, je weniger man sie auszusprechen braucht. Man kann sie auch Medienpolitik nennen.


Die Grundlage moralischen Denkens ist bekanntlich der gute Wille, nämlich jener, es selber richtig zu machen. Ich glaube also bis zum Beweis des Gegenteils alles, was mir gesagt wird und notiere nur Widersprüche. Ich sehe aber ein, dass das Aufkommen des Smartphones die Lage sehr verkompliziert hat.

Dieses Gerät ist einerseits ein Ort des Privatesten und andererseits ein öffentliches Geschäftslokal. Menschen wie Ernst Strasser oder Gernot Blümel – fast hätte ich geschrieben „bestachen“ – nein sie beeindruckten den Beobachter durch ihre Laptoplosigkeit; im Fall Strasser tauchte dann doch einer auf, ganz schwarz vor lauter personellen Umfärbungen, alle im Sinn der Steigerung der Qualität der Beamtenschaft im Innenministerium; und der Blümelsche wurde während der für den Gernotfall vorbereiteten Hausdurchsuchung spazierengeführt, wenn auch nicht im Kinderwagen, wie zuerst wahrheitswidrig kolportiert wurde, sondern in einer Wickeltasche. Und es sollte, wie die Mutter berichtete, damit das Kind unterhalten werden, was man halt mit so Laptops heutzutage macht. Man zeigt den Kleinen Bewegtbilder, schon sind sie ruhig. In Wahrheit sollte der Laptop nur verborgen werden, um das Image des laptoplosen Supercheckers Blümel nicht zu gefährden.

Die Öffentlichkeit gleicht übrigens Blümel junior. Durch Bewegtbilder ist sie jederzeit leicht ruhigzustellen. Dennoch brennt das Problem Smartphone in den Hosentaschen der Republik. Das Private und das Öffentliche mischen sich auf Smartphones wie Wahrheit und Lüge. Selbstverständlich wollte Wallner Handy und Tablet nur löschen, weil private Fotos darauf waren. Unverfängliche, gewiss, aber private jedenfalls. Das leuchtet ein, der Zeitpunkt leider nicht. Alle Bilder könne die Staatsanwaltschaft sehen, sagt der Landeshauptmann nun, alle Mails ebenso. Chats erwähnte er nicht eigens, aber die waren gewiss mitgemeint.

Es ist halt doch ein Kreuz, wenn sich die Dinge überkreuzen. Wie bekommt man sie auseinander? Warum fällt einem das nicht lange vorher ein, sondern erst im Moment, in dem der Skandal aufkommt? Die Optik ist verheerend, das muss man auch als gutwilligster Vorarlbergerversteher sagen, aber eine verheerende Optik stört in Österreich doch niemanden, am wenigsten die Grünen. Gäbe es sonst Wolfgang Sobotka in irgendeinem Amt der Republik?


Die Seuchenkolumne ist nicht da, das Wahrheitsproblem zu lösen. Oder doch? Auch wenn mir das Lächeln des Karl Nehammer gut gefiel, habe ich doch nicht vergessen, dass er wahrheitsgemäße Aufdeckungen des Falter über die Finanzen der ÖVP und deren geplante Überschreitung von Wahlkampfkosten kühl lächelnd als Fake News abqualifizierte. Dieses sein Lächeln mochte ich gar nicht. Aber es wäre auch eine Lüge, so zu tun, als hätte ich jenes bei der Bekanntgabe seiner Neuen nicht sympathisch gefunden, weil es mir zu zeigen schien, dass er die Phrasen des Spindoktors in den Journalistinnenfragen wiedererkannte und dass es ihn amüsierte.

Ich erwähne solches Zeug aus dem austriakischen Land des Lächelns nur, weil ich mich für die großen Fragen der Zeit aufwärme: Warum sind alle Mächtigen der Welt Lügner? War das immer so? Muss das immer so sein? Sagt uns ein Unternehmer wie Elon Musk die Wahrheit, wenn er den wegen habituellen Lügens von der Plattform Twitter verbannten Donald Trump wieder auf Twitter zulassen will (Trump sagt zwar, er käme nicht wieder, weil er seine eigene Plattform aufbaut, aber wer glaubt dem noch etwas?).

Andererseits sind die Ankündigungen des Elon Musk, der entgegen den meisten Meldungen ja noch keineswegs Twitter-Eigentümer ist, mit Vorsicht zu genießen: 2018 versprach er zum Beispiel, Tesla von der Börse zu nehmen (die Tesla-Akte performte prächtig und leidet im Moment unter Rohstoffproblemen auf dem Weltmarkt).

Aber Sie wissen ja, wer einmal lügt, dem glauben wir erst recht! Wer bliebe sonst übrig, um diese schöne Welt zu regieren?


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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