Sebastian Kurz spricht zu uns aus den Wolken

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 724

Armin Thurnher
am 09.05.2022

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Der Himmel über Meidling hängt voller Wolken. Das tut er oft, aber nicht oft beginnt ein Interview* so wunderbar wolkig. So Meidlinger-Himmel-wolkig. Doch dieses Interview ist besonders, denn es ist ein Interview mit IHM. Bedecke deinen Himmel, Meidling, mit Wolkendunst, denn hier ist ER aufgewachsen, hier lebt ER heute noch mit seiner Freundin und dem fünf Monate alten Sohn.

„Wien ist unsere Basis“, betont ER, „es kann aber sein, dass in einigen Monaten ein anderer Wohnort für uns vielleicht mehr Sinn macht und wir dann übersiedeln. Im Moment ist noch vieles im Fluss, da lässt sich das schwer sagen.“ Manchmal fällt auch der Sinn in den Fluss, aber dann holt ER ihn wieder heraus und trocknet ihn ab.

Auf dem Weg hinüber in den nahegelegenen Park wird ER immer wieder freundlich gegrüßt. Man erkennt IHN auch in Jeans und Turnschuhen, obwohl die sonst doch eine taugliche Verkleidung darstellen und jeden unkenntlich machen. IHN nicht.

Außerdem wurden Gerüchte laut, ER könnte auf die politische Bühne zurückkehren. Hat ER sich geschmeichelt gefühlt?

Ganz im Gegenteil. Mit falschen Gerüchten hatte ER schon in der Zeit, in der ER noch politisch aktiv war, keine Freude. Das hat sich bis heute nicht geändert. Und mit richtigen Gerüchten? Danach wurde nicht gefragt.

Ob ER sich freue, seinen Vorgänger und Kritiker zu sehen?

In SEINEM Leben habe dieser nicht die Relevanz, die ich anscheinend in seinem habe, antwortet ER kühl. Insofern habe ER darüber ehrlicherweise noch keine Sekunde nachgedacht. Und unehrlicherweise wohl auch nicht. Aber ER habe auch kein Problem, ihn zu sehen.

Ob ER sich für das unschöne Wort im Chat bei ihm noch entschuldigen werde? („Arsch“ hatte ER ihn ja genannt, man erinnert sich an das, was die Interviewerin „das unschöne Wort“ nennt, wolkengleich vornehm wie sie ist.)

ER glaube, sie seien einander wechselseitig wenig schuldig geblieben. (Zwar ist nicht bekannt, ob Mitterlehner, so heißt der „Vorgänger“, auch IHN „Arsch“ nannte, aber hätte er es getan, würde man es verstehen.) Es gebe halt auch den einen oder anderen, mit dem ER jetzt nicht privat auf einen Kaffee gehen würde.

ER sei immer ein sehr positiver, begeisterungsfähiger Mensch gewesen. Für SEINE Zeit in der Politik sei ER sehr dankbar. SEINEN ehemaligen Kollegen wünsche ER wirklich das Allerbeste und auch SEINEN politischen Gegnern nichts Schlechtes. Innenpolitik spiele in SEINEM täglichen Leben eigentlich kaum noch eine Rolle. ER hatte ohnehin nie das Ziel, als Politiker in Pension zu gehen. Geopolitische Entwicklungen verfolge ER nach wie vor beruflich und aus Interesse sehr intensiv.


Aus allem, was ER uns sonst noch wissen ließ unter dem Meidlinger Wolkenhimmel, in seinen Turnschuhen und seinen Jeans, ragt heraus, dass ER mit Kolleginnen und Kollegen aus seinem ehemaligen Team viel gemeinsam erlebt habe und ihnen nach wie vor freundschaftlich verbunden sei.

ER habe sich, und hier verfiel ER in den pluralis majestaticus, für neue inhaltliche Schwerpunkte entschieden und sei neue Wege gegangen. Jeder, der Verantwortung übernimmt, habe nicht nur die Pflicht, diese wahrzunehmen, sondern auch das Recht, seinen eigenen Weg zu gehen. SEIN Verhältnis mit Karl Nehammer („mit“ sagte die Interviewerin, und ER widersprach nicht) sei freundschaftlich, ER sei in gutem Austausch mit ihm und habe ein freundschaftliches Verhältnis. Auch zu vielen anderen in der Volkspartei, die ER als Wähler weiterhin unterstützen werde.

Nein, Rat gebe ER der Partei keinen. Wolfgang Schüssel, den ER über alle Maße schätze, ER sagte wirklich, über alle Maße, und die Wolken öffneten sich einmal ein wenig über Meidling, als er das sagte, um die Sonne durchzulassen und die Maßlosigkeit SEINER Schüsselverehrung zu unterstreichen, also dieser Schüssel habe einmal gesagt: „Es braucht keine Zurufe vom Muppet-Balkon.“ So wie in fast allen Fragen sei ER auch in dieser Frage mit ihm einer Meinung.

Das ist ja in der Tat eine derart originelle und singuläre Aussage, dass man bei aller Verehrung kaum glauben kann, dass sie von Wolfgang Schüssel stammt. Was ER also sicher nicht tun werde, sei, ständig die Innenpolitik zu kommentieren. Deshalb gebe ER auch keine Ratschläge, schon gar nicht öffentlich. Nur soviel: ER wünsche sich, dass die Volkspartei weiterhin den Anspruch hat, die stärkste Kraft zu sein, eine Regierung anzuführen und das Land zu gestalten. Dafür brauche es vor allem Geschlossenheit und den Glauben daran, gewinnen zu können.

Als ER dann nach SEINEM Kleinen und SEINER Frau gefragt wurde, ging das Gespräch vom Wolkigen ins Sülzige über. Man reise gemeinsam, und der kleine Konstantin sei schon in Abu Dhabi, Dubai, Tel Aviv, Jerusalem, München und Zürich und natürlich auch im Waldviertel gewesen, also an jenen Orten, wo man in der Welt als kleiner Konstantin, SEIN Sohn, eben zu sein hat.

Und so schön die Zeit war, so sehr es IHM Freude gemacht habe, dem Land zu dienen, so sehr mache es IHM jetzt auch Freude, privatwirtschaftlich tätig zu sein. Sobald man ein bisschen Abstand gewonnen habe, könne man sich auch für etwas Neues begeistern und wieder 100 Prozent geben. ER merke, dass die Welt sehr bunt und breit ist und dass es – Gott sei Dank! – auch ein Leben außerhalb der Politik gibt.

Was ER jetzt tue, wie man das nenne, was ER mache? Nun, in den USA sei ER für Thiel Capital tätig, ER habe ein Unternehmen gegründet und im letzten Monat auch begonnen, SEINE ersten eigenen Investments zu machen. ER arbeite nach wie vor viel und habe eine große Freude daran, wenn sich die Dinge gut entwickeln.

Nun, das höre sich so wolkig an wie der Himmel über Meidling. Ob ER es nicht ein bisschen genauer sagen könne?

Die Oma einer Freundin habe gefragt, wie es IHM bei der Silikonfirma gehe. Zu diesem Scherz lachte ER selber. Silikonfirma, das ist aber auch wirklich gut! Spielt die Oma am Ende auf Silikonbusen an? Das fände ER geil. – Aber im Ernst wolle ER doch sagen, ER habe in seiner Zeit als Außenminister, in der ER auf der ganzen Welt unterwegs war, ein starkes Interesse dafür entwickelt, wie vielfältig unsere Welt ist, wie unterschiedlich die Kulturen sind, wie an einem Ort, zum Beispiel im Silicon Valley, T-Shirt und Turnschuhe die Standardkleidung sind und es anderswo als Fauxpas empfunden wird, keine Krawatte zu tragen. Diese Vielfalt genieße ER und empfinde es nicht als Kulturschock.


Nun, nach dem Schock dieses GROSZEN Muttertags-Interviews sind wir klüger als zuvor und wissen, die Innenpolitik wird unseren Mann nicht mehr zu uns führen, vielleicht aber die Geopolitik. Wohin immer die Lernkurve Sebastian Kurz im Dienste des neurechten Milliardärs Peter Thiel tragen wird, und was immer ER dabei tragen wird, T-Shirt oder Krawatte, man kann darauf wetten, dass uns diese Jungs alle am Krawattl haben. Zumindest, wenn alles so gut weitergeht, wie es bisher für sie läuft.

Und wenn uns die Kronen Zeitung und Connie Bischofsberger durch Interviews mit IHM weiterhin so gnadenlos darüber auf dem Laufenden halten, wofür sie uns halten. Danke ALLEN auch sehr herzlich dafür.

 

* Genießen Sie Ihr neues Leben, Herr Kurz? Interview mit Connie Bischofberger, Das große Interview, Kronen Zeitung 8.5.2022


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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