Sozialismus für Staatsbetriebe, für Schweizer und für Katzen!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 723

Armin Thurnher
am 07.05.2022

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Dies, Damen, Herren und Sonstige, ist die Seuchenkolumne. Aktuelle Seuchen sind, abgesehen von Corona: der Krieg, Sobotka, die Dilettierenden (ausnahmsweise, anders als bei den „Studierenden“ ist das Partizip die Genderform der Wahl, sie tun es in einem fort) in der österreichischen Regierung, die lahmende Sozialdemokratie (gelähmt im gegenseitigen Belauern um die persönlich besten Positionen), die österreichische Wirtschaftspublizistik, die Feudalisierung der Medien (neueste Entwicklung: Elon Musk und Mathias Döpfner stecken die Köpfe zusammen, ein Traumpaar: der eine säuft mit seinem neuen Gigawerk dem Land Brandenburg das Grundwasser weg, der andere sieht seine Dissertation von Plagiatsvorwürfen heimgesucht; could they care less?).

Ich höre jetzt auf mit der Aufzählung, sie dient nur der Selbstberuhigung, dass der Stoff nicht ausgeht. The torture never stops.


Gewiss, es gibt auch Positives. Zum Beispiel hörte ich im Oe1-Abendjournal  gerade einen Beitrag über Gottlieb Duttweiler, einen der bemerkenswerteren Kapitalisten der Geschichte. Er erfand in den 1920er Jahren den Schweizer Lebensmittelhandelskonzern Migros, machte ihn zum Marktführer in der Schweiz und schenkte den Konzern Anfang der 1950er Jahre seinen Angestellten, sowie den Kundinnen und Kunden, indem er ihn in eine Genossenschaft verwandelte.

Anders als der Konsum, der in der Endphase zwar mit Migros eine Partnerschaft einging, aber dennoch einging, weil die Schweizer leider schnell flüchteten, ist Migros nach wie vor sehr erfolgreich und noch immer Marktführer. Auch der Schweizer Migros-Konkurrent Coop ist im übrigen eine Genossenschaft. Über Duttweiler wurde nicht berichtet, weil in Österreich der Sozialismus ausbrach, sondern weil Migros darüber diskutiert, Alkohol zu verkaufen. Den Ansichten des Arbeiterfreundes Duttweiler zufolge waren die sozialen Kosten dieser Droge zu hoch, also verpflichtete er Migros, sie nicht zu verkaufen.

Migros tut jede Menge bemerkenswerte Dinge, es gibt ein Prozent seines Budgets für Kultur aus, achtet auf politisch korrekte Herkunft seiner Produkte und unterhält ein nach Duttweiler benanntes Institut, das die Gesellschaft analysiert, deren Lebensmittelmarkt Migros beliefert.

Gottlieb Duttweiler schwimmt 1950 auf dem Zürisee vor einem Boot mit der Migros-Belegschaft Foto: Facebook

Duttweiler war ein wirklich großer Mann, das Muster eines Kapitalisten mit menschlichem Antlitz. Mich wundert sehr, dass man ihn außerhalb der Schweiz nicht stärker verehrt und diskutiert. Bei uns dominiert der Marktradikalismus nach Art des Franz Schellhorn den Diskurs. Dieser Chef des industriefinanzierten Thinktanks Agenda Austria ist ja nicht unwitzig und auch nicht auf den Mund gefallen, mit seinen Wortgirlanden, was nun ökonomisch schädlich oder unzumutbar sei (neuerdings sehr schädlich: Gewinnbeschränkungen staatlicher Betriebe öffentlich zu diskutieren) putzt er jedoch immer nur den Fetisch Markt auf. Soll heißen, der Staat hat nur stark zu sein, wenn er die nichtstaatlichen Marktteilnehmer schützt, sich selbst darf er selbst dann nicht schützen, wenn er Unternehmer oder Kapitalist ist, und Unternehmer oder Kapitalist soll er auch nicht sein, dann braucht er nur die Privaten zu schützen und wir brauchen nicht viel drüber zu reden.

Duttweilers Migros war übrigens in der Schweiz bei Kapitalisten die längste Zeit schlecht gelitten. Wir konsumentwöhnten Nachkriegsvorarlberger standen im Grenzort Sankt Margareten staunend von elendslangen Joghurtregalen, während man bei uns zwischen Fru-Fru Erdbeer oder Heidelbeer wählen konnte (beide schmeckten grauenhaft). Migros, dieser verkappt sozialistische Konsumpalast, war so verführerisch ausgestattet, dass er meine Verwandten zum Schmuggeln ohne Ende anstachelte, und nicht nur sie. Einzig mein Vater, zeitlebens moralisch hochstehender korrekter österreichischer Steuerzahler, also eine singuläre Erscheinung , verachtete dieses Treiben. Er triumphierte nach dem EU-Beitritt Österreichs, als die Schweizer nach Vorarlberg einkaufen fuhren.

Warum war Migros bei Kapitalisten schlecht gelitten? Dort kauft man nicht ein, erklärte man in der Chefetage einer großen Firma einer Bekannten, die dort als Chefsekretärin arbeitete und in aller Unschuld beim Einkaufen in einer örtlichen Zürcher Migros-Filiale beobachtet wurde. Als Teil der kapitalistischen Klasse hatte sie nicht beim Klassenfeind erwischt zu werden, das galt als Statement, als Bekenntnis zum Kryptosozialismus. Ihr oder wir, das war eine Frage, die nicht sie zu entscheiden hatte, und das gab man ihr zu verstehen.

Ich glaube übrigens, dass sich Herr Schellhorn keine Sorgen zu machen braucht, dass der Sozialismus in Österreich einkehrt. Die Schwarztürkisen und die Grünschwarzen sind gänzlich unverdächtig, und falls sie wirklich einmal Flausen bekämen, Gewinne zu beschränken, Vermögen zu begrenzen, gerechte Löhne festzulegen (Untergrenzen!) oder sonstwie sozialistisch auszuarten, stoppen sie zuverlässig SPÖ und ÖGB. Wir sind in Österreich, also bitte bewahren Sie Ruhe!


Ich war übrigens heute im Impfzentrum Horn. Zuerst wollte ich nach Wien, aber ich war zu spät dran, verpasste den Zug in Retz und mochte nicht eine Stunde auf den nächsten warten. Also nahm ich kurzerhand den nächsten Weg, nach Horn, wo sie wenigstens am Mittwoch und am Freitag impfen. Als zart über 65jährigem wird es mir erlaubt, wäre ich über 80, würde es mir sogar empfohlen. Nach Moderna stand mein Sinn, das hatte mir der Epidemiologe empfohlen, mischen wäre nach zweimal Astra und einmal Pfizer angesagt, aber sie hatten keines lagernd. Kruzifix. Also nahm ich, weil ich schon dort war, Pfizer. Hoffe, es wird mir nicht zum Schaden gereichen. Besser als nix jedenfalls.

Robert Zangerles Kolumne von Ende März hatte mein Bewusstsein dafür geschärft, dass es zu steigenden Fallzahlen kommen wird, und das übliche sommer-herbstliche Auf- und Ab sich auch von Putin dem Schrecklichen nicht abschrecken lassen wird. Mit der 4. Impfung jetzt (im Impfzentrum hoben sie nur ganz leicht die Braue) komme ich das nächste Mal Anfang November unter die Nadel, gerade recht für was immer dann zu erwarten ist; und ich werde es wieder mit der Grippeimpfung kombinieren wie vergangenes Jahr (eins links, eins rechts), das hat mich bis jetzt uninfiziert durch die Fährnisse gebracht. Im Sozialismus ist die Impfung übrigens gratis, ebenso fallweise die Zeckenimpfung. Die aber soll ich mir erst in zwei Wochen holen, empfahl mir der im Impfzentrum anwesende Arzt, der mich aber nicht impfte, sondern nur beauskunftete. Eine Krankenschwester führte elegant die Nadel.

Die Viertelstunde Anstandsfrist nach dem Stich entfiel, weil weder ich noch irgendwer im Impfzentrum daran dachte. Ich bin aber gut in den Supermarkt gekommen, um dem Kater Leckereien zu beschaffen, die er nach dem Pflegeurlaub nun gewohnt ist. Katzensozialismus für alle!


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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