Die Lage der Pressefreiheit ist schlecht. Österreich stürzt um 14 Plätze ab. Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 719

Armin Thurnher
am 03.05.2022

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Vorweg eine Entschuldigung. Der gestrige Cliffhänger hängt weiter. Ich muss den versprochenen Beitrag zum Hitlerhaus noch einmal verschieben und einen aktuellen Einschub zur Lage der Pressefreiheit im Land machen. Denn heute veröffentlicht die Organisation Reporter ohne Grenzen ihre jährliche Einschätzung zur Lage. Die Seuchenkolumne kann als ziemlich erstes Medium die Zahlen präsentieren, und sie sehen nicht gut aus. Publizistikprofessor Fritz Hausjell, als Chef der österreichischen Sektion von Reporter ohne Grenzen Nachfolger der heuer allzu früh verstorbenen Rubina Möhring, veröffentlicht gemeinsam mit Julia Herrnböck, Erhard Stackl und Corinna Milborn heute den neuen Bericht zur Lage. Zusammengefasst: Österreich rutscht im Pressefreiheitsranking massiv ab, um 14 Plätze.


Österreich landet im diesjährigen Pressefreiheitsranking auf dem 31. Platz, im Vorjahr war es noch der 17. Damit ist die Republik eine der schlechtesten EU-Mitgliedstaaten und steht im Ranking hinter Ländern wie Namibia (18.), Argentinien (29.), Osttimor (17.) oder Trinidad & Tobago (25.)

Das ist keine riesige Überraschung, und doch klingt die Zusammenfassung der Begründungen ziemlich brutal: „Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten bei Corona Demos, Polizei-Schikanen, bezahlte Umfragen in Boulevardmedien und eine durch Korruption und Bestechung geprägte Politik“ – das tönt beunruhigend nach einem autoritär regierten Schwellenland, aber nicht nach Österreich. Jedoch: „In Österreich haben die zahlreichen Versuche, die Presse zu beeinflussen, dazu geführt, dass wir zu den Schlusslichtern in der EU gehören. Einige Politiker werden verdächtigt, öffentliche Gelder verwendet zu haben, um sich eine positive Berichterstattung in Boulevardzeitungen zu erkaufen, während andere versucht haben, durch direkte Redaktionsanrufe einzugreifen, wie der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dieser musste, da die WKStA ihn als Verdächtigten in Verbindung mit dem Erkaufen positiver Berichterstattung in einer privaten Zeitung führt, 2021 zurücktreten.“ Ich kann nicht sagen, dass es besonders entspannend ist, eine Summierung jener Themen vorzufinden, die der Falter und man selber das ganze Jahr mitverfolgt. So erfreulich es ist, wirkt es eher deprimierend, wenn man liest, dass die Slowakei aufgrund von Reformen zur Förderung der Pressefreiheit eine positive Entwicklung hinlegte und sich in puncto Presse- und Informationsfreiheit verbesserte. Hierzulande dominieren Indolenz und Ignoranz. Weder, so kritisiert Reporter ohne Grenzen, interessiert sich die Politik für eine höhere Basisförderung von Medien, noch für eine Neuordnung des Inserateunwesens öffentlicher Stellen (gefällige Berichterstattung inklusive), noch für den Erhalt der Wiener Zeitung. Ergänzen könnte man die Streichung der Subvention der Gemeinde Wien für den Community TV Sender Okto, während Boulevard und Kommerz-TV fleißig mit Millionensummen gefüttert werden. Weiters moniert Reporter ohne Grenzen: „Der Ruf nach einem sinnvollen Medienförderungsgesetz, bei dem Qualität statt Boulevard (Auflage) gefördert wird, blieb bisher ungehört. Dasselbe gilt für das bereits vorbereitete, aber immer noch nicht vom Parlament verabschiedete Informationsfreiheitsgesetz, bei dem u.a. die Abschaffung des Amtsgeheimnisses fixiert worden wäre. Österreich ist hier das einzige EU-Land ohne eines. Auch die ständige parteipolitische Einflussnahme auf den ORF muss dringend ein Ende haben, um nicht den Weg von Ungarn, Russland, Türkei und den vielen Ländern zu folge, in denen das Staatsmedium unter völliger Kontrolle steht. Die aufgetauchten Sideletter zu den Postenbesetzungen scheinen hier nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Eine Reform der Postenvergabe ist dringend notwendig.“


Die Karte der Pressefreiheit bietet einen schnellen Überblick über die generelle Lage der Länder auf der Weltrangliste.

International sieht die Lage sowieso düster aus. Drei Haupttrends nennt Reporter ohne Grenzen:

  1. Ermordete Journalisten in der EU: Giorgios Karaivaz in Griechenland und Peter R. De Vries in den Niederlanden wurden in mafiösem Stil kaltblütig erschossen.

  2. Körperliche Angriffe auf Berichterstattende von Corona-Demos: in Deutschland (16. Platz), Frankreich (26.) und den Niederlanden (28.)

  3. Gesetzesverschärfungen: insbesondere in Slowenien (54.), Polen (66.), Ungarn (85.), Albanien (103.) und Griechenland. Das Vereinigte Königreich (24.) ebnete der Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange an die USA (42.)den Weg.

Insgesamt zwölf Länder rutschen auf die rote Liste von Reporter ohne Grenzen, darunter Weißrussland (Platz 153) und Russland (Platz 155). Zu den Ländern, in denen die Presse am stärksten unterdrückt wird, gehört nun neben Nordkorea (180.), Eritrea (179.), Iran (178.), Turkmenistan (177.) und China auch Birma (176.), wo der Staatsstreich im Februar 2021 die Situation für Journalisten brutal um zehn Jahre zurückgeworfen hat. Getötete und verletzte Reporter, eine Zensur, wie es sie seit der Sowjetzeit nicht mehr gegeben hat, massive Desinformation prägen die Lage. In Osteuropa hat der Krieg Russlands (155.) gegen die Ukraine verheerende Folgen für die Pressefreiheit in der Region. Im ersten Monat der russischen Offensive, die am 24. Februar 2022 begonnen hat, sind bereits fünf Journalistinnen und Medienmitarbeiter durch Schüsse ums Leben gekommen.


An der Spitze des Rankings stehen übrigens die skandinavischen Länder, angeführt von Norwegen. Der Index der Pressefreiheit zeigt, dass es die Demokratie momentan nicht leicht hat auf dieser Erde.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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