Medien, Demokratie, Elon Musk und Schwarzes Risotto

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 716

Armin Thurnher
am 29.04.2022

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Ich sitze hier in Venedig und versuche seit Tagen, mich dem anzunähern, was ich am Samstag vormittag in Innsbruck äußern werde. Eine Rede wird es nicht sein, es wird etwas sein, was die Amerikaner einen Talk nennen, wie alles Amerikanische hat sich das auch bei uns eingebürgert. Ich werde also einen Talk halten, obwohl es mir widerstrebt, keine Rede zu halten, oder zumindest ein Referat.

Der famose Egon Christian Leitner hatte die Idee zu dieser Tagung, der katholische Bischof Hermann Glettler veranstaltet sie, auf der evangelischen Akademie an der Uni findet sie statt, da kann also nix schiefgehen; es nehmen Menschen teil, die zur Frage, wohin sich der Sozialstaat bewegen kann wird und soll, wirklich etwas beitragen können, mehr gewiss als ich: Markus Marterbauer, einer unser besten Ökonomen, zum Beispiel. Leitner selbst natürlich, dessen monumentaler „Sozialstaatsroman“ und das ebenso monumentale „Ich zähle jetzt bis Drei“  nicht nur sozioökonomisch, sondern auch literarisch höchst besonders sind, was nun doch langsam allgemein erkannt wird.  Fritz Orter, der Krisenreporter des ORF, dessen Grabesstimme mir immer näher war als jene des aktuellen hochgeschätzten Schützengrabenraben. Man kann diese Tagung besuchen, und vielleicht sollten Sie es tun, so Sie in Innsbruck und Umgebung wohnen, obgleich ich gegen weniger Publikum nichts einzuwenden habe.

Rede frei, sagen mir Freunde und Wohlmeinende, da hört man dir eher zu. Ich aber klammere mich ans geschriebene Wort und lese lieber vor. Meistens. Ich bin noch unentschieden, was ich in Innsbruck tue. Es ist keine Sache der Vorbereitung, denn ich quäle mich mit dem Thema seit Tagen, Wochen, Jahren, eigentlich mein ganzes bewusstes Leben lang: „Die Zerstörung der Demokratie und die Medien“ lautet es, und durch die neuesten Aktivitäten des Herrn Musk bekommt es schon wieder eine verstärkte Wendung; von denen Herrn Putins und des „Westens“ in der Ukraine ganz zu schweigen – dort führen „wir“ bekanntlich Krieg für die Demokratie, welche jener auslöschen will.

In diesen Zeiten macht man keine Witze, sonst hätte ich gesagt, ich versuche, für die Demokratie Urlaub zu machen. Es gelingt mir eh nicht, denn ich gehe zwar mit meiner Frau durch die Stadt, aber mitunter sitze ich am Computer und schreibe was für den Falter oder diese Kolumne, und die Frau geht allein durch die Stadt und besichtigt wundersame Ausstellungen und buchstäblich wundervolle Kirchen, nämlich solche voller Wunder.

Mein persönliches Wunder ist der Rialtomarkt, in dessen Nähe wir die Freude haben privat wohnen zu dürfen, was uns erlaubt, dort nicht nur einzukaufen, sondern das Eingekaufte auch am Herd zu verarbeiten. Gestern hatten sie dort in Portionsstücke geschnitte Seppie mit der Tinte im Originalbeutel des Tiers in einem Extrapäckchen in Zeitungspapier zu jeder Portion (es fehlen 10 Milliarden Kubikmeter Gas, stand auf der Zeitung), da konnten wir nicht widerstehen und machten einen Risotto al nero di seppie.

Einen Teil des Seppie habe ich als Vorspeise gebraten.

 

 

Ein Foto einer dort gekauften selbst gebratenen Seezunge gehört nicht nur deswegen zu meinen Triumphen, weil es auf Twitter gepostet mehr Response (schon wieder so ein demokratierelevantes Ami-Wort) erzielt (oder sollte ich Impact sagen?), als jedes noch so kluge Aperçu, sondern weil es mir auch die Frage eintrug, um welches Restaurant es sich handle. Die Seezunge war übrigens die beste, die ich je hatte.

Ja, Leute, dieses Restaurant ist höchst undemokratisch, es ist nämlich privat, womit schon wieder eine dieser demokratiepolitischen Grundfragen berührt wäre: Ist das Private, wenn es in die Öffentlichkeit wirkt, überhaupt noch privat? Und ist es wirklich undemokratisch? Auf öffentlich digital angeschlagenen Twitteraccounts liest man gern den Schmonzessatz, es handle sich um einen „Privataccount“, oder, die Meinungen, die man hier äußere, seien nur privat. Nur, warum äußert man sie dann und behält sie nicht für sich?

Im Fall Musk bekam die Frage privat-öffentlich noch einen unlustigen Zusatzgeschmack. Herr Musk will die öffentliche Plattform Twitter an sich reißen, „privare“ heißt ja rauben. Er will sie rauben, mit Fantasiegeld, das er besitzt, mit den maßlos überschätzten Aktien seiner Firmen Tesla und Space-X (Tesla ist so viel „wert“ wie VW, Ford und Mercedes zusammen); bis jetzt war, das heißt ist Twitter im Besitz von Aktionären, es war also börsemäßig „public“, öffentlich, und weil der Profitinstinkt der Shareholder in diesem Fall offensichtlich nicht durchdringend genug wirkte, meint Musk, hier als alleiniger Machthaber besser durchgreifen zu können. Natürlich nicht, um mehr Profit zu machen, sondern um mehr Meinungsfreiheit herzustellen. Sagt er. Man glaubt ihm so viel wie Putin und fühlt sich wie Alice in Wonderland, so verquer geht’s da zu. Nun heißt es, er kaufe Twitter vielleicht doch gar nicht, sondern benütze das Spektakel nur dazu, „billig“ mehr Teslaaktien zu kaufen, die 20 Prozent an Wert allein durch das Gerücht verloren haben, er belehne sie, um den Twitterkauf zu finanzieren.

Jedenfalls ersetzt Mister Musk also nicht etwas Öffentliches durch etwas Privates, sondern eine private Weise, auf die Öffentlichkeit zu wirken, durch eine andere private Weise. Dennoch sind diese privaten Formen von Eigentum naturgemäß öffentlich wirksam, sind also keineswegs privat in dem Sinn, wie es etwa der pragmatische Philosoph John Dewey definierte, dass Privates nur etwas ist, was jene Personen betrifft und auf sie wirkt, die damit zu tun haben, wie etwa die Seezunge auf mich und meine Frau, jedenfalls, solange ich sie nicht twitterte (die Seezunge). Musks Wirkung auf Twitter aber meinen wir alle zu spüren und meinen, etwas dazu meinen zu müssen, ich vorneweg.

Da kann einem der Kopf schwirren bei solchen Fragen, und vielleicht beginne ich mein Referat, meinen Redeversuch mit jener Bemerkung von Karl Kraus, die mir gerade im Fall von Öffentlichkeit und Demokratie sehr treffend erscheint: „Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.“

Jedesmal, wenn ich über Demokratie und Öffentlichkeit sprechen soll, sehe ich diese Wörter an, und umso ferner sehen sie zurück. Also: schauma mal.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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