Loblied auf Peter Huemer zu dessen Abschied vom Stadtgespräch

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 715

Armin Thurnher
am 28.04.2022

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Peter Huemer (rechts) moderiert das erste Stadtgespräch am 23. 3. 2006, mit Jean Ziegler Foto: Christian Fischer

Am Tag der Pressefreiheit vor fünf Jahren erhielt Peter Huemer den Lebenswerkpreis der Concordia. Fünf Jahre danach, fast auf den Tag genau, nahm er in einem letzten Falter-AK-Stadtgespräch, erstmals als Gast von seiner Nachfolgerin Barbara Tóth, Abschied von dieser Bühne, die er 15 Jahre lang zu einem bedeutenden Diskussionsforum der Stadt gemacht hat.

Die Laudatio, die ich damals für Peter Huemer halten durfte, ist nie erschienen, deswegen erscheint sie heute, ihm zum Abschiedsgeschenk, heute hier.

Damals war ich als Elegiker und Panegyriker noch weniger verrufen, weswegen ich eine kurze Warnung in Prosa vorausschickte:

„Ich habe mich entschlossen, ab heuer meine Preisreden nur mehr in Versform abzufassen, und zwar in Hexametern. Ich bin mir der Gefahr der Verwildgansung bewusst, nehme sie aber in Kauf.

Aus mindestens fünf Gründen:

    • Erstens kann der Spezialfall der etwas in Verruf gekommenen Preisrede ein wenig formale Disziplin vertragen.

    • Zweitens konnte ich feststellen, dass die gebundene Rede bei der Zuhörerschaft mehr Aufmerksamkeit beansprucht als Prosaisches.

    • Drittens interessiert sich die mediale Öffentlichkeit in Österreich für Reden sowieso nicht, man braucht also keine mundfertigen Zitate anzubieten.

    • Viertens ist es eine Herausforderung für mich, auch in dieser Form zu sagen, was ich will.

    • Fünftens zeigt es dem Preisträger, dass ich mir für ihn wenigstens ordentlich Mühe gegeben habe.

Die Versform verlangt bei manchem wörtlichen Zitat kosmetische Eingriffe, wie leichte Umstellungen, dafür bitte ich um Verständnis.

Ebenso bitte ich Sie und den Geehrten um Nachsicht, sollte ich Ihnen mit meinem Versuch auf die Nerven gehen.“


Peter Huemer, das Lebenswerk. Lebenswerkpreise, ich weiß, ein

Hauch von Abschied umweht sie, als wären Nachfolgewerke

ungewiss. Trauer, Wehmut und Müdigkeit breiten sich aus. Doch

nicht so in dem Fall. Frisch und kampfeslustig ist Huemer,

darüber werd’ ich noch reden. Peter Huemer ist ORF-ler vor

allem. Aber zuerst und zuvorderst Historiker ist er.

Davon und von seinem ersten Buch will am Anfang ich sprechen.


Zehn Huemer könnt’ ich euch rühmen; in gebotener

Kürze versuch ich’s. Hier ist die Aufzählung, erst taxativ nur.

Peter Huemer können wir preisen als Fernsehmann, Radio-

Moderator, Gespräche öffentlich führend, musterhaft,

sonder Zahl. Des weiteren Buchautor, Kommentator,

Intellektueller, öffentliche Person, in allem

Haltung bewahrend, einspruchsfreudig und ungehorsam,

civis austriacus, seltenes Exemplar eines Bürgers.

Bürger im Sinne von Citoyen, der fasst, in Huemers

Worten, nicht bloß sein eigenes Interesse ins Auge,

sondern in seinem Engagement auch das größere Ganze.


„History, history, we fools, what do we know or care!“ Ja,

William Carlos Williams, amerikanischer Dichter,

sprach diesen Satz, doch hatte Huemer er nicht auf der Rechnung.

Hier ist wahrlich nun einer, der weiß und sich kümmert. Vergessen –

wann ist es möglich? Versöhnung, kann sie je glücken? Wäre in

Österreich anderes möglich gewesen als die Verdrängung

nach Fündundvierzig? Nein, sagt Huemer, es musste so kommen,

dennoch kein Grund, sich einverstanden damit zu erklären.

Tief, sehr tief reicht der Schacht der Geschichte. Huemer zitiert Thomas

Mann, der „unergründlich“ ihn nennt. Was Huemer nicht hindert,

gründlich zu sein bei dessen Erforschung. Diese beginnt nach dem

Weltkrieg, dem Ersten, im postimperial gewordenen Österreich.


Robert Hecht, ein Jurist, Sektionschef in Republik Eins, er

half, die junge Demokratie zu zerstören. Der junge

Peter Huemer zeichnet es nach, das tragische Werk dieses

Bürokraten. Tragisch, denn Robert Hecht war Jude, kam

neunzehnachtunddreißig in Dachau ums Leben, fast seine

ganze Verwandtschaft ging im Orkus der Nazis zugrunde.

Wörter finden in diesem Buch wir, die wir uns merken. Ent-

Politisierung des Heeres, im Neusprech nannte man so die Um-

Politisierung. Mit Hilfe juristischer Tricks säubert Hecht das

republikanische Heer von sozialdemokratischen

Elementen. So wird es, das unpolitische, nun zum

Werkzeug der Christlichsozialen. Als solches erst macht es den folgenden

Februar-Bürgerkrieg möglich. Was scheinbar unpolitisch,

umso stärker wirkt es politisch. Erinnert uns das nicht an

unsere Zeit? In dieser ent-politisiert’ man den Rundfunk,

nur um ihn besser lenken zu können. Man mag aus Geschichte

lernen auf mancherlei Weise. Aus Erfahrung dumm, sagt Karl

Kraus. Huemer beschreibt präzise, wie Hecht die neue

Demokratie zerstörte, immer mit Mitteln des Rechtsstaats.

Klar ist diese Beschreibung, genau, und an Einzelheiten

reich. Man hört ihn auch reden in diesem Buch, den Huemer,

Thesen stellt er auf, Verfahren kündigt er an, etwa

derart: „Wir werden im Folgenden das zu beweisen haben“

Oder: „Es fügt sich gut, dass wir in der Lage sind, akten-

mäßig“ den Fall zu belegen, wie Dollfuß und Hecht zusammen-

wirkten, beim Staatsstreich auf Raten, wie sie den Verfassungsgerichtshof

lähmten. Das alles ist bei ihm minutiös geschildert,

Zweifel zulassend, Einwände mitformulierend; den Stil

nenne rhetorisch ich. Vor der Leserschaft breitet der Autor sein

Material aus, als spräch’ er vor einem Forum. Wenn er mir

sagt, dieses Buch sei „das Beste, was er je gemacht“, nicht „geschrieben“, ich

kann es verstehen. Das Opus ist monumental, das Thema aber

bildet das Grundmotiv seines Lebens; drei Wörter sind es,

weiß und groß gedruckt auf dem Cover des Buches: Österreich,

Demokratie und Zerstörung. Fürs erste, gegen das dritte, mit

demokratischen Mitteln – das Werk, das wir preisen.


Einundvierzig geboren in Linz, studiert er in Wien, wo ihn

interessierte, in eigenen Worten, wie die Geschichte des

Landes zurechtgebogen wurde nach fünfundvierzig im

Hinblick aufs Interesse der großen Koalition. Bloß –

dabei mitzumachen kam für Historiker seines

Alters nicht in Betracht. Ein Benimm-Buch der Perlenreihe

riet: Nazithemen sind zu vermeiden, man spreche

besser vom Wetter. Das war Neunzehnsiebenundfünfzig und folgende.

„Nation- Building by Verdrängung“, so könnte man’s nennen,

dafür war Peter Huemer gar nicht zu haben. Doch grade

weil ihn Heimatliebe geprägt hat, versteht er’s, zu differenzieren,

selbstkritisch eigene Grenzen zu sehen und zu benennen, den

Austrozentrismus, der damals die Nazizeit nicht in den Blick nahm.


Zeitgeschichte. Danach verschlug’s ihn zum Fernsehn. Der Bacherfunk

war’s, bei Claus Gatterers Sendung Teleobjektiv stieg er

ein. Dieser Gatterer war Historiker, eigensinnig und

streng. Im berührenden Nachruf zitiert Huemer das Motto des

Älteren: „Fernsehen, würde von Ängstlichen es für Ängstliche

Nur gemacht, verlöre den Sinn.“ Er wüsste kein besseres

Motto, ergänzte Huemer. Und was sagt uns das? Ist heute

Fernsehen weitgehend sinnlos? –


Nach Gatterers frühem Krebstod

kommt der Club 2. Huemer leitet die Sendung, längst ist sie

Mythos, ein jeder Fernsehtalk findet heut noch an ihr seinen

Maßstab. Zu Recht. Denn eines war der Club 2 sicher nie, dank

Peter Huemer: ängstlich. Die Hinsichtl-Rücksichtl-Praxis, mit

der sie heute die Runden besetzen, furchtsam bedacht, keinen

auszuschließen, der dem Direktor dann zürnen könnte und

schaden bei dessen Wahl! So entschlummern sanft vor dem Schirm wir,

oder wir zappen nach Deutschland. Es lebe der Sender der Nation, der

immer wieder vergisst, was er soll. Aber da ist Huemer,

allzeit bereit, ihn öffentlich wieder daran zu erinnern;

kaum einer ist wie er dazu legitimiert; er stritt mit

Bacher, solange er unter dem Tiger am Werk war; danach erst

wurden sie halbwegs Freunde. Einerseits sah Huemer wohl

klar, was der O-R-F war, nämlich „Zentralanstalt für die

Modernisierung des Landes“ (Formulierung Huemer).

Andererseits war’s nicht Bacher, der ihn hinauswarf aus dem Club

Zwei. Ein politkommissarischer Intendant war’s, seinen

Namen kann man vergessen. Im Falter hieß es: „Wie zufällig

Fällt der Verfall dieser Sendung mit der Verabschiedung ihres bis-

herigen Leiters Doktor Peter Huemer zusammen.“ Ein

fulminantes Toben sei es gewesen, erklärte der

Doktor, in einer Gummizelle, öffentlich einsehbar.

Soziale Prozesse hätten hier sich gespiegelt, das

sei ja nicht nix. Ein jeder fand hier seinen Konflikt, und

streitbar-optimistisch konnte geredet werden, in den

Kreisky-Jahren, den mittleren. Emanzipation war das

Stichwort, bald stumpfte es ab; so wird die Geschichte des Landes

Mitte der Achtziger Jahre zum Thema des Clubs, noch vor Waldheim.

Wichtiger war aber eines: die Diskussion als Modell der

Demokratie, als Insel im Sender, als hierarchiefreies

Vakuum. Elf Jahre lang simulierte man öffentlich hier die

radikale Demokratie – das war schon was. Wir

hoffen doch immer, Medien machen es wirklich, ihr Wunschbild.


Radio folgte, die Serie „Im Gespräch“ auf Ö1. Eine

bildende Serie, denn sie bildete einen Stil; doch auch

hier ging etwas im ORF-Stil zu Ende. Huemer wäre

trotz Pension gern geblieben, aber die Generalin

wartete mehrere Wochen, bis er woanders zugesagt

hatte; danach war’s vorbei mit Huemer im ORF. Der braucht seine

Besten am wenigsten, wie wir ja wissen. Freilich hat unser

Preisträger seinen Sender niemals vergessen; droht dem Öffentlich-

Rechtlichen etwa Gefahr, ich sagt’ es, Huemer

steht schon parat. Zivilcourage nennt man’s, die Initiative

S-O-S O-R-F, hier sei sie erwähnt. Das alte

Leiden: Es sinkt das Niveau, es steigt der Druck der Regierung.

Zweitausendsechs war’s, es kommt uns bekannt vor. Schon wieder steigt der

Druck. Bei Bedarf ist ganz sicher mit Peter Huemer zu rechnen


Querulantisch nennen das jene, die nicht verstehen, was

Bürgersinn wirklich bedeutet. Nämlich, sich einzumischen,

Widerspruch anzumelden, wo Dinge geschehen, die jeder

ablehnen muss, dem Staatsbürgerschaft was bedeutet. Leider

schweigen die meisten; nicht aber Peter Huemer, sein Sprechen

hat gute Gründe. Kein schönes Licht wirft es auf unsere Spezies,

dass wir lieber gehorchen, unserm Gewissen zuwider, als

dass wir widersprechen. Das fällt uns schwerer, berichtet im

Buch „Unterwerfung“ Huemers Essay. Untertitel des

Buches: „Über den destruktiven Zwang zum Gehorsam.“

Ungehorsam ist konstruktiv, und jeder irrte, der

meinte, hier würde bloß Trotz propagiert. Nein, Huemer weiß

wohl zu argumentieren, wogegen er ist. Er tut’s mit

Selbstironie, mitunter auch mit Sarkasmus. So schreibt er:

„Yes we Can. Wenn alle fest an einem Strang ziehen,

kann es gelingen, gemeinsam die größte mögliche Selbstbe-

schädigung zu erreichen. Die Grünen beweisen es grade.“

Schneidend gesagt, aber treffend wie meistens. Mitleidend oft, aber

immer begründet, historisch, politisch und literarisch,

nicht bloß in Kommentaren, durchaus in Aktionen

artikuliert er ihn, seinen Einspruch. Ich nenn’ auch das Lichtermeer,

Einhalt gebot es der fremdenfeindlichen Hetze der Krone und

Haiders. Die beiden Huemers und André Heller waren

Köpfe dahinter, mit andren. Es hat die Zivilgesellschaft in

ihm eine Säule, man darf das im Hause wohl sagen, in diesem

Bau voller Säulen.


Les ich seine Schriften, steigt mein Respekt vor

Ihm, seinem Stil. Seine Themen sind von zentraler Bedeutung

Kann man es lieben, sein Land? Das Gestern, hört es nie auf?

Dummes von Philosophen, von Stararchitekten Korruptes

muss man es hinnehmen? Ist Politik allein als Provinzposse

denkbar? Lacht oder weint oder tobt man? Wandert man aus? Nein.

Cool bleibt Huemer, schreibt eine schöne, meist ernste Prosa,

schont nicht sich selber, befragt sich wie alle anderen auch. Da

ist kein Parlando, nichts Unverbindliches; eher ist’s ein Verfahren,

wird ein historischer Ablauf verhandelt, Huemer wäre der

Anwalt, Fürsprecher, niemals der Richter. Meist als Fragender

Tritt er öffentlich in Erscheinung, in großen Gesprächen,

sei’s im Theater mit letzten Zeugen oder mit Größen der

Gegenwart in aktuellen Foren, im Stadttheater

oder im Stadtgespräch. Die Kunst des Gesprächs, was wär sie,

wenn nicht Übung in Öffentlichkeit, im Substrat einer jeden

Demokratie. Der Austausch von Argumenten vor einem

Publikum, darum geht es. Die aber, die einem Fernseh-

Moderator das Fragen verbieten möchten, denen

denke ich, ist als Demokraten auch nicht zu trauen.

Gar nicht trauen wollen wir mit Huemer denen,

die das Niveau des Senders bedenkenlos senken, nur für

besseren Zugriff und ihre parteipolitischen Zwecke.


Vieles noch müsste ich nennen, geht um ein Lebenswerk es;

Partnerin Friedrun zuerst, die Preise, Freundschaften, Bücher –

Lehrtätigkeit an der Akademie für Film, fünfzehn Jahre,

neuerdings liest er am Institut für Zeitgeschichte –

zwangsläufig unkomplett bleib ich. Eins jedoch möcht ich erwähnen am

Ende: den Fußball. Kein geringe Quelle des Leides,

aber in diesem Jahr auch der Freude. Prägung ist alles,

Peter Huemer weiß es, im Fußball wird man geprägt und

kann sich seinen Verein nicht aussuchen; Wechsel wäre ein

Zeichen üblen Charakters, sagt er. Der LASK ist sein Schicksal.

Fragt man ihn nach der glorreichen Aufstellung, sagt er her sie

wie ein Gedicht, beginnend mit Kitzmüller, endend aber mit

Zechmeister. Heuer nun glänzt dem LASK das Glück eines Aufstiegs,

Freude dem Preisträger, aber auch Zeichen der Hoffnung, die Ära der

Dorfclubs neige dem Ende sich zu – der Mattersburg, Altach,

Wolfsberg und Ried – und mit ihr, wofür Huemer kämpft und

was wir ersehnen – die Herrschaft des Provinziellen im Lande.


Wünschen dürfen wir’s uns, und ihm, dem Geehrten, endlich

darf ich zum Preis, zum verdienten, herzlich nun gratulieren.


(Nachsatz, fünf Jahre später)

Niemand hat mich über das Öffentlich Reden gebildet wie

du, denn sorgfältig wägst du das Argument, wo meist nur

eitles Diskurstheater gespielt wird. Dafür dank ich

dir, Huemer, für Hunderte Abende voller Gedanken und

Funken, und wünsche dir für alles, was kommt, das Allerbeste.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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