Loblied auf Peter Huemer zu dessen Abschied vom Stadtgespräch
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 715
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Peter Huemer (rechts) moderiert das erste Stadtgespräch am 23. 3. 2006, mit Jean Ziegler Foto: Christian Fischer
Am Tag der Pressefreiheit vor fünf Jahren erhielt Peter Huemer den Lebenswerkpreis der Concordia. Fünf Jahre danach, fast auf den Tag genau, nahm er in einem letzten Falter-AK-Stadtgespräch, erstmals als Gast von seiner Nachfolgerin Barbara Tóth, Abschied von dieser Bühne, die er 15 Jahre lang zu einem bedeutenden Diskussionsforum der Stadt gemacht hat.
Die Laudatio, die ich damals für Peter Huemer halten durfte, ist nie erschienen, deswegen erscheint sie heute, ihm zum Abschiedsgeschenk, heute hier.
Damals war ich als Elegiker und Panegyriker noch weniger verrufen, weswegen ich eine kurze Warnung in Prosa vorausschickte:
„Ich habe mich entschlossen, ab heuer meine Preisreden nur mehr in Versform abzufassen, und zwar in Hexametern. Ich bin mir der Gefahr der Verwildgansung bewusst, nehme sie aber in Kauf.
Aus mindestens fünf Gründen:
Erstens kann der Spezialfall der etwas in Verruf gekommenen Preisrede ein wenig formale Disziplin vertragen.
Zweitens konnte ich feststellen, dass die gebundene Rede bei der Zuhörerschaft mehr Aufmerksamkeit beansprucht als Prosaisches.
Drittens interessiert sich die mediale Öffentlichkeit in Österreich für Reden sowieso nicht, man braucht also keine mundfertigen Zitate anzubieten.
Viertens ist es eine Herausforderung für mich, auch in dieser Form zu sagen, was ich will.
Fünftens zeigt es dem Preisträger, dass ich mir für ihn wenigstens ordentlich Mühe gegeben habe.
Die Versform verlangt bei manchem wörtlichen Zitat kosmetische Eingriffe, wie leichte Umstellungen, dafür bitte ich um Verständnis.
Ebenso bitte ich Sie und den Geehrten um Nachsicht, sollte ich Ihnen mit meinem Versuch auf die Nerven gehen.“
Peter Huemer, das Lebenswerk. Lebenswerkpreise, ich weiß, ein
Hauch von Abschied umweht sie, als wären Nachfolgewerke
ungewiss. Trauer, Wehmut und Müdigkeit breiten sich aus. Doch
nicht so in dem Fall. Frisch und kampfeslustig ist Huemer,
darüber werd’ ich noch reden. Peter Huemer ist ORF-ler vor
allem. Aber zuerst und zuvorderst Historiker ist er.
Davon und von seinem ersten Buch will am Anfang ich sprechen.
Zehn Huemer könnt’ ich euch rühmen; in gebotener
Kürze versuch ich’s. Hier ist die Aufzählung, erst taxativ nur.
Peter Huemer können wir preisen als Fernsehmann, Radio-
Moderator, Gespräche öffentlich führend, musterhaft,
sonder Zahl. Des weiteren Buchautor, Kommentator,
Intellektueller, öffentliche Person, in allem
Haltung bewahrend, einspruchsfreudig und ungehorsam,
civis austriacus, seltenes Exemplar eines Bürgers.
Bürger im Sinne von Citoyen, der fasst, in Huemers
Worten, nicht bloß sein eigenes Interesse ins Auge,
sondern in seinem Engagement auch das größere Ganze.
„History, history, we fools, what do we know or care!“ Ja,
William Carlos Williams, amerikanischer Dichter,
sprach diesen Satz, doch hatte Huemer er nicht auf der Rechnung.
Hier ist wahrlich nun einer, der weiß und sich kümmert. Vergessen –
wann ist es möglich? Versöhnung, kann sie je glücken? Wäre in
Österreich anderes möglich gewesen als die Verdrängung
nach Fündundvierzig? Nein, sagt Huemer, es musste so kommen,
dennoch kein Grund, sich einverstanden damit zu erklären.
Tief, sehr tief reicht der Schacht der Geschichte. Huemer zitiert Thomas
Mann, der „unergründlich“ ihn nennt. Was Huemer nicht hindert,
gründlich zu sein bei dessen Erforschung. Diese beginnt nach dem
Weltkrieg, dem Ersten, im postimperial gewordenen Österreich.
Robert Hecht, ein Jurist, Sektionschef in Republik Eins, er
half, die junge Demokratie zu zerstören. Der junge
Peter Huemer zeichnet es nach, das tragische Werk dieses
Bürokraten. Tragisch, denn Robert Hecht war Jude, kam
neunzehnachtunddreißig in Dachau ums Leben, fast seine
ganze Verwandtschaft ging im Orkus der Nazis zugrunde.
Wörter finden in diesem Buch wir, die wir uns merken. Ent-
Politisierung des Heeres, im Neusprech nannte man so die Um-
Politisierung. Mit Hilfe juristischer Tricks säubert Hecht das
republikanische Heer von sozialdemokratischen
Elementen. So wird es, das unpolitische, nun zum
Werkzeug der Christlichsozialen. Als solches erst macht es den folgenden
Februar-Bürgerkrieg möglich. Was scheinbar unpolitisch,
umso stärker wirkt es politisch. Erinnert uns das nicht an
unsere Zeit? In dieser ent-politisiert’ man den Rundfunk,
nur um ihn besser lenken zu können. Man mag aus Geschichte
lernen auf mancherlei Weise. Aus Erfahrung dumm, sagt Karl
Kraus. Huemer beschreibt präzise, wie Hecht die neue
Demokratie zerstörte, immer mit Mitteln des Rechtsstaats.
Klar ist diese Beschreibung, genau, und an Einzelheiten
reich. Man hört ihn auch reden in diesem Buch, den Huemer,
Thesen stellt er auf, Verfahren kündigt er an, etwa
derart: „Wir werden im Folgenden das zu beweisen haben“
Oder: „Es fügt sich gut, dass wir in der Lage sind, akten-
mäßig“ den Fall zu belegen, wie Dollfuß und Hecht zusammen-
wirkten, beim Staatsstreich auf Raten, wie sie den Verfassungsgerichtshof
lähmten. Das alles ist bei ihm minutiös geschildert,
Zweifel zulassend, Einwände mitformulierend; den Stil
nenne rhetorisch ich. Vor der Leserschaft breitet der Autor sein
Material aus, als spräch’ er vor einem Forum. Wenn er mir
sagt, dieses Buch sei „das Beste, was er je gemacht“, nicht „geschrieben“, ich
kann es verstehen. Das Opus ist monumental, das Thema aber
bildet das Grundmotiv seines Lebens; drei Wörter sind es,
weiß und groß gedruckt auf dem Cover des Buches: Österreich,
Demokratie und Zerstörung. Fürs erste, gegen das dritte, mit
demokratischen Mitteln – das Werk, das wir preisen.
Einundvierzig geboren in Linz, studiert er in Wien, wo ihn
interessierte, in eigenen Worten, wie die Geschichte des
Landes zurechtgebogen wurde nach fünfundvierzig im
Hinblick aufs Interesse der großen Koalition. Bloß –
dabei mitzumachen kam für Historiker seines
Alters nicht in Betracht. Ein Benimm-Buch der Perlenreihe
riet: Nazithemen sind zu vermeiden, man spreche
besser vom Wetter. Das war Neunzehnsiebenundfünfzig und folgende.
„Nation- Building by Verdrängung“, so könnte man’s nennen,
dafür war Peter Huemer gar nicht zu haben. Doch grade
weil ihn Heimatliebe geprägt hat, versteht er’s, zu differenzieren,
selbstkritisch eigene Grenzen zu sehen und zu benennen, den
Austrozentrismus, der damals die Nazizeit nicht in den Blick nahm.
Zeitgeschichte. Danach verschlug’s ihn zum Fernsehn. Der Bacherfunk
war’s, bei Claus Gatterers Sendung Teleobjektiv stieg er
ein. Dieser Gatterer war Historiker, eigensinnig und
streng. Im berührenden Nachruf zitiert Huemer das Motto des
Älteren: „Fernsehen, würde von Ängstlichen es für Ängstliche
Nur gemacht, verlöre den Sinn.“ Er wüsste kein besseres
Motto, ergänzte Huemer. Und was sagt uns das? Ist heute
Fernsehen weitgehend sinnlos? –
Nach Gatterers frühem Krebstod
kommt der Club 2. Huemer leitet die Sendung, längst ist sie
Mythos, ein jeder Fernsehtalk findet heut noch an ihr seinen
Maßstab. Zu Recht. Denn eines war der Club 2 sicher nie, dank
Peter Huemer: ängstlich. Die Hinsichtl-Rücksichtl-Praxis, mit
der sie heute die Runden besetzen, furchtsam bedacht, keinen
auszuschließen, der dem Direktor dann zürnen könnte und
schaden bei dessen Wahl! So entschlummern sanft vor dem Schirm wir,
oder wir zappen nach Deutschland. Es lebe der Sender der Nation, der
immer wieder vergisst, was er soll. Aber da ist Huemer,
allzeit bereit, ihn öffentlich wieder daran zu erinnern;
kaum einer ist wie er dazu legitimiert; er stritt mit
Bacher, solange er unter dem Tiger am Werk war; danach erst
wurden sie halbwegs Freunde. Einerseits sah Huemer wohl
klar, was der O-R-F war, nämlich „Zentralanstalt für die
Modernisierung des Landes“ (Formulierung Huemer).
Andererseits war’s nicht Bacher, der ihn hinauswarf aus dem Club
Zwei. Ein politkommissarischer Intendant war’s, seinen
Namen kann man vergessen. Im Falter hieß es: „Wie zufällig
Fällt der Verfall dieser Sendung mit der Verabschiedung ihres bis-
herigen Leiters Doktor Peter Huemer zusammen.“ Ein
fulminantes Toben sei es gewesen, erklärte der
Doktor, in einer Gummizelle, öffentlich einsehbar.
Soziale Prozesse hätten hier sich gespiegelt, das
sei ja nicht nix. Ein jeder fand hier seinen Konflikt, und
streitbar-optimistisch konnte geredet werden, in den
Kreisky-Jahren, den mittleren. Emanzipation war das
Stichwort, bald stumpfte es ab; so wird die Geschichte des Landes
Mitte der Achtziger Jahre zum Thema des Clubs, noch vor Waldheim.
Wichtiger war aber eines: die Diskussion als Modell der
Demokratie, als Insel im Sender, als hierarchiefreies
Vakuum. Elf Jahre lang simulierte man öffentlich hier die
radikale Demokratie – das war schon was. Wir
hoffen doch immer, Medien machen es wirklich, ihr Wunschbild.
Radio folgte, die Serie „Im Gespräch“ auf Ö1. Eine
bildende Serie, denn sie bildete einen Stil; doch auch
hier ging etwas im ORF-Stil zu Ende. Huemer wäre
trotz Pension gern geblieben, aber die Generalin
wartete mehrere Wochen, bis er woanders zugesagt
hatte; danach war’s vorbei mit Huemer im ORF. Der braucht seine
Besten am wenigsten, wie wir ja wissen. Freilich hat unser
Preisträger seinen Sender niemals vergessen; droht dem Öffentlich-
Rechtlichen etwa Gefahr, ich sagt’ es, Huemer
steht schon parat. Zivilcourage nennt man’s, die Initiative
S-O-S O-R-F, hier sei sie erwähnt. Das alte
Leiden: Es sinkt das Niveau, es steigt der Druck der Regierung.
Zweitausendsechs war’s, es kommt uns bekannt vor. Schon wieder steigt der
Druck. Bei Bedarf ist ganz sicher mit Peter Huemer zu rechnen
Querulantisch nennen das jene, die nicht verstehen, was
Bürgersinn wirklich bedeutet. Nämlich, sich einzumischen,
Widerspruch anzumelden, wo Dinge geschehen, die jeder
ablehnen muss, dem Staatsbürgerschaft was bedeutet. Leider
schweigen die meisten; nicht aber Peter Huemer, sein Sprechen
hat gute Gründe. Kein schönes Licht wirft es auf unsere Spezies,
dass wir lieber gehorchen, unserm Gewissen zuwider, als
dass wir widersprechen. Das fällt uns schwerer, berichtet im
Buch „Unterwerfung“ Huemers Essay. Untertitel des
Buches: „Über den destruktiven Zwang zum Gehorsam.“
Ungehorsam ist konstruktiv, und jeder irrte, der
meinte, hier würde bloß Trotz propagiert. Nein, Huemer weiß
wohl zu argumentieren, wogegen er ist. Er tut’s mit
Selbstironie, mitunter auch mit Sarkasmus. So schreibt er:
„Yes we Can. Wenn alle fest an einem Strang ziehen,
kann es gelingen, gemeinsam die größte mögliche Selbstbe-
schädigung zu erreichen. Die Grünen beweisen es grade.“
Schneidend gesagt, aber treffend wie meistens. Mitleidend oft, aber
immer begründet, historisch, politisch und literarisch,
nicht bloß in Kommentaren, durchaus in Aktionen
artikuliert er ihn, seinen Einspruch. Ich nenn’ auch das Lichtermeer,
Einhalt gebot es der fremdenfeindlichen Hetze der Krone und
Haiders. Die beiden Huemers und André Heller waren
Köpfe dahinter, mit andren. Es hat die Zivilgesellschaft in
ihm eine Säule, man darf das im Hause wohl sagen, in diesem
Bau voller Säulen.
Les ich seine Schriften, steigt mein Respekt vor
Ihm, seinem Stil. Seine Themen sind von zentraler Bedeutung
Kann man es lieben, sein Land? Das Gestern, hört es nie auf?
Dummes von Philosophen, von Stararchitekten Korruptes
muss man es hinnehmen? Ist Politik allein als Provinzposse
denkbar? Lacht oder weint oder tobt man? Wandert man aus? Nein.
Cool bleibt Huemer, schreibt eine schöne, meist ernste Prosa,
schont nicht sich selber, befragt sich wie alle anderen auch. Da
ist kein Parlando, nichts Unverbindliches; eher ist’s ein Verfahren,
wird ein historischer Ablauf verhandelt, Huemer wäre der
Anwalt, Fürsprecher, niemals der Richter. Meist als Fragender
Tritt er öffentlich in Erscheinung, in großen Gesprächen,
sei’s im Theater mit letzten Zeugen oder mit Größen der
Gegenwart in aktuellen Foren, im Stadttheater
oder im Stadtgespräch. Die Kunst des Gesprächs, was wär sie,
wenn nicht Übung in Öffentlichkeit, im Substrat einer jeden
Demokratie. Der Austausch von Argumenten vor einem
Publikum, darum geht es. Die aber, die einem Fernseh-
Moderator das Fragen verbieten möchten, denen
denke ich, ist als Demokraten auch nicht zu trauen.
Gar nicht trauen wollen wir mit Huemer denen,
die das Niveau des Senders bedenkenlos senken, nur für
besseren Zugriff und ihre parteipolitischen Zwecke.
Vieles noch müsste ich nennen, geht um ein Lebenswerk es;
Partnerin Friedrun zuerst, die Preise, Freundschaften, Bücher –
Lehrtätigkeit an der Akademie für Film, fünfzehn Jahre,
neuerdings liest er am Institut für Zeitgeschichte –
zwangsläufig unkomplett bleib ich. Eins jedoch möcht ich erwähnen am
Ende: den Fußball. Kein geringe Quelle des Leides,
aber in diesem Jahr auch der Freude. Prägung ist alles,
Peter Huemer weiß es, im Fußball wird man geprägt und
kann sich seinen Verein nicht aussuchen; Wechsel wäre ein
Zeichen üblen Charakters, sagt er. Der LASK ist sein Schicksal.
Fragt man ihn nach der glorreichen Aufstellung, sagt er her sie
wie ein Gedicht, beginnend mit Kitzmüller, endend aber mit
Zechmeister. Heuer nun glänzt dem LASK das Glück eines Aufstiegs,
Freude dem Preisträger, aber auch Zeichen der Hoffnung, die Ära der
Dorfclubs neige dem Ende sich zu – der Mattersburg, Altach,
Wolfsberg und Ried – und mit ihr, wofür Huemer kämpft und
was wir ersehnen – die Herrschaft des Provinziellen im Lande.
Wünschen dürfen wir’s uns, und ihm, dem Geehrten, endlich
darf ich zum Preis, zum verdienten, herzlich nun gratulieren.
(Nachsatz, fünf Jahre später)
Niemand hat mich über das Öffentlich Reden gebildet wie
du, denn sorgfältig wägst du das Argument, wo meist nur
eitles Diskurstheater gespielt wird. Dafür dank ich
dir, Huemer, für Hunderte Abende voller Gedanken und
Funken, und wünsche dir für alles, was kommt, das Allerbeste.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher