Kunstnotizen als Kriegsnotizen. Von der Biennale in Venedig.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 709

Armin Thurnher
am 22.04.2022

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Foto: © Irena Rosc

In den Giardini, den Gärten von Venedig stehen die festgemauerten Pavillons mit ihren nationalen Ausstellungen, was allerlei Anlass gibt, sie infrage zu stellen. Der deutsche Pavillon stellt naturgemäß seine Baugeschichte in Frage, denn die Nazis haben ihn aufgehyped, die Künstlerin Martina Eichhorn dekonstruiert seine Baugeschichte. Im skandinavischen Pavillon stellt der finnische Staat die wehrhafte Volksgruppe der Samen aus, die sich in bunten Trachten bemühen, ihren Kampf gegen den finnischen Staat und für ihre traditionellen Hirten- und Jagdrechte sicht- und greifbar zu machen. Den Vogel schießt dieses Jahr Russland ab. Der russische Pavillon ist ein Inbild des Boykotts, der Stille und der Gefahr. Er ist geschlossen, und während überall die Artsie-Fartsies mit Gläsern in der Hand herumstehen und wichtig tun, stehen vor ihm ein paar gelangweilte Carabinieri und halten Wache.


Die Kuratorin, die Künstlerinnen, die Staatssekretärin Foto: © Irena Rosc

Als Österreicher macht man sich pflichtgemäß zum Josef-Hoffman-Pavillon auf und schaut, wie sich die Kunstnation diesmal präsentiert. Ich glaube, ich kann es in einem Satz zusammenfasen: Der Wiener phantastische Realismus ist dreidimensional geworden und wohnt als Kunstharz noch immer unter uns. Das ist alles sowas von genderfluid, dass es einem Altsack wie mir ein bisschen hinten vorbeigeht, aber das sagt nur etwas über mich. Die Kunststaatssekretärin und die Kuratorin waren auch da und gaben eine Pressekonferenz. Darauf konnte ich nicht warten. Am Österreicherinnenfest am Abend konnte ich nicht teilnehmen, weil ich erstens vermutlich nicht eingeladen war, weil ich zweitens nie hingegangen bin und weil ich drittens etwas anders vorhatte.


Scuola delle Misericordia Foto © Irena Rosc

In der Scuola della Misericordia im Stadtteil Cannaregio eröffnete nämlich die Ausstellung der Ukraine. Im riesigen, fassadenmäßig nie vollendeten Bau des Renaissancearchitekten Jacopo Sansovino, der auch Teile des Markusplatzes gestaltete, organisierte jetzt die Stiftung des ukrainischen Oligarchen Wiktor Pinchuk und seines PinchukArtCenter die Austellung der Ukraine. Außen ist das monumentale Gebäude mit riesigen Postern und Quadern blaugelb markiert, innen bietet es auf zwei Etagen ukrainische Kunst und internationale Spitzenstars wie Olafur Eliasson und Marina Abramovic, diese mit einer Videoinstallation eines Totentanzes.

Der junge ukrainische Künstler Nikita Kadan hat zerschossene Wegweiser und andere zerstörte Gegenstände aus dem Donbas 2015 und aus Kiew 2022 zu einem brisant aktuellen Objekt versammelt. Hunderte Fotos von Müttern gefallener Kinder bedecken eine ganze Wand. Aus dem Nationalmuseum Lviv stammt eine Madonna des Barockkünstlers Stefan Medytsky, Schutzpatronin der Kosaken, und nun der ukrainischen Armee. Sie hänge hier, informiert das Schild, um die Bitte nach einer No-Fly-Zone zu verstärken.

Pinchuk selbst war anwesend und moderierte die Veranstaltung, assistiert von Roberto Cicotto, Direktor der Biennale, die sich insgesamt an die Seite der Ukraine stellt; von Luigi Brugnaro, Bürgermeister von Venedig, der selbst ukrainische Flüchtlinge aufnahm; von Anastasia Gulej, einer 97jährigen ukrainischen Überlebenden der Naziherrschaft, die jetzt nach Deutschland flüchtete; und von der Sängerin Tina Karol, jetzt in Diensten der ukrainischen Armee, welche die ukrainische Nationalhymne sang. Als Höhepunkt wurde ein Video des ukrainischen Präsidenten Selenskyj eingespielt.

Die Botschaft aller Reden lief darauf hinaus: Die Ukraine kämpft für den Frieden, Kunst muss Teil des Krieges sein. Wir brauchen mehr Waffen, jetzt. Wir kämpfen für eure Freiheit. Kunst, sagte Pinchuk, müsse die Entscheidungsträger beeinflussen, dass sie mehr Waffen schicken. Der Applaus der Anwesenden war allen sicher. Slava Ukraini.

Ich konnte nicht klatschen. Ich kann auch dem gerechtesten Krieg keinen Beifall spenden.

Von links: Dolmetscherin, Bürgermeister, Oligarch, Biennaledirektor Foto © Irena Rosc

 

Zweifellos ist die Ukraine im Recht. Aber wenn die Kunst, von ihren reichsten (Oligarch Pinchuk ist einen Blick in Wikipedia wert) und mächtigsten Exponenten wie dem Direktor der Biennale angeführt, sich in den Kriegsdienst begibt, dann wird mir anders.

Kunst darf sich niemals in den Dienst des Kriegs stellen (der Journalismus übrigens auch nicht), sie hat ihn anzuklagen (er hat zu berichten und zu kritisieren).

Recht wird andererseits nicht Unrecht, nur weil es von Oligarchen vertreten wird. Das Sympathische an den Ukrainern ist, sie machen kein Hehl daraus, dass der Krieg auf allen Ebenen läuft, blutig im Schützengraben, unblutig als Informationskrieg und ja, auch an der Kunstfront. Als Sympathisant, ja Parteigänger der Ukraine weiß man es zu schätzen, wenn sich die Nebel um die Oligarchenstruktur der Ukraine lichten, und Leute wie Pinchuk oder sein Rivale Abramchuk, der gerade Asovstal einbüßte, als politische Hauptfaktoren hervortreten.

Doch wieder war da dieser unaushaltbare Zwiespalt, der diesen Krieg begleitet. Es ist tragisch, was ja bedeutet: es gibt keinen Ausweg. Das Unrecht auf Seiten Putins. Jeder Tote einer zuviel. Sein Zynismus, die Gräueltaten seiner Truppen. Der Wunsch, die Ukraine möge den Krieg gewinnen.

Aber wo ist der Wunsch, mehr Energie auf einen würdevollen Frieden zu richten, das heißt, Putin einen Weg aus der selbstgestellten Falle zu bieten? Darauf mehr Energie zu richten, macht vielleicht weniger Freude, als mit dem Weinglas in der Hand auf bellizistischen Veranstaltungen zu applaudieren. Aber es wird nicht anders gehen. Das dachte ich, als ich die schön restaurierten Fresken des Veronese an der Wand sah, vor denen der Oligarch und sein Präsident das Kunstvolk zum gerechten Krieg aufriefen.


Die Biennale ist dennoch wenigstens optisch etwas oligarchenfreier geworden. Es sind keine obszönen Jachten mehr vor den Giardini vertäut, es ankern keine vor der Punta Dogana, auch keine Kreuzfahrtschiffmonster. Sonst aber kann man zwischen west- und östlichen Oligarchen wählen: Marlene Dumas bei François Pinault im Palazzo Grassi. Oder (Anti-)Kriegskunst bei Wiktor Pinchuk in der Misericordia. Die Welt wird in ihrem Kampf für Demokratie immer oligarchischer. Auch dieses Paradox kann man bei der Biennale studieren.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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