Elegie auf Hermann Nitsch
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 707
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Hermann Nitsch, mit schweren Tönen beginn ich die Klage.
Gestern war’s, wir fuhren zur Biennale, zur Sammlung der
Artsies nach Venedig, da kam die Nachricht von deinem
Tode. Unzeitig kommt er immer, der Schnitter, doch diese
Koinzidenz war recht bitter. Schwer ist die Kunst, und blutrünstig
war die deine dazu, nicht dem Aktuellen gewidmet, dem
Tag und dem feinen Gemauschel der Kenner und Händler und Artsies.
Jünger wolltest du haben, Prophet sein, Gesamtkunstwerke
schaffen mit Blut und Gedärm, mit Gepauk und Gelärm und Gerüchen.
Rausch sollt es sein, dein Gewerk, nicht Kritik, Diskurs und anderes,
was sich so zeigt bei den Schauen der Kunst. Ich will das nicht werten.
Gebe Persönliches hiermit bekannt: deine Musik, die
ging mir nur auf die Nerven. Deshalb vielleicht: wir beide
wurden am Stammtisch nie warm. Und als ich einmal bei deinem
Pfingstspaziergang in Rausch geriet und Ekstase, mit Gipsy
Walzer tanzend abends, als Vernissage-Gäste standen mit
Achteln, gepflegt konversierend, und wir Berauschte rauschten
in sie hinein, und wieder und wieder, den Schwung der geneigten
Kellergasse nützend, da schrittest du ein, ein Ordner
gegen den Rausch. Das hab ich mir doch gemerkt, wiewohl das
schlechte Benehmen ganz meins war. War so berauscht, dass ich
umfiel beim Pinkeln auf einer Böschung. Ich nehm dir’s nicht übel.
Groß ist die Anekdote, die mir Hans Hurch überliefert.
Galerie Insam, in Siebziger Jahren, Köllnerhofgasse.
Aktion Nitsch. Man wühlte wieder in Därmen, es floss das
Blut. Der Meister in weißer Schürze, Orgie, Jünger und
freche Hunde, die einzelne Därme packten und warfen beim
Fenster hinaus aus dem vierten Stock in die Köllnerhofgasse.
Funkstreife war die logische Konsequenz. Vier Stockwerke
hoch wohl stapften die braven Beamten und klingelten an der
Tür. Sehr lange öffnete niemand. Dann du. Da standest in weißer
Schürze, bärtig und blutig und hinter dir ein Raum dessen
Boden bedeckte ein Blutsee, darin Gedärme schwammen und
Jünger standen, stumm. Da verschlugs den Polizisten die
Rede, und erst nach einer überlangen Minute
fragte der eine: „Wer hot denn dees gmocht?“ Und wieder war Schweigen.
Dann sprachst in die Stille gelassen du die goldenen Worte:
„Des waaß niemand!“ Damit war alles gesagt, und Amtshandlung
nimmermehr möglich.
Mann in Schwarz, du hattest ein Faible für
Religion, für türkise Politiker, Oligarchen und
Potentaten. Ich trag’s dir nicht nach. Denn stark war die Kunst und der
Rest war dir wurscht. Auch dass die Rechten wollten „Äh weg“ dich,
buchen wir weder auf Soll noch auf Haben. Saftig warst du, und
saftig gedenke ich deiner. Wäre ich Kunstminister, ich
mietete einen Helikopter, füllt’ ihn mit Blut und mit
warmen Därmen voll Scheiße und kippte das Ganze über den
Artsie-Fartsie-Hofmann-Pavillon in den Giardini,
über die Haute-Volée und die unekstatisch Begeisterten.
Denken wird man sich’s dürfen, und so gedenke ich deiner,
Mann in Schwarz, verstockter, verbockter, bocksgesangiger
Blutpriester, Schütter von Gnaden und österreichisches Inbild:
Kleine Geister, große Söhne, du begnadet für das Schöne.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher