Kriegsnotizen. Tiere im Krieg. Hunde, die nicht sterben wollen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 706

Armin Thurnher
am 19.04.2022

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Filmplakat © Wikipedia

Es gab einen deutschen Antikriegsfilm, der hieß „Hunde, wollt ihr ewig leben“. Er wurde in den 1950er Jahren gedreht und sollte den Wahnsinn von Stalingrad schildern, wo verrückte Oberbefehlshaber ihre Untergebenen ins Gefecht und in den Tod durch Erfrieren schickten, als es schon lange nichts mehr zu gewinnen gab, nicht einmal mehr einen Mythos.

Das Wort stammt angeblich vom Preußenkönig Friedrich I., der seinen vor den österreichischen Truppen (!) flüchtenden Kerlen angeblich zurief: „Wollt ihr ewig leben?“ Ewig nicht, aber noch ein bisschen länger.


Stalingrad, diese Metapher wird jetzt auf Asovstal angewandt, jenes riesige Stahlwerk in Mariupol. Asovstal, das „Magnetogorsk des Südens“, den Stolz der Sowjetunion, in dem sich die letzten ukrainischen Regimenter verschanzt haben. Verschanzen kann man sich in dem riesigen Werksgelände, weil es zahlreiche unterirdische Gänge besitzt.

Die wechselhafte Geschichte dieses Werks auf Wikipedia zu studieren ist erhellend, auch für die wechselnden Schicksale in diesem Land. Der letzte Besitzer, der Oligarch Rinat Akhmetov, galt als russenfreundlich und Zelenskyj-kritsch, hat aber spätestens nach Putins Invasion einen Schwenk vollzogen und hofft auf den Wiederaufbau und die erneute dominierende Stellung seines Riesenwerks auf dem Weltmarkt nach der kompletten Zerstörung. Niemals, sagte er, würden seine Firmen mit einem russischen Besatzungsregime kooperieren. Seit Februar ist Akhmetov unbekannten Aufenthalts in der Ukraine.

„Während Akhmetov eine Zukunft für Azovstal als Ort einer weiteren industriellen Renaissance sieht, diesmal unter einem ukrainischen Marshallplan, bereiten sich in den Tunneln seiner Fabrik ukrainische Marinesoldaten der 36. Brigade, eine große Anzahl von Kämpfern der Azov-Brigade, Soldaten der 56. Infanterie Brigade sowie Grenzschutz und freiwillige Kämpfer allem Anschein nach darauf vor, bis zur letzten Kugel zu kämpfen“, schreibt der Ökonom und Historiker Adam Tooze in seinem hier bereits empfohlenen Blog. Und fügt hinzu: „Was sie umzusetzen scheinen, ist nicht der Marshall-Plan, sondern etwas, das eher Stalingrad gleichkommt.“ In ein paar Jahren sehen wir die kritische Netflix-Serie dazu, mit uns in einer peinlichen Nebenrolle.


Die chinesischen Hunde, auch sie scheinen mir ein unabweisbares Zeichen für unsere Epoche. Die Chinesen reden gerne von Tianxia, der quasi monarchischen Weltherrschaft, die sie mit ihrem System anstreben und in der wir alle chinesische Vasallen werden, Putin allerdings vor uns.

Ich gebe es zu, das Schicksal der Shanghaier Hunde, erschlagen, weil ihre Herrchen und Frauchen in Quarantäne mussten, erschüttert mich noch immer. Desgleichen der Gedanke an den Roboterhund „Tausendjähriges Ei (preserved Egg)“, der, ein Megaphon auf dem Rücken, die Straßen der Stadt und die Gänge der Wohnhäuser Shanghais patrouilliert und Menschen mit metallischer Stimme zu Corona-Tests herausbellt. Unter solche weise Herrschaft, sei sie von noch so altehrwürdiger philosophischer Tradition gestützt, und komme sie über Seidenstraßen aller Arten zu uns, kann man sich nicht beugen.


Und dann die Tiere in der Ukraine. Man liest ja selten davon, was Tieren bei Katastrophen geschieht. Von uns abhängig, sind sie alleingelassen, unfähig sich selbst durchzubringen. Oder sie verbrennen angebunden in ihren Ställen, verhungern, brüllen ungemolken vor Schmerz. Tiere in der Ukraine, da denke ich nicht nur an die Schoßhündchen an der mexikanischen Grenze oder in den SUVs westlicher Hauptstädte, oder an den rührenden Anblick alter Schäferhunde, die ihre Besitzer auf der Flucht mittragen. Da denke ich auch an die Millionen Hühner und Schweine und andere massengehaltenen Nutztiere, deren Existenz uns in diesem Krieg so wenig kümmert wie sie uns davor kümmerte, als sie als Massengeflügel, Flüssigei im Tank und anderes zu uns kamen.


Manchmal denke ich, macht Tierleid das menschliche Leid erst wirklich fühlbar. Was immer das über unsere Verfassung aussagt, ich meine über unseren menschlichen Zustand.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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