Frohe Ostern, den Menschen, den Hunden, den Robotern.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 705

Armin Thurnher
am 16.04.2022

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Ich finde ihn nimmer und nimmermehr. Meinen Osterfrieden. Was für Wörter! Abnützungskrieg zum Beispiel. Gräueltaten. Begrenzter Atomschlag. Massengrab. In Schutt legen. Die Tage beginnen mit Frontberichten, das Töten geht weiter, und das wird noch lange so bleiben.


Früher war Osterfrieden ein Festtag der Friedenbeswegung. Privat war er eine leichte Übung. Da fuhr man am Karsamstag mit dem Fahrrad zu den Kapuzinern zur Beichte und flüsterte einem Silberbart, der einen garantiert nicht kannte und vermutlich, so hoffte man, schwerhörig war, ins vergitterte Halbdunkel hinüber ein paar lässliche Sünden. Worauf der einem die voraussehbar milde Buße von „zwei Vaterunser, zwei Avemaria und bereue es“ auferlegte. Das Kapuzinerkloster in Bregenz ist längst geschlossen. Und wem sollte ich beichten, wie tief mich die chinesischen Roboterhunde irritieren, die auf den Straßen von Shanghai gemeinsam mit Polizeidrohnen und alten roten, nunmehr passenderweise weißen prügelnden Garden aus der Kulturrevolution nach dem Rechten sehen, nämlich danach, dass der Lockdown eingehalten wird? Und wenn wer in Quarantäne muss, erschlagen Sie das Haustier. Wen Bilder von asiatischen Lebendtiermärkten nicht in Unruhe versetzen, schon dem ist nicht zu helfen. Die Vorstellung der erschlagenen besten Freunde des Menschen setzt mir wirklich zu. Angeblich gibt es Videos. Sie können das Entsetzen nur mildern, das ist vielleicht ihre Aufgabe.

Roboterhund in Shanghai Foto © Weibo


In scharfem Kontrast dazu stehen die Hundegeschichten von Flüchtenden aus der Ukraine. Die New York Times widmen  der Story von Ukrainerinnen, die sich mit ihrem Hund Eddie bis nach Mexiko durchgeschlagen haben und die amerikanische Grenze nicht überschritten hätten, wenn sie ihren Hund wegen fehlender Tollwutpapiere nicht hätten mitnehmen können. Es ist rührend, aber doch selbst als herzwärmende Geschichte etwas außerhalb der Proportion, wie man in den USA sagt, out of proportion. Wenn man seitenlang von Wegen liest, wie die lieben Tierchen doch noch in die USA kommen (es gibt amerikanische Staatsbürger, die Hilfe leisten, weil sie mit ihren Haustieren nicht überprüft werden, die bringen die Hunde über die Grenze und geben sie danach ihren Eigentümerinnen zurück), fragt man sich schon, ob man im richtigen Film ist. Verstehen Sie mich nicht falsch, bitte, ich weiß als ehemaliger Lebensgefährte eines Hundes, dass ein solcher den meisten Menschen charakterlich vorzuziehen ist. Aber offenbar brauchen wir Hunde, um die menschlichen Dimensionen zurückzugewinnen. Die sind überall verrutscht, sie kennen meine Klage über den richtigen Kriegston. Längst ist mir klar, woher die Klage rührt: den richtigen Kriegston gibt es nicht. Es gibt nur einen Kriegston, nämlich den, jeden Krieg zu verurteilen.


Über Tiere im Krieg hat Matthias Dusini im Falter eine schöne Recherche gemacht. Bleiben wir noch einen Augenblick beim Hund. Als Bild der Menschlichkeit verbietet er die Frage nach Proportionen. Jedes Schicksal ist wichtig, und bei so viel Leid, wie es durch einen Krieg über die Betroffenen kommt, kann man nicht immer die Proportionen treffen. Der Robodog von Shanghai und seine erschlagenen Brüder und Schwestern aus Fleisch und Blut sind einerseits bestürzender Vorgriff auf eine Zukunft unter einem chinesischen Imperium, und andererseits sind sie selbstverständlich pure Ideologie im Kampf um die Weltvorherrschaft. Nur für den Fall, dass jemand die Chinesen, die neuen Herren Russlands, vermutlich die wahren Gewinner der Krise, als attraktiv empfinden möchte und die US-Oligarchen als nicht so sehr attraktiv.


Unser Ukraine-Verständnis ist, was Fähigkeit zum Differenzieren betrifft, unter der Übermacht der öffentlichen Meinung in die Knie gegangen und wimmert nur noch. Ukraine-Kritik, Nato-Kritik, Kriegs-Kritik, wie immer solidarisch gemeint, ist in der Situation, da sich die westliche Öffentlichkeit in sich selbst embedded hat, ganz einfach nicht erwünscht. Ob solche Sprachregelungen und Kritikverbote jemals in Demokratien jemandem genützt haben, sei dahingestellt. Jetzt herrscht ein scharfes pro-ukrainisches Sprachregime. Die überaus eloquente Kolumnistin Samira El Ouassil vermag sich im Spiegel seitenlang über die Anmaßung des deutschen Präsidenten Steinmeier zu echauffieren, der Ukraine gegenüber sanft die Augenbraue zu heben, weil sie ihn auslud. Sunt certi denique fines, sagt man angeblich unter Juristen auf Latein. Dieser Satz hat mir immer gut gefallen, und ich pflegte ihn bei Fußballspielen der Unterklasse zu anzuwenden, wo er vom Gegenüber stets wertschätzend aufgenommen und nur mit angemessener physischer Gewalt beantwortet wurde.


Dass die Ukraine alles Recht zur Gereiztheit hat, wird niemand bestreiten, der bei Trost ist. Dass ukrainische Politiker und Diplomaten jede Karte ausspielen, die sie haben, um an Waffen und wirtschaftliche Unterstützung zu kommen, ist durchaus verständlich. Man muss sich aber nicht aus seinen Paradoxa verjagen lassen. Man kann zugleich gegen Krieg sein und der Ukraine aus vollem Herzen den Sieg wünschen. Zu oft fällt derzeit Teil Eins dieses Satzes unter den Tisch. Der Eifer, mutmaßliche Ukraineskeptiker zu maßregeln, nur weil sie Kriegsskeptiker sind, macht nicht einmal vor dem Papst halt, dem die ukrainische Kirche intensiv davon abriet, eine Ukrainerin und eine Russin wortlos gemeinsam bei einer Passionsstation auftreten zu lassen. Geht’s noch? Sollten wir den Russenverfolgungseifer nicht mit kleinen Reflexionspäuschen unsererseits ausstatten? Sind Natobeitritte und Dalli Dalli beim Panzernachschub wirklich die Krönung feministischer Außenpolitik? Ist der Pazifismus wirklich ein toter Hund? Da kann ich nur sagen: Ich liebe diesen führungsschwachen Kanzler (Scholz, nicht Nehammer. Scholz hat eh nur pronto das deutsche Verteidigungsbudget um 100 Milliarden aufgepeppt).


Krieg ist vom Übelsten, was sich der Mensch gegen den Menschen einfallen lässt. Er muss beendet werden, zu würdigen Konditionen. Darauf, nicht auf seine Verlängerung, sollten sich alle Energien richten. Energien, das Stichwort greife ich gar nicht auf, sonst sinkt meine Laune weiter. Wir feiern ja Ostern, und da darf – der in Jerusalem sichtbar werdenden religiösen Verschärfung zum Trotz – Hoffnung nicht fehlen. In diesem Sinn darf ich Ihnen einen glänzenden Text empfehlen. Er stammt von einem deutschen Spitzenjuristen. Thomas Fischer schrieb, schon am 1. April, wiederum im Spiegel: „Dass das eigene Kriegsziel immer das wahrhaft moralische sei, gilt für alle Seiten und ist ein erwartbares Narrativ; man muss sich darüber nicht erregen. Nun hat in Deutschland eine wahrlich erstaunliche Militärbegeisterung Platz gegriffen…“, und er plädiert nicht gegen Solidarität, er plädiert für einen klaren Kopf.


Beides möchte ich mir bewahren, Solidarität und klaren Kopf, und ich wünsche zu Ostern, es möge uns allen gelingen. Friede den Menschen, Hunden und Robotern auf Erden.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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