Resistentia minor. Elegie auf Josef Ramaseder

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 704

Armin Thurnher
am 15.04.2022

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Josef Ramaseder! Wir kannten uns lange. Freund von

Freunden. Falter-Gründung, da warst du, schlaksig, groß und mit

riesigen Händen, einem freundlichen Lächeln im übergroßen

Antlitz, Augen, alles groß, und die Kleidung merkwürdig

altmodisch modisch zugleich, und das Lächeln verlegen über den

Spruch, diesen frechen, der dir soeben entkommen. Hast du das

wirklich gesagt? Ja, manchmal schien mir, du warst dir selber nicht

sicher. Siegfried hießest du übrigens damals, das kam dir

gar nicht zupass. Du nanntest dich Josef, mit sehr langem O, und

darauf hast du bestanden. Das bübische „Ramses“ galt dir für

nichts. Medizinstudent, Adresse: Rokitansky-

Gasse, ein Großer des Fachs, wie du wusstest. Studieren sah man dich

nie, und doch hast du jede Prüfung gemeistert mit „sehr gut“.

Rudi Molacek: Josef Ramaseder, 1994, NYC

Genialisch, den Eindruck konnte von sich man nicht weisen, dein

listig-bäurischer Charme schien das noch einmal zu betonen.

Mühe machte das Studium allen, nur dir nicht. Dir aber

ging es um Kunst. Daher auch dein Interesse am Falter.

Josef Ramaseder: Cover für Falter 10/1977

Nie jedoch schriebst du darüber, spartest auch recht mit eigenen

Werken. Ein Cover gab es, zum Thema Krebs, so gefällt’s der

Bizarrerie unsres Schicksals. Damals ging’s gegen Atomkraft, am

Ende holt’ dich der Lungenkrebs. Du wusstest Bescheid, als

Arzt, der du warst, hinterließest die Angelegenheiten in

Ordnung, hattest mehr Zeit dafür als du dir selber

zugemessen, Monate acht, besorgtest noch Pilze für neue

Sporenbilder, und schlossest ab die Ausstellung, letztmals.

Josef, wie frisch war die Welt, als wir beide uns kannten!

Fußball, durch Zufall kam es heraus, du spieltest bei VÖEST in der

Jugend, warst Meister sogar, da warst schon gekapert für unseren

Unterligaverein. Ein paarmal kickten gemeinsam dort

wir. Deine großen Schuhe, dein großer Körper, ungeschlacht

torgierig warst du und unverlegen beim Spiel, erst danach kam die

Scheu, die alte, die listige, wieder zum Vorschein. An ein frühes

Kunstwerk erinnere ich mich, für den Falter zu Weihnachten. Vorn drauf war

Lenin mit Kindern unter dem Baum (das schlechtestverkaufte

Cover aller Zeiten) und drinnen auf Seite zwei ein

zartes Bäumchen aus lauter Schamhaaren, liebevoll aufgelegt

auf den Kopierer. Als du es brachtest, das Blatt, da strahlt’ es, „your

roundy face“. Und mir schenktest du einen Holzschnitt, mit Unschulds-

Miene gegeben. Er zeigte Ulrike Marie, die Meinhof.

So etwas hängte man sich nicht ungestraft an die Wand. Ich

tat es, nicht aus politischen Gründen, wegen der Trauer in

ihrem Gesicht und weil es von dir war, eine Erinnerung.

 

Julian Schnabel, Portrait of Josef Ramaseder, 1983

Bald danach gingst du fort, nach New York, wo du die große

Laufbahn versuchtest. Zwar glänzend fing’s an, bei Julian Schnabel warst

Schammes du (oder Assistant), aber Assistance zum Ruhm, die gab’s

nicht. Was es gab, war das gruftige Loch auf der Westside, in dem du

aushieltest, Wohnung halb, halb Atelier, der Blues sub terra samt

Substandard, wie für Manhattan gehörig. Ausstellungen gab’s wohl

ehrenvolle, zehn Jahre Abenteuer und durchaus ein

Name, den du dir machtest. Von dem was du maltest, sprachst nun mit

Ernst du und mit Nachdruck. Wenig war da von der alten

Ironie. „Enkaustik“ nennen Ästhetinnen, was du zu

deinem Malprozess machtest, Wachs übers Bild und dieses mit

Feuer gelöst, ein Brandmal des Sehens hätt’ ich als Laie

rasch es genannt, aber du warst lang schon wie alle wichtigen

Maler im Widerstreit mit der eigenen Geste. Schönes zum

Vorschein zu bringen ist nur noch möglich, machen wir dabei dem

Malprozess den Prozess. So sagt man. Ich war nicht dabei, und

kenn deine Kunst aus Berichten, aus deinen und aus den versierten

Schriften von Kennerinnen. Der Markt, auf den alles ankommt, den

hast du wohl nicht bezwungen. Nichtsdestotrotz gilt deine

Kunst als bedeutend; wir hätten wohl gut uns gefunden bei deinen

„Teletext-Bildern“. Schrift, das versteh ich auf Anhieb. SLEEP WELL,

MISTER PROCRUSTES, ein Text, der sich drängt an die Ränder, Schrift als ein

Bild, das mag ich. Schön die Idee deiner Sporenbilder, in

denen gewisse Pilzsporen selbsttätig fortwachsen, zart sich

emanzipierend vom Schöpfer.

   Der ist nun nicht mehr bei uns, zu

jung gegangen, der Kunst-Arzt, einer von vielen Künstler-

Ärzten, ich denke an Benn und euer beider Zug zum

Leid. Als Junge sprachen wir manchmal über das Ende.

Locus minoris resistentiae, dieses Wort mir

mitzuteilen, machte dir ein Vergnügen. Es meint den

Ort, an dem der Tod in uns eintritt. Durch die Lunge

hat er nun dich betreten, Josef. Dein Atem fort. In der

Kunst, die du uns gelassen, wachsen weiter die Sporen.


Josef Ramaseder O.T. (Sporenbild, Ausschnitt) 2014

Josef Ramaseder, 12.2.1956 – 23.3.2022


Mein Dank für Hinweise und Hilfe an:

Albrecht Grossberger

Pia Müller-Tamm

Walter Prieschl

Thomas Stelzer

Otto Tremetzberger


Abbildungen (bis auf das Falter-Cover) aus

Josef Ramaseder: HOW ARE YOU? © SCHLEEBRÜGGE.EDITOR 2015


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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