Kriegsnotizen. Ungern gestellte Fragen. Privatistische Auswege.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 702

Armin Thurnher
am 13.04.2022

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„Wenn wir in der Geschichte bestehen wollen, uns in den Spiegel schauen können wollen, müssen wir ein vollständiges Energieimport-Embargo möglich machen! Warum? Aus der EU flossen seit Kriegsbeginn ungefähr 35 Milliarden Euro für Energieimporte nach Russland. Das bedeutet, dass wir pro Tag eine Milliarde Euro, davon aus Österreich sieben Millionen, nach Russland für unsere Importe bezahlen. Damit wird die Kriegskassa Putins gefüllt. Dieses Geld ist die Achilles-Ferse Putins.

Ja, auch wir werden einen Preis zahlen müssen. Schon jetzt belasten die hohen Energiepreise viele Menschen und Unternehmen können nicht kostendeckend produzieren. All das haben wir im Blick zu haben. Dies ist aber in keinster Weise mit dem zu vergleichen, was die Menschen in der Ukraine gerade durchmachen.“ Schreibt Othmar Karas, erster Vizepräsident des europäischen Parlaments, immerhin. Auch wenn wir den Superlativ von „kein“ für überflüssig halten: So unterscheidet sich der Blick des Euro-Österreichers von dem des Austro-Österreichers. Ich aber sage euch: nur ein Euro-Österreicher ist ein guter Österreicher.


Meine Bemerkung gestern, man möge Windräder bedachtsam bauen, hat gleich mehrere Reaktionen hervorgerufen. Naturgemäß war niemand dagegen. Mein Volkskorrektor berichtete, er habe an norwegischen Fjorden Windräder gesehen und sie schön gefunden. Ein anderer Leser bat mich, eine Initiative in die Welt zu rufen, damit Windräder dort gebaut würden, wo die Landschaft eh schon hin ist, also entlang von Autobahnen und dergleichen. Ich verstehe ja alles, den Imperativ, jetzt könnt ihr euch aber nicht mehr widersetzen, doch nicht so ganz. Wir brauchen Wind- und Sonnenenergie, gewiss. Die sich dem ökologischen Imperativ widersetzten, wurden früher Betonierer genannt, auch Landschaftsversiegler, Autobahnfetischisten, Atomkraftwerksbauer. Dass jetzt die Gegenseite auf ihre Weise die Landschaft begeistert technisiert, leuchtet mir trotzdem nicht ein. Ich verstehe den Nutzen von Sonnenkollektoren, finde aber Quadratkilometer von ihnen am Stück einen mäßig erfreulichen Anblick. Sind da Kompromisse denkbar, oder ist es ökologische Maschinenstürmerei, überhaupt eine solche Frage zu stellen?


Scilla Siberica

Was ist mit dem Frühjahr? Nein, man kann es nicht genießen, es ist wie mit den Brecht’schen Bäumen. In unserem alten Garten wächst es durcheinander, da wachsen auch kleine, blaue Glockenblumen, die man hier „Russenblumen“ nennt. Scilla Siberica, deshalb. In unserem Haus hausten einst die Russen, sogar die Kommandatur befand sich hier. „Museum“ schrieben sie auf ein Schild, in kyrillschen Buchstaben. Zündeten aber dann doch ein Feuer in einem der Zimmer an, dessen Schäden man noch immer sieht. Die Russen waren Befreier, damals. Ihr Philosoph war Karl Marx, verschärft durch Lenin und Stalin. Heute haben sie Kommandanten wie Herrn Kadyrow und Philosophen wie die Herren Iljin und Dugin. Und die von ihnen „Befreiten“ liegen in den Massengräbern von Butscha und Mariupol.


Ich merke, dass mir selbst das Schreiben über die privaten Toten schwer fällt. Eine Elegie zu verfassen war noch vor Monaten eine Angelegenheit von Stunden, ein frisches Schmerzgemälde, rasch gepinselt. Jetzt spüre ich Hemmungen. Ich bin dennoch dran an der Elegie auf meinen Freud Josef Ramaseder. Habe mir dafür den Karfreitag vorgenommen.


Man muss kurz den Kopf herausnehmen aus diesem manischen Kriegsgetriebe. Wenigstens war jetzt Gartenarbeit möglich. Entschädigt für die Sprech-, ja Frageverbote, die man sich selbst auferlegt. Selbst Christian Wehrschütz artikuliert in seinen Berichten so etwas wie das Bedürfnis nach ausgleichender Gerechtigkeit. Von den ukrainischen Helden, für die ich den österreichischen Gasverzicht fordere, von denen fordere ich nach dem Ende des Krieges Korruptionsverzicht. Das wird so schwer wie Unmenschlichkeitsverzicht für Putin. Als sie in der ZiB1 das Asowsche Regiment „ultranationalistisch“ nannten, zuckte ich zusammen, weil ich „internationalistisch“ verstanden hatte. Asow hie, Kadyrow dort, was soll man sagen.


Bach hören, ich sagte es. Die unbeholfenen Texte der Barockpoeten, die so unbeholfen oft nicht waren. Aber im Bachschen Fall, wo es galt, Bibeltexte musikalisch zuzureichen, oder sie so zuzurichten, dass Johann Sebastian sie klingen lassen konnte, waren sie es. Und es ist so egal. „Mein Vater, ist es nicht möglich, dass dieser Kelch an mir vorübergehe…“ Im Angesicht des kriegerischen Massenmordens sind solche Klagen Trauerbezeigungen, die noch möglich sind. Man kämpft um die Würde seiner Restemotionen und verzagt am Entgleisen der Formulierungen, an der Plumpheit der Propagandatrittbrettfahrer und an der Hilflosigkeit der Wohlmeinenden. Dann hört man, wozu menschlicher Geist und menschliche Stimme imstande sind und weiß: In keinster Weise dürfen wir die Hoffnung aufgeben. „Denn wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen.“


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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