Kriegsnotizen. Heroismus. Das Ende der Oligarchen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 699

Armin Thurnher
am 09.04.2022

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Erleben wir gerade den Versuch, eine neue Geisteshaltung zu etablieren? Der dekadente Westen leidet ja am gleichen Problem, das Putins Amtsvorgänger Boris Jelzin dem postsowjetischen Russland attestierte: keine Ideologie. Oder vielmehr, eine bestrittene Ideologie, eine absichtsvoll camouflierte Ideologie, die doch alles Leben und Streben im Westen bestimmt (naja, fast alles). Die heimliche Kraft des Neoliberalismus. Dagegen die Kraftlosigkeit demokratischer Ideale.


Jetzt aber richten wir uns auf. Am Helden Selenskyj. Heroismus: Warum nicht? Schon Kinder lernen das, in Sagenbüchern oder Fantasy-Produktionen. Wenn es gute Heroen oder Heroinen sind. Sind Heroen immer gut? Mitnichten. Achill ist fast ein Halbgott, aber auch ein Arschloch, lässt vor Troja Myriaden Griechen verbluten, weil er beleidigt ist. Erst als sein Liebhaber und Freund Patroklos getötet wird, wacht er auf und steigert sich zum wehrwilligen Zorn. An Putins Denunzierung der Homosexualität erkennt man übrigens, dass es mit seinen archaischen Bezügen nicht so weit her ist. Schwule und Nazis meinte er in Kiew vorzufinden, mit denen würden er und seine richtigen Männer schnell fertig. Da wurde nichts draus.


Hingegen lernt man ein altes Wort wieder zu gebrauchen: Tücke. Die Angriffe auf Zivilisten, die Massaker, der Gräueltaten, die man dann kaltblütig versucht, dem Gegner in die Schuhe zu schieben, das ist tückisch. Wer diesem Mann noch etwas glaubt, ist selber schuld. Ein Problem bei diesem Krieg aber ist offenbar, dass Putin glauben muss, er habe ihn gewonnen. Oder glauben muss, er könne das glaubhaft machen. Nach allem, was wir über ihn wissen, kommt es darauf an.


Linke Heroen gibt es nicht mehr. Das Unheroische und die Linke haben sich zu einem Amalgam verbunden. Alles, was versucht hat, das zu übersteigen, entgleiste, in Terrorismus, Autoritarismus, wurde korrupt oder kleptokratisch. Die letzten linken unheroischen Heroen hatten noch ihre Widerstands- oder Verfolgtengeschichte mit dem Nationalsozialismus; danach war nur mehr Business heroisch. Der Businessheros in moderner mythischer Form: der Oligarch.


Asymmetrie der Information. Beinahe ist man froh, wenn einmal eine ukrainische Gräueltat bekannt wird. Der Grundsatz, dass es nicht Unrecht rechtfertigt, dass man sich gegen Unrecht verteidigt, ist im ungerechten Angriffskrieg nicht außer Kraft gesetzt. Klar, es gibt das Grundrecht auf Selbstverteidigung, aber es steht nicht geschrieben, dass dazu nur legitime Mittel gestattet sind, wenn der Gegner tückisch vorgeht. Gerade weil das so ist, kann und darf man seine Kriegsskepsis nie verlieren. Schwierigste Aufgabe: zu denen zu halten, die im Recht sind, ohne sich und andere dabei ins Unrecht zu setzen.


Der frontgegerbte ORF-Berichterstatter Christin Wehrschütz seufzte gestern in der ZiB1, es sei nicht mehr möglich, in diesem Krieg differenziert zu berichten, Grautöne zu schildern, es gehe nur mehr um Schwarz-Weiß. Nicht neu: Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst.


Die Führenden der Europäischen Union, in der Euphorie, ihre Völker des guten Zwecks wegen ausnahmsweise fast kampfbereit hinter sich zu sehen (mit Ausnahme Österreichs, wir sind gasneutral), laufen übrigens Gefahr, geopolitische Kollateralschäden anzurichten. Der Ukraine schnelle Beitrittshoffnungen zu machen, geht gegenüber den Balkanstaaten zu weit, bei denen Putin ebenfalls Interessen verfolgt.


Bei allem Heroismus und aller Psychologie darf man die strategischen Interessen der Beteiligten nicht vergessen, auch wenn wir sie heute nicht weiter ausführen, da wir ja vom Heroismus reden. Eine Art des Heros ist der Oligarch, sagte ich vorher, und ich hoffe, hier das Imperfekt gebrauchen zu dürfen: war der Oligarch. Im Westen gibt es zwar zehnmal mehr von ihnen, und sie sind auch nicht immer auf legitime Weise an ihr Riesenvermögen gekommen: Diebstahl, Steuervermeidung, Gesetzesgestaltung, Lobbyismus und Staatskorruption haben ihnen mitunter geholfen. Ihre Macht ist im Westen größer als unter Putin. Gut, wenn wir diese Symbolfigur unserer Gegenwart weltweit nun in Frage stellen. Falls wir das tun.


 

Jeremy Deller: „We sit starving amidst our gold“. William Morris rammt Roman Abramovichs Jacht in die Lagune, Druck, britischer Pavillon Biennale 2013

Zum Abschluss eine Anekdote. Bei der Biennale di Venezia vor ein paar Jahren, 2013, lag noch die Jacht des russischen Oligarchen Roman Abramowitsch ostentativ am Kai vor dem Ausstellungsort, den Giardini, riesengroß, obszön, absichtlich protzend. Der englische Künstler Jeremy Deller machte sie aus Zorn zum Kunstwerk. Er zeigte ein wandgroßes Bild des sozialistischen englischen Jugendstilkünstlers William Morris, der als Riese in der Lagune steht und die Jacht Abramowitschs ins Meer rammt.


Die Anekdote hat eine Pointe. Im englischen Pavillon konnte man sich selbst einen Druck von diesem und einem zweiten Werk Dellers herstellen. Die Leute stellten sich an, meine Frau natürlich vorn dabei. Sie druckte die riesige Kornweihe, die den Landrover des Prinzen Harry (er hatte eine geschützten Kornweihe/Hen Harrier geschossen) in den Klauen davontrug, und den wütenden Morris. Weil uns der Druck so gut gefiel, beschloss sie am nächsten Tag, noch ein paar Exemplare anzufertigen, als Mitbringsel. Doch siehe da: das Sujet mit der Jacht war verschwunden. Nur das mit Prinz Harry war noch da. Die Macht der Oligarchen reichte bis in die Biennale hinein.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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