Kriegsnotizen. Das explodierende österreichische Moraldefizit und ein Vorschlag zur Lösung der Krise.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 698

Armin Thurnher
am 08.04.2022

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Ich musste die Einladung ablehnen, am Sonntagabend in einem TV-Sender über Medien und Krieg zu diskutieren (nein, natürlich nicht im ORF); meine Position wäre es gewesen, zu verteidigen, was ich im Falter dieser Woche vorbrachte, nämlich dass ich nicht verstehe, wie man gleichzeitig Putins Krieg finanzieren und die Unausweichlichkeit dieses seines eigenen Tuns beklagen kann.

Austroschlaucherltum höchsten Grades!

Nun hat sogar Mario Draghi, ein Goldman-Sachs-gegerbter Neoliberaler, Ex-EZB-Boss und nunmehriger Italienischer Regierungschef gesagt, er sehe nicht ein, dass man nicht die Klimaanlage ein wenig abschalten könne, wenn es helfe, Putin zu besiegen.

Da kennt er die österreichische Regierung schlecht. Wir sind abhängig vom Gas, deswegen können wir nicht raus aus unseren Lieferverträgen. Ich frage nicht, wer uns dorthin gebracht hat. Die Frage wollen wir uns aber merken, wenn es später einmal um energiepolitische Grundsätze geht.

Derweil geht das österreichische Glaubensbekenntnis so: Wasch dem russischen Bären den Pelz, aber mach nicht uns nass!

Es ist schon toll, wie sich alles, was Grüne und Klimabesorgte in den letzten Jahren gefordert haben, nun auch als realpolitisch vernünftig herausstellt. Nur, machen kann man halt nix davon. Oder nicht gleich.

Die Alternativen sind wenig erfreulich, aber man sollte sich doch fragen, was man tun kann. Italien hat leicht reden, es ist auf Alternativen besser vorbereitet, hat andere Pipelines und ist weniger gasabhängig.

Was aber kann man sich von einem Staat erwarten, der erst auf anschwellende Zurufe stufenweise seine moralischen Wertungen entdeckt? Russische Diplomaten ausweisen, ja, aber nur vier und nur nach langem Wehgeschrei. Sanktionen ja, aber aus dem Gas kommen wir nicht raus. Alles, nur nicht unser Gas! Aus Kohle ja, die brauchen wir eh nicht. Aber Öl und Gas nie. Öl vielleicht, unseretwegen. Aber Gas – ein no go!

Also, was kann man sich von Staat und Regierung erwarten, außer dass der Finanzminister per Gastkommentar jenen Eid leistet, der offenbar längst den Amtseid ersetzt: den Offenbarungseid?

Man kann doch erwarten, dass die regierenden Damen und Herren ein Exit-Szenario vorlegen. Als Student arbeitete ich als Kostenrechner bei Shell und addierte mit dem Bleistift lange Zahlenkolonnen – der Computer war noch nicht verallgemeinert – mit verschiedenen Varianten: Ausfall Jugoslawien, Schiff, Bahn etcetera. Man wusste also schon in grauer Vorzeit, dass Energielieferungen gewissen Schwankungen unterworfen und Krisen ausgesetzt sind. Später, als der Ölschock kam, sagte Bruno Kreisky, das Volk solle halt zum Nassrasierer greifen um Strom zu sparen, und verordnete uns einen autofreien Tag, nach freier Wahl, immerhin (man hatte den Tag an der Windschutzscheibe zu kennzeichnen).

Wir kennen den Rahmen allgemeiner Schätzungen. Ein Verzicht auf russisches Gas würde maximal sechs Prozent des BIP kosten. Etwa so viel wie Corona. Eine Rezession, ok. Aber was heißt genau, dass es diesmal andere Betriebe träfe? Welche, bitte? Wer würde arbeitslos, welche lebensnotwendigen Produkte würden fehlen?

Hofburg, prospektiver Sitz des KDÖ Foto: bwag

Ehrenvorsitzender, Gastgeber und Zurverfügungsteller der Sitzungsräume wäre der Bundespräsident, der ist ja auch Ökonom. Politberater und Kommunikatoren werden von diesem Gremium ferngehalten. Pressekonferenzen sparsam und auf Klartext beschränkt. Mediensprecher werde ich (ein Jahr lang mach ich es).

Die Regierung verspricht, sich dem KDÖ zu unterwerfen und hat nur ein Vetorecht, wenn das KDÖ Maßnahmen setzt, die dem Erreichen notwendiger Klimaziele zuwiderlaufen. Das KDÖ wird nicht bezahlt, aber wenn seine Arbeit getan ist, bekommt jedes Mitglied eine KDÖ-Plakette für Verdienste um die Republik und einen Steuernachlass ehrenhalber. Den sollte uns unsere kollektive Moral doch allemal wert sein.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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