Kriegsnotizen. Mehr starke Männer. Massaker. Ist es der Weltkrieg?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 694

Armin Thurnher
am 04.04.2022

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Es beginnt eine neue Woche der starken Männer in der Welt. Die Hoffnung auf eine Wahlniederlage des Putin-Freundes Viktor Orbán erwies sich als stark übertrieben. Unfaire Wahlen bringen selten faire Resultate. In Serbien war ebenfalls kein anderes Ergebnis zu erwarten gewesen. Demnächst kommt Slowenien. Das Massaker von Butscha und der Verdacht, es sei kein Einzelfall, verschärfen die Lage in Putins Krieg gegen die Ukraine. Die Welt sieht nach diesem Sonntag schlechter aus als vorher.


Ungarn: Mit Medienmacht kann man die Welt so darstellen, wie man will. Orbán konnte offenbar seine Freundschaftsbilder mit Putin mühelos durch die Lüge ersetzen, die Opposition würde Ungarn in den Krieg hineinziehen. Man misstraue Informationen von jeder Seite, bis man sie als zuverlässig verifizieren oder als unzuverlässig zurückweisen kann (Das schreibe ich in Unkenntnis des Wahlergebnisses, nur in der Befürchtung, dass die nach Auszählung der Hälfte der Stimmen bekannten Ergebnisse halten. Nichts wäre schöner, als würde ich mich irren).


Eine interessante Interpretation des Kriegs liefert der neoliberale Kommentator der New York Times, Thomas L. Friedman. Er schreibt, der Krieg in der Ukraine sei der erste wirkliche Weltkrieg, denn via Social Media könne die Welt nun nicht nur das Geschehen teilnehmend beobachten (Friedman tut so, als wäre das ein objektiver Blick, als würde nicht doch irgendwo irgendwer entscheiden, wer was sieht). Die Welt könne den Krieg auch mitfinanzieren, über Kryptowährung oder sogar über airbnb-Buchungen, die man bezahlt, aber nicht in Anspruch nimmt. Und auch die Wirkungen des Kriegs seien so global wie nie zuvor: die Rohstoffknappheit, Weizenengpässe und Düngemittelmangel, die sich auf Afrika auswirken; und die Finanzverflechtung, die Putin mit der Tatsache konfrontiert, dass ein guter Teil seines Geldes bei ausländischen Banken geparkt ist, die es eingefroren haben.

Gewiss, alles, was heute geschieht, ist global. Sollte man glauben: denn wären die Kriege in Syrien, in Libyen, in Afghanistan, im Irak mit derart intensiver globaler Aufmerksamkeit bedacht worden, wären sie anders ausgegangen? Ist dieser Krieg nicht doch ein fataler Fall von Eurozentrismus? In einer ORF-Sendung sah ich eine junge Austro-Syrerin, die empört sagte, sie und Ihresgleichen hätten einiges über den Umgang der russischen Armee mit zivilen Bevölkerungen mitteilen können, etwa über das In-Schutt-Legen von Städten oder den Gebrauch von Giftgas. Dann wären syrische Flüchtlinge ja doch zu etwas nützlich gewesen, sagte sie bitter.


Thomas L. Friedman war übrigens einer der wenigen Kommentatoren, die eingestanden, dass die Schuld an diesem Krieg klar bei Putin lag, dass die USA und die Nato dabei aber keineswegs „innocent Bystanders“ waren. In Diskussionen mit Freunden stelle ich fest, dass sie nicht einmal bemerken, dass Bellizismus und Kriegslüsternheit doch stark den Ton angeben. Wo siehst du Kriegsbegeisterung, fragte mich ein Freund. Und als ich ihm ein flagrantes Beispiel zeigte, meinte er, es sei ein Einzelfall. Dazu wäre zu sagen, dass es – den Autor der Kolumne eingeschlossen – kaum jemanden gibt, der nicht gute Ratschläge hat, wie Putin in die Knie zu zwingen wäre. Der Chefkommentator der Financial Times, der überaus beachtliche Martin Wolf schrieb zum Beispiel, er käme schmerzvoll und langsam aber doch zum Schluss, dass die Nato kämpfen werde müssen, Atomkrieg hin oder her. Wolf ist eine besonnenere Stimme. Ähnliches ist von vielen Seiten zu hören. Der angelsächsische Raum ist voll davon, das linke Spektrum inklusive.


Wer auch nur Bedenken gegen jede Art von Krieg äußert, wird niedergemacht. Selbst ein unschuldiges öffentliches Gespräch über Pazifismus, das ich mit Michael Fleischhacker in der Kleinen Zeitung führte (wir versuchten beide, dabei nicht naiv zu sein) wurde auf Twitter kommentiert, als würden wir die Hinschlachtung ziviler Opfer in der Ukraine billigend in Kauf nehmen. Dabei redeten wir nur darüber, ob Pazifismus als politisches Modell ausgedient habe. Wir waren natürlich nicht einer Meinung, aber ein differenzierter Blick auf die historischen Errungenschaften des Pazifismus zeigt, dass er eine durchaus kämpferische Sache sein kann – Kampf ja, Krieg nein, so drückte es einer seiner Protagonisten aus.

Wie auch immer: als Pazifist muss man fragen, ob „unsere“ Sanktionen wirklich so gestaltet sind, dass sie Putin treffen, oder nicht eher vor allem so, dass sie „uns“ nicht weh tun? Und ob der Westen, wenn es ihm wirklich nur um den Sieg von Freiheit und Demokratie zu tun ist, nicht die Frage stellen müsste, wir er seinen Reichtum umorganisiert, um die durch Gas- und Ölverzicht aus Russland entstandenen sozialen Härten für die weniger Vermögenden und die Unterschichten abzufedern? Umverteilung für die Freiheit der Ukraine, vielleicht sogar ganz Europas, wie ständig behauptet wird? Am Ende auch Russlands? So lange das nicht geschieht, und so lange nicht offen darüber gesprochen wird, misstraue ich solchen Beteuerungen über die Ziele dieses Kriegs.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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