Reden wir übers Impfen. Weil es wirkt. Wie es wirkt.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 689

Armin Thurnher
am 29.03.2022

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In dieser Folge schildert Epidemiologe Robert Zangerle anhand der bestürzenden Unterschiede zwischen Neuseeland und Hongkong, wie und warum die Impfung gegen Covid wirkt. Er stellt eine neue Studie aus Großbritannien vor und stellt sich die Frage, ob er (70) fast sechs Monate nach der dritten sich nun eine vierte Impfung geben lassen sollte. A. T.

»Die Impfung gegen Covid wirkt. Und wie. Eindrucksvoll, gleichzeitig beklemmend, wenn man nach Hongkong und Neuseeland schaut, Beispiele für Länder, die bisher eine Strategie verfolgten, wenig bis keine Infektionen mit SARS-CoV-2 zuzulassen, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem im Prinzip die Bevölkerung praktisch durchgeimpft ist. Omikron machte es solchen Ländern besonders schwer, weil die rasante Ausbreitung der Omikron Variante auch auf die kürzere Inkubationszeit zurückzuführen ist. Lag diese für die ursprüngliche Variante bei durchschnittlich fünf Tagen und für die Delta-Variante bei vier Tagen, beträgt sie für Omikron nur noch drei Tage (bei BA.2 vielleicht sogar nur bei 2,5 Tagen). Bei beiden Ländern spielte TRIQ (Testen, Rückverfolgen, Isolation und Quarantäne) bisher eine wesentliche und wirkungsvolle Rolle. Bei einer Inkubationszeit von nur drei Tagen ist es für die Nachverfolgung schon fast zu spät, wenn man das Testresultat erhält. Das erklärt auch, warum Hongkong oder Länder wie Neuseeland nun plötzlich in Bezug auf die hohen Inzidenzen am Anschlag sind.

Ganz entscheidend in Bezug auf die gesundheitlichen Auswirkungen dieser extrem hohen Inzidenzen ist dann der Impfstatus der Bevölkerung. Während Neuseeland eine hohe Impfrate der älteren Bevölkerung aufweist und entsprechend wenig Todesfälle zu beklagen hat, war in Hongkong zu Beginn der Omikron-Welle nur ein Drittel der über 80-Jährigen geimpft. Die Folgen waren desaströs: Hongkong weist derzeit die höchste Todesrate auf, die in der ganzen Pandemie je verzeichnet wurde. In Hongkong ist die Corona-Sterblichkeit derzeit 50-mal höher als in Neuseeland. In Hongkong ist knapp die Hälfte der über 70-Jährigen doppelt geimpft. Unter den Bewohnern von Hongkonger Altersheimen, in denen das Coronavirus besonders wütete, sind es gerade einmal 15 Prozent. Und die, die geimpft wurden, haben meist chinesische Impfstoffe bekommen, deren Schutz schlechter ist als der von mRNA Impfstoffen. In jüngeren Altersgruppen ist die Impfquote deutlich höher, von den 20- bis 59-Jährigen sind fast 90 Prozent mindestens zweimal geimpft.

Gründe für die Zurückhaltung der Ältesten gibt es zahlreiche. Fehlendes Vertrauen in die Regierung und Falschinformationen dürften eine wesentliche Ursache sein. Als die Pandemie ausbrach, sah Hongkong die schwersten Bürgerproteste als Ausdruck tiefen Misstrauens gegen die Führung. Eigentlich hatte Hongkong die besten Voraussetzungen, auch diese Krise zu meistern. Die chinesische Sonderverwaltungszone ist reich, die Infrastruktur hervorragend und das Impfprogramm für jeden Bürger kostenfrei. Impfdosen der Hersteller Sinovac und Biontech/Pfizer waren ausreichend vorhanden. Hongkong hat den Vorteil von No-Covid verspielt.

Die meisten Menschen, die jetzt in Neuseeland während der Omikronwelle positiv getestet werden oder mit COVID ins Krankenhaus eingeliefert werden, sind geimpft worden, ganz einfach deswegen, weil 94 % aller über 12-Jährigen zwei oder mehr Impfdosen erhalten haben. Die Ungeimpften (5% der Bevölkerung) machen 20 % der Krankenhauseinweisungen aus. Da praktisch jeder über 75 geimpft ist, diese Menschen aber viel häufiger eine Krankenhausbehandlung benötigen als Jüngere, lässt die sehr hohe Impfrate bei Menschen über 75 den Impfstoff scheinbar weniger wirksam erscheinen, als er tatsächlich ist. Die Zahl der Todesfälle ist vergleichsweise niedrig, und deshalb gibt die Regierung auch keine Aufschlüsselung nach Impfstatus bekannt. Die aktuelle Sterblichkeit pro Kopf Bevölkerung (5 Millionen Einwohner) beträgt im Augenblick die Hälfte von Österreich; über die ganze Epidemie hinweg ein Fünfzigstel von Österreich. Die Omikron Welle hat in Neuseeland dennoch zu großen Belastungen in den Krankenhäusern, aber auch in anderen Bereichen geführt. Ein Schock für Neuseeland, dass sich nun auch damit abfinden muss, dass das Virus dauerhaft im Land bleiben wird.

Wie aber hat Neuseeland es geschafft, so viele Menschen zu impfen, trotz der bisher sehr geringen Rate an Krankheits- und Todesfällen (unter 100 bis Anfang März 2022)? Eine neuseeländische Mischung von Vertrauen in die Regierung und strenge Maßnahmen (zwischenzeitliche Impfpflicht für mehrere Berufsgruppen und auch 1-2 G Eintrittslösungen). Premierministerin Jacinda Ardern kündigte zahlreiche Lockerungen ab 4. April an, verwies dabei auf hohe Impfraten und auf bessere Daten zur Identifizierung von Settings mit hohem Risiko und Modelle, die darauf hindeuten, dass der Omikron-Ausbruch des Landes Anfang April seinen Höhepunkt erreichen würde (seit 6. März Plateau). Sie lockerte nicht, weil eine kleine Gruppe von rabiaten Maßnahmengegnern gehört worden wäre.

Die Beispiele Hongkong und Neuseeland untermauern einmal mehr, dass Omikron per se keinen „milden“ Krankheitsverlauf zeitigt, sondern, dass die milderen Verläufe der Immunität durch Impfungen und durchgemachten Infektionen geschuldet sind. Omikron weist die Gefährlichkeit der ursprünglichen Variante auf. Eines wird dadurch aber auch sehr deutlich: in Hongkong hat sich in den letzten Wochen bis zu einem gewissen Maße das wiederholt, was sich in den frühen Tagen der Pandemie abspielte, als sich das ursprüngliche Virus in einer ungeschützten Population ausbreitete. Deshalb verwundert es, dass es immer noch Menschen gibt, die glauben, es wäre möglich gewesen, Covid im Jahr 2020 nicht so ernst zu nehmen. Aber Schweden? Dass Schweden im Frühjahr 2020 nicht adäquat gehandelt hat, ist nicht nur vereinzelt in kritischen Artikeln nachzulesen. Eine ganz offiziell von der schwedischen Regierung eingesetzten Kommission hält fest (auf schwedisch), dass im Frühjahr 2022 verspätet und ungenügend (z.B. auch Masken) reagiert wurde . Im weiteren Verlauf nahm Schweden vernünftige Korrekturen vor und hatte immer wieder strengere Bestimmungen als Österreich.

Zurück zur Impfung: die Beurteilung der Wirksamkeit von Impfstoffen gegenüber einem schweren Verlauf, im Augenblick meist gleichgesetzt mit einer Krankenhausaufnahme, wird schwierig, wenn sich unter den Aufgenommenen Personen befinden, bei denen eine Infektion mit SARS-CoV-2 zufällig entdeckt wurde (weil alle ins Krankenhaus aufgenommenen Patienten getestet werden). Wenn, so wie jetzt, viele Menschen sich gerade anstecken, ist diese Patientengruppe recht groß (20-50%). Aus diesem Grund werden Patienten, die wegen eines Unfalls ins Spital müssen, von solchen Analysen oft herausgenommen. Das ist aber zu wenig. Dies zeigt sich in den Schätzungen zur Wirksamkeit des Impfstoffs gegenüber Krankenhausaufenthalten, wobei Studienpopulationen mit breiten Definitionen für Krankenhausaufenthalte fälschlicherweise niedrigere Wirksamkeiten der Impfstoffe ergeben. Sie spiegeln mehr die Wirksamkeit gegenüber einer Infektion mit SARS-CoV-2 wider und eben nicht die Schutzwirkung vor einem schweren Verlauf (= Spitalaufnahme).

Definitionen von Krankenhausaufenthalten, die spezifischer für schwere Atemwegserkrankungen sind, sollten demzufolge höhere Schätzungen der Impfstoffwirksamkeit mit weniger Anzeichen für ein Nachlassen („Waning“) ergeben. Letzte Woche hat die UK Health Security Agency zum ersten Mal Analysen dazu veröffentlicht. Sie haben die Wirksamkeit der Impfstoffe in über 65-jährigen für drei Diagnosekategorien anhand eines Test-negativen Fall-Kontroll-Studiendesigns geschätzt (siehe Tabelle unten). Die erste Kategorie, ECDS (= Emergency Care Dataset), umfasst alle Einweisungen mit einem positiven Covid Test über die Notfallversorgung, mit Ausnahme von Verletzungen. Herzinfarkte oder Schlaganfälle sind da beispielsweise dabei. Die zweite Kategorie umfasst alle Aufnahmen in der Sekundärversorgung (SUS = Secondary Users Service) für mindestens 2 Tage mit einer Diagnose akute respiratorische Infektion (ARI). Die dritte Kategorie umschreibt einen wirklich sehr schweren Verlauf, nämlich alle Aufnahmen in der Sekundärversorgung (für mindestens 2 Tage mit einer Diagnose akute respiratorische Infektion (ARI) und Sauerstofftherapie, mechanische Beatmung oder ein Aufenthalt auf einer Intensivstation, auch ohne Beatmungshilfe.

Unter den 65-Jährigen oder Älteren erreichte die Impfwirksamkeit in der ECDS einen Höchststand von 92,4 % und fiel bis 15+ Wochen (105+ Tage in der Tabelle) nach der 3. Impfung auf 76,9 %; in der Kategorie SUS mit ARI lag die Impfwirksamkeit nach der 3. Impfung 91,3 % und sank nach 15 Wochen leicht auf 85,3 % ab; in der dritten Kategorie (Sauerstoff/Beatmung/auf der Intensivstation) reichte die Impfwirksamkeit nach drei Impfungen von 95,8 % bis hinunter zu 86,8 %. Bei den 18- bis 64-Jährigen (nicht in dieser Tabelle enthalten) sanken die äquivalenten Schätzungen der Impfwirksamkeiten von 82,4 % auf 53,6 %; 90,9 % auf 67,4 % und von 97,1 % auf 75,9 %.

Solche krankheitsspezifischere Einschränkungen der Definitionen von Krankenhausaufenthalten ergeben höhere Schätzungen der Impfstoffwirksamkeit und weniger Anzeichen für ein Nachlassen der Schutzwirkung. Dies erklärt sehr wahrscheinlich auch die höhere Wirksamkeit des Impfstoffs gegen Krankenhausaufenthalte bei über 65-Jährigen im Vergleich zu 18- bis 64-Jährigen, oder umgekehrt, das stärkere Nachlassen der Wirksamkeit bei den 18- bis 64-Jährigen. Auch die leicht niedrigere Wirksamkeit der Impfstoffe in dieser Gruppe erklärt sich wahrscheinlich genauso, weil in dieser Gruppe häufiger eine Krankenhausaufnahme aus anderen Gründen als Covid erfolgte und in den „schwereren“ Kategorien dieser Altersgruppe sich substantielle Anteile mit Immunschwäche befinden. Es scheint wenig Unterschiede in der Wirksamkeit der verschiedenen Impfstoffe gegenüber dem Schutz vor Krankenhausaufenthalt zu geben, weder für die Impfstoffe, die für die 3. Impfung verwendet wurden (Moderna oder Pfizer/BioNTech), noch für die Impfstoffe der ersten zwei Impfungen. Ob das wirklich so sein wird, wird man 1-2 Monaten wissen. Und es bleibt auch bei dieser verbesserten Analyse ein zwar nur geringer, aber doch ein Wirkverlust über 15 Wochen zu bestehen. Und was ist nach 26 Wochen? Wir lernen kontinuierlich dazu.

Also habe ich mir, letztes Jahr 70 geworden, vergangenen Samstag die 4. Impfung geben lassen, irgendwie zwischen unnötig und dringend. Die Kolleginnen, die mich impften, wussten es auch nicht besser. Wie auch. Ich aber wollte die 4. Impfung unbedingt, obwohl ich zwei Wochen zu früh dran war. In den Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums (NIG) steht:

Sinngemäß: Bei Personen ab 65 Jahren kann frühestens ab 6 Monaten nach der 3. Impfung auf persönlichen Wunsch (off-label) eine weitere Impfung angeboten werden. Die Frage, ob das Angebot für mich im Impfzentrum gilt, belastete mich dermaßen, dass man mir den Stress trotz oder wegen der Maske unschwer anmerken konnte. Die beratende Ärztin hat das gleich überzuckert und versucht, mich schnell zu beruhigen. Sie war hartnäckig genug, sodass die Beruhigung gelingen musste und ich nach aufklärenden und ermunternden Worten recht schnell eine Dosis Moderna erhalten habe.

Das nationale Impfgremium könnte ein Angebot auch freundlicher und offener für mehr Menschen formulieren. Deshalb ist es noch keine Empfehlung. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat die Ständige Impfkommission (STIKO) gebeten, die Empfehlung dahingehend zu überprüfen, ob die 4. Impfung auch Personen über 60 Jahre mit Risikofaktoren für eine schwerere Erkrankung empfohlen werden soll. Schweizer Experten, wie Manuel Battegay und Tanja Stadler formulieren ein Angebot anders: Bei einem Wunsch aus individuellen Gründen sollte eine zweite Auffrischimpfung einfach möglich sein.

Im Februar noch war ich mir sicher, dass die 3 Impfungen (2x Pfizer/BioNTech und einmal Moderna mit 100 µg) in optimierten Abständen (4 Wochen und exakt 6 Monate) mich mit ausreichend T Zellen und Memory B Zellen für einen langen Schutz vor schwerer Erkrankung gerüstet hätten. Deshalb habe für eine 4. Impfung erst an den Herbst gedacht. Was hat mich bewegt, mir nach 5,5 Monaten doch eine 4. Impfung verabreichen zu lassen? Stay tuned, morgen kommt der 2. Teil.« R. Z.


Fortsetzung morgen!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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