Nicht einmal den Knallkopf sollte man verlieren

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 671

Armin Thurnher
am 08.03.2022

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Aus der 82-teiligen Folge „Die Schrecken des Krieges“ von Francisco de Goya: „Es gibt niemand, der ihnen hilft.“

Erst hatte man nur einen vertrottelten Versuch eines österreichischen Wichtigtuers, der ein bisschen Aufmerksamkeit schinden wollte. Der Westen müsse IN der Ukraine eingreifen, schrieb Niki Fellner in oder auf oe24.at, IN in Großbuchstaben. Die weise österreichische Öffentlichkeit ignorierte das tunlich.

Dann kam der mächtigste Verleger des deutschen Sprachraums, wenn nicht einer der mächtigsten der westlichen Welt, und tat desgleichen: er forderte „den Westen“ auf, den Weltkrieg anzuzetteln.

Matthias Döpfner, Chef des Springer Verlags, schrieb einen Kommentar in der Bild Zeitung, in dem Sätze standen wie:

Wenn man ein Dilemma vereinfacht, wird es dadurch nicht falsch, sondern nur kürzer: Wenn Putin Kiew erobert, weil der Westen, also vor allem die Mitglieder der Nato, keinen militärischen Widerstand geleistet haben, ist der Westen geschwächt.

Wenn der Westen geschwächt ist, werden die Chinesen Taiwan annektieren. Wenn Taiwan ohne Widerstand übernommen ist, ist der Westen politisch am Ende.

Deshalb müssen die Nato-Mitglieder JETZT handeln. Sie müssen JETZT ihre Truppen und Waffen dahin bewegen, wo unsere Werte und unsere Zukunft NOCH verteidigt werden. Zur Not ohne Nato.

Denn die formalen Debatten um Artikel 5 – der den Verteidigungsfall definiert – verschleiern das Problem. Frankreich, England, Deutschland und Amerika müssen als Allianz der Freiheit Putins mörderisches Treiben mit ihren Truppen und Waffen in Kiew und mit dem modernsten Cyber-War in Moskau beenden

Es ist ein furchtbares Dilemma. Wenn das geschieht und nicht schnell gelingt, droht eine Eskalation bis zum 3. Weltkrieg. Wenn es nicht versucht wird, bedeutet das Kapitulation.

Die Freiheit ist dann eine Phrase. Das transatlantische Bündnis eine Fußnote. Die Demokratie ein Auslaufmodell.

Oliver Maksan, Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung, dem Blatt der Pazifisten und Weicheier, gab Döpfner die richtige Antwort. Der Verleger betreibe das Geschäft Putins. Würde der Westen so handeln, wie Döpfner es vorschlägt, würde er Putin das größte Propagandageschenk machen. Außerdem beruhe Döpfners schlichte Kausalkette auf einer falschen Annahme: dass Putin sich beeindrucken und von seiner Drohung eines Atomkriegs abbringen ließe, oder gar eine solche Intervention hinnähme. „Die Welt wäre im Krieg, und dieser Krieg hätte das Potenzial, alle bisherigen Kriege in den Schatten zu stellen. In Washington und bei der Nato weiß man das – und agiert zu Recht strikt defensiv.“

Man wird zum Marxisten, liest man solche Döpfnereien, denn Haupteigentümer von Springer ist mittlerweile die Beteiligungsgesellschaft KKR, wesentlich auch beteiligt an der deutschen Rüstungsfirma Hensoldt. Aber so schlicht tickt Döpfner nicht. Der Mann, der Springer zum weltmarktbeherrschenden Digitalunternehmen machen will, ist nicht nur Transatlantiker, er ist Herzenstransatlantiker.

Es bietet eine gewisse Beruhigung, dass ein von so mächtiger Stelle gesprochenes Wort dennoch nicht mitreißt, sondern als erratisches Monument der Vertrottelung in der Gegend herumsteht. So herzzerreißend es ist, die Ukraine nur mit Kriegsmaterial zu beliefern und dort nicht helfend eingreifen zu können, so rational ist diese bittere Zurückhaltung angesichts der unverhohlenen Putin’schen Drohungen mit einem Atomkrieg.

Döpfners Vorschlag würde eine sich gerade neu definierende europäische und transatlantische Allianz zertrümmern, was besonders dann fatal wäre, würde 2024 Donald Trump oder einer wie Trump statt Joe Biden gewählt.

Erfreulicherweise scheint die europäische Union von Döpfnereien derweil nicht verführbar. Obwohl es, wie gesagt, fast nicht zu ertragen ist, wie Putin vorgeht. Man weiß, er kann den zu seinem Verdruss heldenhaften Widerstand der Ukraine nicht schnell genug brechen, also wird er, wie in ähnlichen Fällen üblich, seine Raketen mehr und mehr auf zivile Ziele richten. Er wird Städte in Schutt legen und das Blut Unschuldiger vergießen, notfalls Kiew zu Grosny II machen.

Die Sanktionen treffen ihn weit weniger als das der Western herbeifantasiert; es gibt sehr vernünftige westliche Ökonominnen, die Russland aufgrund der vorhandenen Reserven gute Chance zugestehen, durch eine Kombination von Abschottung, Polizei und interner Umverteilung eine allfällige Unzufriedenheit der Zivilgesellschaft abzufedern. Wenn es den Massen der nicht so Reichen in Russland etwas besser geht, werden sie Putin nicht stürzen, und die Reicheren bis Superreichen können die Antwort auf die Frage suchen, die Putin den Oligarchen stellte, als diese sich beklagten, sie hätten von ihren fünf Milliarden Euro schon vier verloren. „Willst du die eine Milliarde behalten?“, soll Putin gefragt haben. Das berichtete die Financial Times. Ich hoffe übrigens, ich irre mit dieser Einschätzung.

Putin wird die Schlacht um die Ukraine vielleicht gewinnen, auf lange Sicht wird er den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen. Und weil er das nicht kann, wird das auch seine Herrschaft unterminieren. Der Preis für die Torheit dieses Diktators ist unerträglich hoch.

Wir werden gerade Zeugen von allerlei geostrategischen Nachbüffelaktionen; unsere Politikerinnen lernen noch. Leider auch an uns. Den langen Friedenszeiten ist geschuldet, dass wir hierzulande von einem Dilettantenhaufen geführt werden; in der EU ist das erfreulicherweise doch etwas anders. Ein gewisses Maß an überlebensorientierter Feigheit ziehe ich dem Heldenmut auf Kosten anderer, wie ihn uns Herr Döpfner demonstriert, jederzeit vor.

Auch woanders gibt es solche Stimmen. In den USA  rief der republikanische Senator Lindsay Graham zur Ermordung Putins auf, und in Großbritannien forderte der Kommentator der Mail on Sunday, des auflagenstärksten Blattes in England, wie Döpfner eine No-Fly-Zone. Alles andere wäre Appeasement, schrieb er, wie Chamberlain es 1938 in München gegenüber Hitler vergeblich versucht habe.

Das ist alarmierend und zeigt, wie schwer es ist, nicht die Nerven zu verlieren. Putin ist kein Hitler, und den Weltkrieg hätte dieser so oder so begonnen, was man von Putin nicht behaupten kann, wenn man bei Trost ist. Putins Ziele sind bekannt (Großrussland) und verrückt genug, aber von Hitlers Plänen der Weltherrschaft, Rassenreinheit und Judenvernichtung doch grundverschieden.

Im Gegenteil, man kann gegen die Churchill’sche „Blut, Schweiß und Tränen“-Alternative zu Chamberlain einwenden, dass sie eben nur jener speziellen Situation angemessen war. Beschwichtigungs- und Befriedungsversuche sind umgekehrt nicht deswegen immer schlecht, weil sie einmal schlecht waren.

Immer von Übel sind die Blutdürstigen, die Hetzer, die Haudraufs (Haudrauflasser, nicht Selbstdraufhauer, naturgemäß). Wir wollen nicht Putins Schafe sein, die er zur Schlachtbank führt. Aber auch nicht Döpfners Esel. Es gibt ein Drittes zwischen feigem Wegschauen und Drittem Weltkrieg. Etwas, das es Putin möglichst schwer macht, ohne ihm den Vorwand zu liefern, alles zu zerstören. Dieses Etwas gilt es zu finden.

Das Schlimmste wäre, würde sich die Politik von Knallköpfen wie Döpfner, einem feinsinnigen gelernten Musikkritiker, in die Weltschlacht hetzen lassen. Es sind nur Knallköpfe, aber ein einziger Knallkopf kann die ganze Munitionsfabrik in die Luft jagen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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