Ich bin ängstlich. Bin ich zu ängstlich? Zur aktuellen Corona-Lage.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 670

Armin Thurnher
am 07.03.2022

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An manchen Orten sind Spitäler an der Grenze zum reinen Akutbetrieb, schreibt Epidemiologe Robert Zangerle. „Aber das scheint unsere Regierung und die Landeshauptleute nicht zu kümmern“, die sich nur auf die Belegung der Intensivstationen orientieren. „Diese sehr einfältige Sichtweise auf das Gesundheitssystem ist unerträglich“, folgert Zangerle. Und er findet es alarmierend, dass „nach zwei Jahren Pandemie weniger Spitalkapazitäten vorhanden sind als am Anfang“. A. T.

»2. März 2022: „Wir sehen, dass die Hospitalisierungszahlen – insbesondere jene auf den Intensivstationen – sich weiterhin im Rahmen der Prognosen bewegen und aus aktueller Sicht kein Anstieg zu erwarten ist, der zu einer Systemgefährdung führen würde. Die Zahl der Neuinfektionen fällt heute erwartungsgemäß höher aus – vor allem auch, da die Semesterferien jetzt in ganz Österreich vorbei sind und nun wieder an den Schulen und Arbeitsplätzen im Land getestet wird. Dies spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Diese sind daher kein Grund zur Beunruhigung. Die für den 5. März geplanten Öffnungen können wie vorgesehen stattfinden. Mein Ministerium beobachtet die Lage laufend und kann auf etwaige Änderungen im epidemiologischen Geschehen rasch reagieren.“ Ob diese Feststellungen haarscharf an einer Realsatire vorbeischrammen oder doch nicht, darüber soll hier nicht diskutiert werden. Realsatire meint die Absurdität des tagespolitischen Geschehens. Schauen wir es uns im Einzelnen an.

1. „Neuinfektionen“: Wenn man sich die Fallzahlen anschaut, so war dies nicht einfach eine „Mittwochsmeldung“, weil am Tag zuvor „wie erwartet“ eine höhere Zahl an Labordiagnosen gemacht wurde. In den zwei Jahren Pandemie ist es in der Kommunikation für die Öffentlichkeit nicht gelungen, das Meldedatum vom Datum des Ereignisses (Zeitpunkt der Diagnose oder Todesfall) zu trennen. Die AGES arbeitet seit jeher mit dem Datum des Ereignisses, die Medien mit dem Meldedatum, daraus entsteht ganz unnötige Konfusion, letztlich sind es Falschmeldungen. Alle, die mit Meldedaten arbeiten, sollten deshalb tunlichst keine Tagesmeldungen verbreiten, sondern 7-Tagesmittel, da gleicht es sich nämlich recht gut der Wirklichkeit an. Die am 2. März kolportierte Zahl war schließlich sogar höher (Diagnose am 1. März).

Es war vermutlich auch dem Gesundheitsminister klar, dass es in der zweiten Februarhälfte nicht nur zu einem Stopp des Sinkens von Fallzahlen kam, sondern je nach Region entweder zu einem Anstieg (Mehrzahl), am deutlichsten und am frühesten im Burgenland (18. Februar) und am schwächsten und am spätesten in Kärnten (1. März), sondern auch zu einer Plateaubildung in Wien. Und dieser Anstieg hatte gar nichts mit mehr Testungen nach den Semesterferien zu tun, weil die Zahl der erfassten Testungen, sowohl PCR- als auch Antigentests, nicht angestiegen ist – anders als man es in den Medien lesen konnte. Sogar umgekehrt, Anfang Februar belief sich das 7-Tagesmittel der PCR-Testungen auf über 500 000 und der Antigentestungen auf 180 000, Anfang März waren das etwas über 400 000 bzw. 150 000. Der Gesundheitsminister ließ dabei nobel und großzügig Änderungen, die jeweils auf den Beginn einer Ferienwoche fielen, weg (5., 12. Und 19. Februar). Verhaltensänderungen wurden und werden ausgeblendet, auch in Kombination mit der kontinuierlichen ansteigenden Durchdringung der Virusvariante BA.2 als auslösende Ursachen.

Dieser Prozess des Wiederanstieges bzw. einer Plateaubildung ist in Abbildungen der 7-Tagesinzidenzen eindrucksvoll wahrzunehmen, sei es in der üblichen Darstellung (links) oder mit logarithmischer Skala (rechts).

 

Die aktuelle Veränderung bei den Fallzahlen erhält Unterstützung durch das Abwassermonitoring. Die Gesamtmenge an SARS-CoV-2 im Abwasser steigt weiterhin in fast allen Bundesländern, außer in Kärnten, wo sie fällt, und in Wien, wo es seit bald 2 Monaten eine weitgehende Plateaubildung gibt. In Kärnten ist der Anteil der Omikron Variante BA.2 als einzigem Bundesland noch nicht dominierend, in allen anderen Bundesländern hat der BA.2 Anteil 50% überschritten, in Wien und im Vorarlberger Rheintal sogar schon 60%. Letztere Zahl stammt aus Abwasserdaten, da Vorarlberg seit Mitte Jänner seine Proben nicht mehr sequenziert. Als in der Sitzung vom 3. März jemand nachfragte, wieso das der Fall sei, war die lapidare Antwort: Ressourcenknappheit (ob der neue Gesundheitsminister davon Kenntnis hat?).

Es gibt Positives zu berichten: Das Land Tirol veröffentlicht seit 2. März 2022 Ergebnisse aus dem Abwasser-Monitoring, diese Internetseite kann auch über das Covid-Dashboard des Landes erreicht werden. Immerhin mit 80 Tagen Verspätung. Abgesehen von dem an mehreren Stellen arg penetranten Wir-haben-alles richtig-gemacht-wording werden dort interessante Aufbereitungen gezeigt, z.B. eine Berechnung des Reproduktionsfaktors über das Abwasser, wo aktuell am 3. März lediglich 13 von 43 Kläranlagen einen Wert von unter 1 aufweisen. Aber selbst das ist mit Vorsicht zu sehen, weil fast alle Kläranlagen im Bereich der bisherigen Höchstwerte liegen. In der Regel sind Trends anhand des Abwasser-Monitorings früher erkennbar als aufgrund der medizinischen Testungen, wie man gut auf der folgenden Grafik für die „Welle“ November/Dezember erkennen kann. Die rote Linie (aktive Fälle) hinkt beim An- und Abstieg nach.

Zwischen den Anzahlen der aktiv Positiven und der fiktiven Ausscheider zeigen sich naturgemäß Abweichungen, aber, dass sie zuletzt so deutlich wie auf der obigen Grafik beobachtet werden können, ist ungewöhnlich und bedürfte einer Erklärung. Die Autoren äußern sich aber nicht direkt dazu. Sie betonen, dass für die Interpretation der Daten die klar erkennbaren Trends wichtig sind und weniger die absolute Höhe der Werte. Deshalb darf also gefolgert werden, dass seit Anfang Februar ein deutlicher Abfall der aktiven Fälle (rote Kurve) mit einem Anstieg der fiktiven Ausscheider (baue Kurve) korreliert. Das könnte natürlich mit einem geänderten Testverhalten, sowohl der Gesundheitsbehörden, als auch der Bevölkerung zusammenhängen. Wird im internen Protokoll der Corona Kommission vom 3.März bestätigt: „Im Bundesvergleich ist die Testungsrate auch in Tirol eher niedrig“.

Aus dem Vorsichtigkeitsprinzip heraus sollte man die Grafik so lesen: Fallzahlen unterschätzen das jetzige Niveau des Infektionsgeschehens in Tirol, und es ist mit weiteren Steigerungen von Krankenhauseinweisungen und Todesfällen und Long Covid zu rechnen. Vermutlich trifft das im Prinzip auch auf die meisten anderen Bundesländer zu.

2. Prognosen: Am 2. März zu behaupten, dass bei den Hospitalisierungszahlen kein Anstieg zu erwarten ist, ist ein wenig frivol. Selbst das Prognosekonsortium geht zu diesem Zeitpunkt von einer 50%igen Wahrscheinlichkeit aus, dass sämtliche Indikatoren (Fallzahlen, Belegung Normaplpflegestationen und Intensivstationen, laut internem Protokoll der Coronakommission vom 3. März) ansteigen könnten. Dabei lag das Prognosekonsortium mit dem Punktschätzer immer klar unter der reellen Belegung in den Spitälern, zuletzt gerade noch innerhalb des Sicherheitsintervalles. Das Prognosekonsortium weist darauf hin, dass der Punktschätzer nur in Zusammenhang mit der angegebenen Schwankungsbreite (Sicherheitsintervall) aussagekräftig ist, trotzdem möchte ich das in der nächsten Grafik veranschaulichen.

Die blaue Linie zeigt die mitternächtliche Belegung der Normalpflegestationen für ganz Österreich, und die vier roten Linien zeigen den Punktschätzer des Prognosekonsortiums an. Das Prognosekonsortium macht wöchentlich am Dienstag eine Prognose für die nächsten 14 Tage, beginnend mit dem nächsten Tag (Mittwoch) bis zum Mittwoch zwei Wochen später. In der Grafik sind diese zwei Wochen dargestellt, aber der letzte Mittwoch bleibt leer, um das Phänomen des Vorgehens des Prognosekonsortiums besser zu illustrieren. Die erste rote Linie beginnt also am Donnerstag, den 13. Jänner und endet am Dienstag den 25. Jänner. Am 26. Jänner (unterbrochene Linie) kann man erahnen, dass die reelle Belegung und die Prognose sich vollständig decken (die Linien verlaufen auch parallel). Die zweite rote Linie beginnt am 27. Jänner (2. Prognosetag) und verläuft flacher als die reelle Belegung. Am 9. Februar (Unterbrechung der Linie) ging die Prognose von einer Belegung von 1671 Betten aus, tatsächlich waren es an diesem Tag 1898. Die dritte Prognoseepisode verläuft fast flach und am Ende der Periode gibt es wieder eine Abweichung von Prognose und reeller Belegung (2059 vs. 2186). Die Prognose vom 22. Februar ging von einem klaren Abfall der Belegung aus, der so nicht eintraf. Man wundert sich, dass bei diesen Prognosen einzig eine Arbeit aus Kalifornien über das Hospitalisierungsrisiko bei Infektionen durch die Omikron-Variante angeführt ist. Weil dort die Immunität (Impfung oder durchgemachte Infektion) der von Österreich ähnlicher ist, als es bei Arbeiten aus Südafrika oder Großbritannien der Fall wäre?

Wenn man sich die roten Linien so in Summe anschaut, entsteht der Eindruck, als wäre alles schon überstanden. Der Diskurs gaukelt das in der Öffentlichkeit vor, obwohl die schlimmeren Wochen der Omikron Welle gerade anstehen. Das Prognosekonsortium korrigiert das am 1. März etwas und geht unmittelbar vor der großen Öffnung am 5. März von einem Plateau des Punktschätzers aus, allerdings mit großen Schwankungen des Sicherheitsintervalles. Das 95%-Sicherheitsintervall beträgt bis Mitte März 1500- 3500 belegte Betten auf Normalpflegestationen.

Man sieht jetzt keinen Grund mehr für Einschränkungen, da sich die Lage auf den Intensivstationen unverändert entspannt zeigt (Belegung von Patienten mit Covid um 10%). Übersehen (oder absichtlich negiert?) wird aber, dass wesentliche Gesundheitsdienstleistungen auch gefährdet werden, wenn anhaltend sehr viel Menschen krank werden, von denen über viele Wochen weit mehr als 2000 im Krankenhaus verbringen müssen. Dann können Patienten mit Herzinfarkten, Krebs, Unfällen oder den vielen anderen Erkrankungen, auch bei drohender Gefahr, nicht mehr qualitativ hochwertig versorgt werden.

Seit Wochen war klar, dass in der Omikron Welle damit gerechnet werden muss, dass Normalpflegestationen der Krankenhäuser und ambulante Versorgungsstrukturen (Praxen, Ambulanzen, Tageskliniken) überlastet werden. Die Corona-Kommission hat versucht, die „Auslastungsgrenzen“ von Erwachsenen-Normalpflegestationen zu definieren, und zwar aufgrund von Erfahrungswerten der Bundesländer, die dort zu Stufen- bzw. Krisenplänen führten. Das war ein überfälliges Abrücken vom „alleinseligmachenden“ Fokus auf Intensivstationen. Omikron hat diese Dringlichkeit ausgelöst. Demnach käme es bei einer Covid-spezifischen Auslastung von etwa 4 % von Normalpflegebetten (rund 1500 belegte Betten) bereits zu ersten Einschränkungen der Regelversorgung. Bei rund 8 % (rund 3.000 belegte Betten) Auslastung mit Covid-Patientinnen und Patienten wäre wohl überall (Ampelkommission schreibt kryptisch „in vielen Bundesländern“) nur noch ein reiner Akutbetrieb der Spitäler gewährleistet (erneut keine elektiven Eingriffe, Routineuntersuchungen etc. mehr). Eine Belegung von 4% entspräche 16,85 belegten Betten pro 100 000 Einwohner (untere rote gestrichelte Linie); um diesen Wert herum schrammen am 6. März Vorarlberg und Salzburg, die meisten Bundesländer sind nicht weit von den von der Corona Kommission einschränkenden 8% (obere rote gestrichelte Linie) entfernt.

Ein Abfallen dieser Kurven ist nicht in Sicht. An manchen Orten ist man knapp an der Grenze zum reinen Akutbetrieb. Aber das scheint unsere Regierung und die Landeshauptleute nicht zu kümmern, solange die Intensivstationen Platz haben. Diese in letzter Zeit zu oft geäußerte, sehr einfältige Sichtweise des Funktionierens des Gesundheitssystems ist unerträglich.

Sie meinen, ich übertreibe? Selbst im internen Protokoll der Coronakommission der sehr kurzen Sitzung vom 3. März steht viel Widersprüchliches, weil die Bundesländer zwar berichten, die „Lage im Spitalsbereich ist stabil“, andererseits sich große Sorgen machen. „In Alten- und Pflegewohnheimen sind die Fallzahlen ebenfalls steigend. Es kam rezent zu einem großen Ausbruch in Innsbruck. Der Inzidenz-Peak in der Altersgruppe 65+ wurde wohl noch nicht erreicht, da die Infektionswelle ältere Kohorten später erreicht hat, was die AGES bestätigt.“ Es musste doch damit gerechnet werden, dass es zu einer Verschiebung der Altersstruktur beim Infektionsgeschehen kommt? Jedenfalls drängte sich das nicht nur aus der Erfahrung der bisherigen Wellen auf. Auch die Entwicklung der Sieben-Tagesinzidenz in den verschiedenen Altersgruppen wies und weist darauf hin.

Man geht jetzt sehenden Auges in schwere Wochen, wo ein geändertes Verhalten durch Aufhebung von Einschränkungen (auf einmal gelten die ansonsten viel beschworenen Eisenbahnregeln nicht mehr in den Skigondeln) in Kombination mit der Dominanz der Virusvariante BA.2 von Omikron für eine höhere als 50% Wahrscheinlichkeit für einen Anstieg sämtlicher Indikatoren sorgen wird. Die 50% Wahrscheinlichkeit beruhte auf einer Prognose ohne Berücksichtigung der Öffnungsschritte am 5. März, wie ein Mitglied des Konsortiums auf Nachfrage bestätigte, weil „deren Auswirkungen im aktuellen Prognosezeitraum noch nicht eintreten“ (internes Protokoll Corona Kommission). „Öffnungsschritte könnten aber dazu beitragen, dass sich der Höhepunkt der BA.2-Welle nach hinten verschiebt“. Diese Klebrigkeit der Formulierungen grenzt schon an Chuzpe.

Oder an Blindflug, weil die Maßgabe, wann kritische Werte des Indikators „Belegung von Krankenhausbetten“ erreicht sind, völlig willkürlich erfolgt, weil Zahlen dazu fehlen. Was zählt ein Krankenhausbett, wenn das Personal zur Betreuung fehlt? Und das sonstige notwendige Personal fehlt? Hier kommt wieder Widersprüchliches hoch, wenn ein Bundeland berichtet, dass „man in den Krankenanstalten mit stabilen Auslastungszahlen rechnet, was eine durchaus hohe Belastung für das Personal darstelle. Über alle Berufsgruppen hinweg gibt es derzeit rund 10% Personalausfälle (ein Drittel selbst infiziert, ein weiteres Drittel wegen Betreuungspflichten nicht zur Verfügung). Darüber hinaus kommt es zu starken Personalabgängen in der Pflege, bei einer gleichzeitig rückläufigen Anzahl an Bewerbungen. Es wird betont, dass hier sehr sensibel in der Außenkommunikation umgegangen werden sollte, da diese Entwicklung eine langfristige Schwächung des Krankenhaussystems bedeuten könnte.“

Die Omikron Welle verstärkt den Personalmangel und erschwert es, Spitalkapazitäten aufrecht zu erhalten. Schon alarmierend, wenn nach zwei Jahren Pandemie weniger Spitalkapazitäten vorhanden sind als am Anfang. Die Auslastungswerte, die gemeinhin als „stabil“ bezeichnet werden, sind also ohne Angaben der Zahl der „betreuten Betten“ wertlos. In fast allen Krankenhäusern sind aus Personalmangel Betten gesperrt, aber Offizielles und Transparentes dazu gibt es nicht. Österreichs hohe Bettenzahl hilft, diese Krise leichter zu bewältigen. Das US-amerikanische CDC hat mit der Einführung neuer Schwellenwerte (u.a. „staffed hospital beds“) Kontroversen ausgelöst, von der einen Seite begrüßt, weil epidemiologische Daten Berücksichtigung fanden, andererseits als Kapitulation gegenüber der Pandemie eingestuft.

Die Schwellenwerte wurden anhand von Korrelationsanalysen definiert, die zeigten, dass 100 neue Fälle pro 100.000 Einwohner pro Woche etwa 3–4 % der von COVID-19-Patienten belegten stationären Betten und 6–10 neuen Krankenhauseinweisungen für COVID-19 pro 100.000 Einwohner entsprechen. Die Notwendigkeit einer zeitnahen Erfassung der täglichen Spitalsaufnahmen wird einem wieder bewusst, hier oft eingefordert, auch damit kann der Reproduktionsfaktor bestimmt werden. Diese beiden Parameter wurden in Bezug gesetzt zu einer 7 Tagesinzidenz von weniger als 200/100 000 oder darüber, siehe nachfolgende Grafik.

Mit diesen Messgrößen und den vielen daraus folgenden Kombinationen wurden schwere Erkrankungen, Belastungen im Gesundheitswesen und Todesfälle korreliert, und zwar für 3 Wochen später (stellte sich als berechenbarer als 1, 2, 4, 5 und 6 Wochen heraus) und zwar mithilfe von AUROC-Analysen (Area Under Receiver Operating Characteristic). AUROC-Analysen können als die Wahrscheinlichkeit interpretiert werden, welche zufällig ausgewählten Beobachtungen mit dem schwerwiegenderen Ergebnis eher übereinstimmen. Eine Punktzahl von 0,50 würde einem reinen Zufall entsprechen, und eine Punktzahl von 1 würde anzeigen, dass schlechtere Ergebnisse immer mit der gewählten Messgröße zusammenhängen.

Die AUROC Analysen verglichen alle möglichen der aufgeführten Schwellenwerte mit den Risikostufen niedrig (Low), moderat (Medium) und hoch (High). Alle Kombinationen von hohen Werten für eine Voraussage (schwere Erkrankungen, Belastungen im Gesundheitswesen und Todesfälle) mit minimalen Unterschieden zwischen den Kombinationen (alle Werte zwischen 0,7 und 0,86). Wieso das in der Seuchenkolumne steht? Weil unsere Belastungsgrenzen politischen Übereinkünften entsprechen und nicht wissenschaftlich abgeleitet sind. Ich darf an die 33% Belastungsgrenze Intensivstation (ICU) erinnern. „Die Auslastung beträgt im Regelbetrieb unter 90%, der höchste jemals gemessene Wert im Epidemie Verlauf in der österreichischen Bevölkerung wurde in Tirol mit einer Auslastung von 35% gemessen.“ (aus dem ursprünglichen Corona Kommission Manual zur ersten Welle). Die 33% Auslastung ICU bezieht sich also auf die Auslastung der ICUs am Höchststand Frühjahr 2020 in Tirol („so geht‘s“), obwohl damals ein strikter Lockdown Unfälle verhinderte und viele OPs ausgesetzt wurden.

Die neuen Schwellenwerte in den USA lösten auch Widerstand aus, weil so auch 1000 Todesfälle pro Tag möglich schienen und das für viele eine unakzeptabel hohe Zahl ist (auf Österreichs Bevölkerung umgelegt wären das 27 Todesfälle). Und Long Covid bleibt ausgeblendet, auch die Erfassung von Virusvarianten, weil als Folge der geringeren Beachtung der Fallzahlen irgendwann die Testzahlen massiv zurückgehen. Und last but not least, dass man Menschen „zurücklässt“, im US-Jargon oft als „unter den Bus werfen“ bezeichnet. Damit sind immungeschwächte Menschen, Menschen mit hohem Risiko schwer zu erkranken, gebrechliche Ältere und kleine Kinder gemeint, die noch nicht geimpft werden können. Die haben es jetzt auch in Europa schwerer. Eine faire Chance für sie hätte bedeutet, auch zuzuwarten, bis die Therapien wirklich leicht zugänglich (frühzeitige Remdesivir-Infusionen) und auch tatsächlich halbwegs ausreichend verfügbar (Paxlovid) sind. Und mehr Wissen um die Wirksamkeit von monoklonalen Antikörpern vorhanden ist.

3. Rasch reagieren: Hätte man jetzt müssen. Weil die Wahrscheinlichkeit, dass alle Indikatoren steigen, eben hoch ist. Wenn etwas klar ist, dann, dass diese Regierung in der Pandemie noch nie rasch reagiert hat. Das „relativ“ rasche Reagieren in der 1.Welle ist dem Druck skandinavischer Regierungen (v.a. Dänemark! aber nicht nur) und der Bereitschaft der Mehrheit in Österreich zu verdanken. Die Regierenden sind dazu nicht in der Lage, weil ausgemachte Termine immer Vorrang haben gegenüber Zielen und Zielwerten. Wie oft wurde hier Dates not Data kritisiert? Statt umgekehrt, wie es sein müsste.

Eine seriöse Vorbereitung auf Herbst und Winter sei die oberste Priorität, so der neue Gesundheitsminister Johannes Rauch. Man habe sich schon einmal in Sicherheit gewiegt – „wir sollten dieselben Fehler nicht zwei- oder dreimal machen“. Das Virus habe immer wieder überrascht – es gehe allen auf die Nerven, er bekomme das auch selbst im Bekanntenkreis mit. „Aber es nützt nichts, es ist noch da.“ Es sei deswegen sein Job, darauf zu achten, dass bei den Corona-Maßnahmen „so viel gemacht wird wie nötig und so wenig wie möglich“. Also jetzt alles so lassen und nicht vorsichtiger sein? Im März 2022 allein werden mit hoher Wahrscheinlichkeit so viele Menschen sterben wie in der ganzen 1. Welle im Frühjahr 2020. Und es wird viel mehr Fälle von Long Covid geben als nach der 1. Welle. Das wissen alle Gesundheitsverantwortlichen.

4. Geht der wirtschaftliche Plan auf? Viele Maßnahmen sind abgeschafft. Werden Menschen, denen schnelle Öffnungen Sorgen bereiten (z. B. weil sie zur Risikogruppe gehören), sich stärker isolieren? Folgt ein freiwilliger Selbstausschluss, der politisch leichter zu verkaufen ist, als Ungetestete oder Ungeimpfte für bestimmte Aktivitäten auszuschließen? Wie reagiert die Gruppe der „Vorsichtigen“. Wird sie jetzt noch vorsichtiger, weil die ohnehin Unvorsichtigen jetzt gar nicht mehr aufpassen müssen? Und wie reagiert die Gruppe der „Vorsichtigen“, die sich in letzter und nächster Zeit anstecken? Passen die sich an und werden „locker“?

Das Tragen einer Maske schützt nicht nur den Träger oder die Trägerin. Sie schützt immungeschwächte Menschen, Ältere und solche mit erhöhtem Risiko, schwer zu erkranken. Und sie schützt kleine Kinder, die noch nicht geimpft werden können. Wenn beide Seiten Masken tragen, ist das auch effizienter, als wenn sich die „Vulnerablen“ einseitig schützen. Ist doch nicht so schwer, oder? Ist das die „Eigenverantwortung“, die so viel beschworen wird? Der junge Immunsupprimierte soll halt nicht Skifahren gehen – sein Problem. Die 79 anderen Maskenlosen in der Gondel haben Vorrang! Traurig. Ein immunsupprimierter junger Herztransplantierter kann durchaus auch einmal neben uns in der dichtgedrängten vollen Gondel stehen oder sitzen. Das darf uns doch nicht egal sein?

Und um auf die im Titel dieser Kolumne gestellte Frage zu antworten: Nein, ich bin nicht zu ängstlich! Ich orientiere mich nur an den verfügbaren wissenschaftlichen und klinisch-epidemiologischen Daten. Und die sprechen eine klare Sprache.

P.S.: Vor einigen Tagen habe ich Gesundheitsminister Mückstein zum Abgang den Vorschlag gemacht, Österreich solle wie Dänemark Tetanus-Immunglobuline in die Ukraine zuliefern, um verwundete Menschen versorgen zu können. Österreich hat viel von diesem Mittel gegen Wundstarrkrampf, es wäre also ein Leichtes.« R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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