Omikron ist nicht „milder“. Was wir in der Seuchenpolitik brauchen. Österreich und seine moralischen Standards.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 665

Armin Thurnher
am 01.03.2022

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In dieser Folge zeigt Epidemiologe Robert Zangerle, inwiefern die südafrikanischen Behörden richtig gehandelt haben, und was wir gesundheitspolitisch daraus lernen könnten. Die Daten lehren uns: Omikron verläuft geringfügig „milder“ als die anderen Varianten, aber das fällt nicht ins Gewicht. Und Zangerle hat noch eine bittere Lektion bereit, wie Österreich schon in der HIV-Bekämpfung versagte und stattdessen lieber Oligarchenpolitik betrieb. A. T.

»Aktive genomische Überwachung („Varianten-Surveillance“) und transparente Kommunikation durch Wissenschaftler und Verantwortliche des öffentlichen Gesundheitswesens aus Südafrika machten es erst möglich, dass Ende November die Welt auf eine neue, schnell zirkulierende SARS-CoV-2-Variante in Gauteng, die nördliche Provinz, in der Johannesburg liegt, aufmerksam gemacht werden konnte. Bereits am nächsten Tag wurde diese Variante von der WHO als Variant of Concern eingestuft und als Omikron benannt. So weit, so bekannt.

Wie reagierte die Welt? Mit Reiseverboten, mit dem Horten von Impfstoffen und mit Diskriminierung. Was für absurde Situationen da entstanden: Wissenschaftlern drohten aufgrund der Reiseverbote die Reagenzien auszugehen, weshalb Charterflüge organisiert werden mussten. Schnell war klar, die Reiseverbote von und nach Südafrika würden nicht die Übertragung von Omikron verringern, hatten aber die Wirtschaft in Südafrika bereits massiv geschädigt (das Aufkommen des Sommertourismus in Südafrika wurde im Keim erstickt). Diese Reaktionen gefährden die globale Solidarität und legten so Wissenschaftlern in der ganzen Welt nahe, weniger transparent zu sein. Es hätte wirksamere Möglichkeiten gegeben, die Einschleppung von Varianten zu verhindern (wie Tests vor und nach der Ankunft), als diese dummdreisten Reiseverbote, die ja irrwitzigerweise für Skitouristen aus Großbritannien nach Österreich erst nach einem Aufschrei eingeführt wurden.

Surreal war auch, dass die USA, nachdem Südafrika eine Frühwarnung gegeben hatte, Reisen von und nach Südafrika blockierten und sich dennoch nicht auf die Welle einer übertragbareren Virenvariante vorbereiteten.

Angesichts dieser verbreiteten Fehlreaktionen tut die Welt gut daran zu erfahren, wie afrikanische Wissenschaftler und Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens mit Regierungen zusammenarbeiteten, um auf die Pandemie zu reagieren. Südafrika stellte sich den Herausforderungen durch Omikron. Südafrika reagierte richtig; der Rest der Welt falsch.

Der Wachstumsvorteil von Omikron gegenüber der Delta-Variante wurde bald in mehreren Ländern dokumentiert. Die rasche Verbreitung von Omikron in ganz Südafrika führte zu weniger Krankenhauseinweisungen und Todesfällen pro dokumentiertem Fall, als frühere Wellen, eine Beobachtung, die häufig ungerechtfertigt und vorschnell einer intrinsischen Tendenz dieser Variante zugeschrieben wurde.

Es war immer Vorsicht geboten, auf der Grundlage von Beobachtungen auf Bevölkerungsebene Rückschlüsse auf die intrinsischen Merkmale von Omikron, insbesondere seinen Schweregrad, zu ziehen. Eine Diskussion über den Schweregrad einer Erkrankung oder Sterblichkeit nach einer Infektion mit Omikron war Ende November nutzlos, weil völlig frei von Evidenz. Damals waren in Südafrika gerade wenige Tausend vorwiegend junge Menschen (nur etwa 6% der Bevölkerung sind dort über 65 Jahre alt) mit Omikron angesteckt worden. Es hätte also noch Wochen bis wenige Monate gebraucht, bis wissenschaftliche Analysen über die „Übersterblichkeit“ in Südafrika relativ schnelle und qualifizierte Daten zum Schweregrad von Infektionen mit Omikron geliefert hätten. Das ist jetzt geschehen; eine hervorragende Statistik dazu ist nun verfügbar.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person mit vorbestehender Immunität eine produktive Infektion entwickelt, und die klinischen Merkmale dieser Infektion sind eine Funktion sowohl der Virus- als auch der Wirtseigenschaften. Unterschiede in der Immunität auf Bevölkerungsebene und die Neigung von Omikron, auch Menschen mit vorbestehender Immunität zu infizieren, machen direkte Vergleiche zwischen den Delta- und Omikron-Varianten von SARS-CoV-2 schwierig. Die folgende Grafik zeigt Daten aus Südafrika vom April 2021 bis zum Jänner 2022 . Die Delta-Variante (links) verbreitete sich von Juni bis August 2021, als die Immunität der Bevölkerung geringer war. Im Gegensatz dazu traf die Omikron-Variante (rechts) im November und Dezember 2021 auf eine Population mit weniger nichtimmunen („high risk“ in Rot dargestellt) und mehr immunen (blaue Männchen) Personen – immun sowohl aufgrund früherer Infektionen (einschließlich der Delta-Variante) und Impfung (grüne Linie). So kann Omikron einerseits leichter Menschen mit bereits bestehender Immunität infizieren (blau dargestellt), deshalb aber auch viel mehr Menschen infizieren, die jedoch andererseits wegen dieser vorbestehenden Immunität ein geringes Risiko für schwere Folgen haben, was die beobachtete Sterblichkeitsrate der Infektion unabhängig von der intrinsischen Schwere (Virulenz) der Variante verringert.

Vor einer Woche wurden detaillierte Analysen zu diesen frühen Beobachtungen aus Gauteng publiziert, dem wirtschaftlichen Zentrum Südafrikas mit vielen Minen und der Metropole Johannesburg. Grundlage für diese Studie war die Fortführung einer Seroprävalenzstudie  (epidemiologische Studie auf Antikörper), die eine für die allgemeine Bevölkerung von Gauteng repräsentative Stichprobe von 7010 Blutproben umfasste. Die Omikron Welle in Südafrika begann bei einer Impfrate von 36,0 % (Personen ab 12 Jahren) wobei nur 20,1 % mindestens zwei Impfungen erhalten haben. Die hohe Rate an SARS-CoV-2-Seropositivität in der gesamten Provinz (73,1 %) war also primär durch vorangegangene SARS-CoV-2-Infektionen induziert. Unter den geimpften Teilnehmern lag die Seroprävalenz bei 93,1%, bei ungeimpften bei 68,4 %. Bei den unter 12-Jährigen (alle ungeimpft) lag die Seroprävalenz bei 55,8%. Die folgende Grafik entkoppelt die Fallzahlen mit Krankenhauseinweisungen, Todesfällen und Übersterblichkeit („excess deaths“) während der Omikron Welle von den Proportionen der vorherigen Wellen.

Während der vierten Welle waren in allen Altersgruppen über 17 Jahren weniger Krankenhauseinweisungen und registrierte Todesfälle zu beobachten. Die Inzidenz von Krankenhausaufenthalten und registrierten Todesfällen bei Kindern im Alter von 17 Jahren oder jünger waren deutlich niedriger als in den höheren Altersgruppen, aber ähnlich wie die Inzidenzen während früherer Wellen, mit Ausnahme einer geringeren Sterblichkeit bei Kindern im Alter von 5 bis 17 Jahren während der Omikron Welle im Vergleich zur vorigen Deltawelle. Beispiel Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen: Die Omikron-Welle trug zu 15 % der registrierten Covid-Krankenhausaufenthalte und 2 % der Todesfälle seit Beginn der Pandemie bei, gegenüber 46 % Krankenhausaufenthalten und 53 % Todesfällen in der Deltawelle. Ganz ähnlich bei den 60-Jährigen und älteren.

In einem fragilen Land mit niedrigen und mittleren Einkommen wie Südafrika wurden die niedrigeren Raten an Krankenhauseinweisungen und Todesfällen mit Erleichterung worden und führten zu weitgehenden Öffnungen, um Lebensgrundlagen und Volkswirtschaft wieder aufzubauen, die in den letzten zwei Jahren stark beeinträchtigt wurden. Die pandemischen Schäden an schwerer Krankheit und Tod sind selbst in einem Land mit einer so starken jüngeren Bevölkerung wie Südafrika (mittleres Lebensalter 27,6 Jahre) heftig. In Gauteng mit seinen 15,5 Millionen Einwohnern sind 29.000 Covid Todesfälle erfasst, die Übersterblichkeit beträgt 58.000 Personen (fast 0,4%), es gab über 140.000 Krankenhausaufnahmen.

Die biologische Grundlage für diese Entkopplung zwischen Fallzahlen und Krankenhauseinweisungen und Todesfällen könnte die umfangreiche zellvermittelte Immunität in der Bevölkerung sein, die durch vorangegangene Infektionen und Impfungen induziert wurde. Diese Hypothese wird durch Veröffentlichungen gestützt, die darauf hindeuten, dass die meisten der durch Impfung oder natürliche Infektion induzierten T-Zell-Antworten die Omikron-Variante erkennen und dadurch höchstwahrscheinlich zum Schutz vor schweren Erkrankungen beitragen, hier  und hier. Ein alternativer oder zusätzlicher Mechanismus, wodurch trotz der reduzierten neutralisierenden Antikörperaktivität gegen die Omikron-Variante ein Schutz vor schwerer Krankheit verliehen werden kann, beruht auf Effektor-Funktionen von nicht-neutralisierenden Antikörpern (auch hier). Der sogenannte „Fc“ Teil der Antikörper (der Stiel des Y-förmigen Antikörpermoleküls) kann an verschiedene Körperzellen binden und eine molekulare Brücke zum Virus schlagen. Diese Verbindung vermittelt und induziert dann zelluläre Phagozytose (Viren werden von Fresszellen aufgenommen und zerstört), Komplementablagerung (Viren werden durchlöchert und so abgetötet und/oder für Fresszellen „schmackhaft“ gemacht) und Aktivierung natürlicher Killerzellen (virusinfizierte Zellen werden samt enthaltenen Viren gekillt).

Darüber hinaus hat Omikron, wie wir jetzt erst aufgrund von neuesten Daten wissen, eine etwas geringere intrinsische Virulenz, die mit immerhin noch 75% der Virulenz der Deltavariante berechnet wurde, auch hier. Dieser bedeutungsvolle, aber ziemlich kleine Unterschied deutet darauf hin, dass Omikron, Alpha und Wildtyp (Wuhan) SARS-CoV-2 ähnliche intrinsische Virulenz aufweisen, also gleich schwer krank machend. Mit anderen Worten, Omikron macht in etwa gleich krank wie in unserer ersten und zweiten Welle. Soviel zur viel (falsch) zitierten „Milde“ von Omikron. Hongkong erwägt wegen Gefahr der Überlastung der Krankenhäuser einen Lockdown, den es bisher als Maßnahme ausschloss.

Nachdem die letzte Kolumne versuchte, differenzierend Daten zu Dänemark zu diskutieren, was bezüglich Impfung und der Testerei (gratis in Dänemark) einer Mahnung für Österreich gleich kam, ist die heutige Diskussion zu Südafrika ähnlich zu sehen. Jedenfalls ist die Verzahnung der Privatlabors mit der Aufgabe der genomischen Surveillance durch die öffentlichen Gesundheitsbehörden in Südafrika etwas, aus dem Österreich lernen könnte (wenn es denn wollte). Vor allem aber weisen die Seroprävalenzstudien in Südafrika einen Weg, wie Österreich sich auf die Zukunft professioneller vorbereiten könnte. Wieso hat Österreich keine Kohorte, also einen repräsentativen und zahlenmäßig aussagekräftigen Querschnitt durch die Bevölkerung, die fortlaufend untersucht werden kann, wie das in Südafrika passiert? Relevante und solide Daten könnte viel schneller gewonnen werden. Ich bin geneigt zu sagen, zu teuer für Österreich. Weil Effizienz in Gesundheitsökonomie durch wissenschaftliche Begleitung hierzulande unerwünscht ist?

Während die Beschränkungen gelockert werden (Motto: Es ist wichtig, zum richtigen Zeitpunkt zu deeskalieren, aber viel wichtiger, schnell zu handeln, wenn die nächste Welle eintrifft), bleibt die Überwachung auf neue Varianten von SARS-CoV-2 unerlässlich. Es gilt also von Südafrika, Dänemark oder Großbritannien diesbezüglich zu lernen. Großbritannien hat gleich mehrere Frühwarnsysteme: das Office for National Statistics, sowie landesweite Studien wie SIREN und die vom Imperial College geführte Real-time Assessment of Community Transmission (REACT) Studie . Das sind große Überwachungsstudien (Surveillance), die eigentlich relativ billig durchzuführen sind. Die leider weit verbreitete Ansicht, dass Viren im Laufe der Zeit von Natur aus weniger tödlich werden, ist im Ökonomen-Slang „keine sichere Wette“ und wissenschaftlich unhaltbar. Die Pandemie wurde bisher durch die Übertragbarkeit von SARS-CoV-2 getrieben, und nicht dadurch, ob das Virus milder oder weniger tödlich wird.

Österreich sollte aber nicht nur einfach eine länger dauernde Seroprävalenzstudie bzw. Seroprävalenzkohorte angehen, sondern auch etwas machen, was viele Staaten haben, eine allgemeinere und breiter aufgestellte „Gesundheitskohorte“ oder „Gesundheitsstudie“ an 20-30.000 Personen in Betracht ziehen, wo Fragestellungen wie SARS-CoV-2 Seroprävalenzstudien eingebaut werden könnten.


Und nun zu etwas ganz anderem. Im Augenblick versucht man die Neutralität Österreichs als Hauptgrund dafür anzuführen, warum auffallend viele Köpfe aus Österreich mit Russland verbandelt sind. Aus meiner Erfahrung mit HIV würde ich als mindestens ebenso entscheidend dafür anführen, dass Österreich sich wenig um internationale Solidarität, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gekümmert hat. Ich möchte das an ein paar Beispielen zu HIV zeigen. Wien veranstaltete 2010 die Internationale AIDS Konferenz mit über 20.000 Teilnehmern. „Wien wurde in der Geschichte immer als Drehkreuz zwischen West-und Osteuropa gesehen, und als Gastgeber der Konferenz wird es auch weiterhin diese Rolle einnehmen“, so Julio Montaner, der damalige Präsident der Internationalen AIDS Gesellschaft (IAS). „Die Konferenz bietet die Gelegenheit, uns speziell mit jenen Herausforderungen zu befassen, die sich uns durch die aufkommenden Epidemien in Osteuropa im Kontext der weltweit am stärksten betroffenen Regionen und der allgemeinen globalen Antwort stellen.“

Wien wurde nach einer Begutachtung aller Bewerberstädte durch die IAS und ihre internationalen Partner als Gastgeber der AIDS 2010 ausgewählt. Die Bewerberstädte wurden vom IAS Governing Council anhand der folgenden drei Kriterien beurteilt: Einfluss auf die Epidemie, zufriedenstellende Infrastruktur sowie Bewegungs- und Reisefreiheit für Menschen mit HIV/AIDS. Gemäß der vom IAS Governing Council im Jahr 1992 beschlossenen Richtlinie der Antidiskriminierung hält die IAS ihre Konferenzen nicht in Ländern ab, die den kurzfristigen Aufenthalt für Menschen mit HIV/AIDS einschränken und/oder potenzielle HIV-positive Besucher und Besucherinnen verpflichten, ihren HIV-Status auf dem Visumsantrag oder in anderen, für die Einreise in das Land erforderlichen Dokumenten offen zu legen. Aufgrund der schieren Größe dieses Kongresses kamen Österreichs Nachbarn im Osten aus logistischen Gründen nicht in Frage. Berlin schied als bereits früherer Austragungsort aus.

Übrigens dazu musste eigens ein Gesetz in Wien geändert werden, weil es rein formal HIV-positiven Personen in Wien nicht erlaubt gewesen wäre, Straßenbahn bzw. U-Bahn zu fahren. Das hatte ein Jurist aus Kanada ausgegraben. Lustig, gell? Nein, einfach ein Hinweis, dass die Mutter solcher Verordnungen, das Epidemiegesetz, auf ein Gesetz „betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ vom 14. April 1913 zurückgeht. Christoph Grabenwarter, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, hält deswegen eine Novelle des Epidemiegesetzes für sinnvoll: „Unser Epidemiegesetz ist älter als die Bundesverfassung und die Salzburger Festspiele.“ Es würde nicht schaden, sich „Gedanken zu machen, ob man das nicht ins 21. Jahrhundert holen könnte.“

Bei der ersten Tagung zur Organisation der AIDS Konferenz blieb ich fassungs- und sprachlos zurück. Es kam zu einem richtigen Streit zwischen internationalen Aktivisten der HIV-Community und den Repräsentanten der IAS: es ging um Kontaktaufnahmen bzw. Einbindung russischer Repräsentanten in die Konferenz. Während dies die Aktivisten rigoros ablehnten („Was will man denn mit diesen Halunken reden?“), warben die Vertreter der IAS genau dafür („Wie will man denn die Lage verbessern, wenn man nicht einmal reden will?“). Immer wieder fiel der Name des Moskauer Bürgermeisters, Juri Luschkow. Ich hatte wirklich nichts zur Diskussion beizutragen, in meinem Kopf aber spielten Assoziationen verrückt. Ist das nicht der Ehemann dieser reichen Russin, die sich in Kitzbühel einkaufen will?

Tatsächlich, zur gleichen Zeit durfte die russische Multimilliardärin Jelena Baturina eine Villa in Aurach bei Kitzbühel kaufen. Der ehemalige Landeshauptmann von Tirol, Herwig van Staa, soll eine schriftliche Unterstützungserklärung für die Russin abgegeben haben , aber auch die damals aktuelle Tiroler Landesregierung sprach sich für die Umgehung des Ausländergrundverkehrsgesetzes aus. Der an die Weisung der Tiroler Landesregierung gebundene Landesgrundverkehrsreferent erhob keinen Einspruch gegen den Deal.

Juri Luschkow verbot die jährliche Schwulen- und Lesbenparade Moscow Pride regelmäßig und bezeichnete sie als „Satanshow“. Er hatte nicht nur einen berechtigten Ruf als repressiver Schwulenhasser, er lehnte auch einen aufgeklärten Umgang mit Drogenkonsumenten vehement ab. Zur Erinnerung: Opiatsubstitution mit Methadon wurde in Tirol, ein Jahr vor dem restlichen Österreich, mit dem Aufkommen von HIV, eingeführt. In Russland waren besonders viele Drogenkonsumenten inhaftiert, und eine unheilvolle Synergie des Aufkommens der Verbreitung von HIV mit einem Zusammenbruch von Public Health äußerte sich darin, dass Medikamente zur Behandlung von Tuberkulose nicht gesichert zur Verfügung standen. Das verursachte in Russland eine richtige Welle von einer Tuberkulose, bei der die gängigen Medikamente gegen Tuberkulose nicht mehr wirkten (multidrug resistant tuberculosis MDR-Tb).

Die AIDS Konferenz im Juli 2010 war dann mit über 20.000 Teilnehmern gut besucht, aber das offizielle Russland boykottierte die Veranstaltung. Das eigentliche Ziel wurde nicht erreicht. Das offizielle Österreich interessierte das alles nicht. Und die meisten Österreicher und Österreicherinnen auch nicht sonderlich. Es fiel auch nicht auf, als 2007 der damalige Bundeskanzler Alfred Gusenbauer mit Freude an der Übergabe von 1 Million Euro „Spende“ von Novomatic an die Stiftung von Bill Clinton dabei war. Ein Schelm, wer denkt, dass damals schon Vorbereitungen für eine Expansion des Glücksspielkonzerns in die USA angedacht waren, das geschah doch erst Jahre später. Die Geschäftstüchtigkeit unseres Bundeskanzlers war schon erkennbar, war er doch der einzige Staatschef in Westeuropa, der sich weigerte, den Global Fund zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria zu unterstützen. Um Geld zu sparen, klar.

Wenn es um Einkünfte ging, war Österreich raffiniert zur Stelle: „Es freut mich besonders, dass Wien der Standort für die im Jahr 2010 stattfindende Welt-AIDS-Konferenz sein wird. Das ist gesundheitspolitisch wichtig, weil damit das Thema HIV/AIDS wieder stärker in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses rückt. Das ist aber auch für den Kongressstandort Wien von größter Bedeutung. Der Großraum Wien und Umgebung profitiert von etwa 100.000 Übernachtungen“, erklärt die Wiener Gesundheits- und Sozialstadträtin Mag.a Sonja Wehsely. Derzeit gehe man von einem Gesamtbeitrag zum österreichischen Bruttoinlandsprodukt von 45 Millionen Euro durch die Konferenz aus . Also nicht einmal nach einem ordentlichen Geschäft war Österreich bereit, den Global Fund in westeuropäischem Ausmaß zu unterstützen. Warum soll man also jetzt von ehemaligen Repräsentanten der österreichischen Gesellschaft erwarten, dass sie normale moralische Standards an den Tag legen?

Als einziges Land der EU erfasste Österreich über viele Jahre HIV nicht. Erst als eine rein private Initiative jahrelang ohne jegliche Unterstützung der öffentlichen Hand die Verantwortlichen sisyphusartig auf ihre Pflichten hinwies, brach allmählich der Widerstand gegen eine Unterstützung der Österreichischen HIV-Kohorten-Studie. Im Jahr 2012 wurden erstmals die Daten der Kohorten-Studie zur ECDC unter strengen datenschutzrechtlichen Kautelen (u.a. keine Initialen, kein Geburtsdatum, keine Postleitzahlen) transferiert.« R. Z.

P.S.: Der 1. März ist übrigens Zero Discrimination Day.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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