Elegie auf Reinhard Pitsch, 1954 -2022.
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 661
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Palmers-Prozess 1978, Zeugenaussage von Walter Michael Palmers. Reinhard Pitsch im Anzug rechts Foto: Votava
Gut dich gekannt zu haben, würde nie ich behaupten. Wir
kannten einander. Bekannte, die war’n wir. Sonst aber trennte uns zu
vieles. Politisch vor allem, wie unter studentischen Linken so üblich.
Links-Links-Trotzkismus, wenn ich’s richtig verstand, war das Deine,
Abspaltung von der Vierten Intérnationale, der richtigen,
sagten die einen, du aber anders. Linksradikal, jeden-
falls, mit großer Geste sahst du dich immer als Führer
einer Revolte. Stilwille braucht eine jede Verrücktheit, ’ne
solche zumal. Mit den Stiefeln im Feldbett, mit Knarren auf
Unirampen fuchteln, den Nazis zu droh’n und mit wehender
Mähne Eindruck zu machen den Frauen, Charisma, Zauber, auch
fauler. Ich hörte, wie du, trotz des Rufs „Terrorist“ dich ausgabst als
Redakteur des Falter, um diesbezüglich Punkte zu
schinden. Erotik war alles, da scheutest du keinen Aufwand, kein
handgeschrieb’nes Billet, kein wissend geknicktes Kärtchen, des
Botschaft alleine der Knicker zu dechiffrieren vermochte; die
Angebetete sah nur ein Kärtchen mit Eselsohren. Ein
Gentleman-Aufrührer, ein verschworner, verspätet romantischer
Musketier, vielleicht sahst du so dich. Mit Lukács im Mantel und
Goethe im Kopf, den Faust auf Zuruf zitierend, mit funkelnden
Augen, hochfliegend, trunken vor Geist und vor Wein. „Politisch ein
Sumpf“ wie ich, doch mit deutlich mehr Ambition für die Tat. Die
Mittat, die Hilfe zur Palmers-Entführung, die brachte dich
hinter Gitter. Vier Jahre. Im Nadelstreif vor Gericht, der
Angeklagte mit Anwalt, da schien das Bürgerkind durch, auch
wenn du den Gestus des Umsturzes pflegtest, suaviter immerhin
in deinem Dreiteiler-Outfit, den bockigen Kommilitonen
über in jeder Hinsicht. Das wieder schlug dir nicht aus zum
Besten, da kamst du herüber als Drahtzieher, der du nicht warst. Vom
Knast berichtetest Stolzes und Lustiges du: Terroristen weit
oben hierarchisch im Häfen, der Pate, der „Rote Heinzi“ als
Kommandant von det Janze (wenigstens etwas noch Rot!) und dein
ehrgeizloser Student in Englisch. Er zahlte mit Brathuhn,
dampfend erschien es in Folie in deiner Zelle, Symbol eines
guten, überflüssigen Lebens. Luxus für alle,
wenigstens für die Freunde, alte und neue um dich, war
dann, in den Achtzigern die Parole. Hedonismus, da
lachtest du wissend, aber Champagner und Austern, warum bitte
nicht für die linkesten Linken wie dich? In Frankreich lehrtest du
Philosophie. Nach der Rückkehr – ein Fehler, sagtest du später –
fandest du nirgends mehr hin, zu groß der Makel der RAF, der du
nie angehörtest, der Palmers-Entführung, die du wohl stütztest, im
Wahnsinn. Danach verkauftest du Falter, eine Zeitlang, und hasstest uns,
dass wir das möglich dir machten. Von Zeit zu Zeit botest Texte du
an, immer seltener folgte der Ankündigung auch ein Artikel. Die
Zähne wurden nicht besser, die Anzüge schienen nicht mehr von den
ersten Schneidern. Politisch bliebst du Kommunist, mit
weitem Blick für Geschichte und Praxis von Widerstand; deine
Tragik, die war es, dass Enthusiasmus und hoher Flug deiner
Bildung und deines Geistes zuschanden wurden an deiner
Praxis. Das Leben zu lieben ist eines; die Liebe verfehlen ein
andres; ob dann noch den Fehler man liebt, wenn er nie mehr weicht aus dem
Leben – ich weiß nicht. Sonntag bist DU aus dem Leben gewichen, Reinhard
Pitsch, du Mann der größten Möglichkeiten, du Mann ihrer
größten Verfehlung. Ich hoffe, für dich hast doch manches getroffen.
Ruhe in Unfrieden! Stifte ihn besser, als du ihn gelebt.
In diesem Interview mit Robert Misik spricht Reinhard Pitsch über seine Rolle bei der Entführung des Textilindustriellen Walter Michael Palmers im Jahr 1977.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher