Elegie auf Reinhard Pitsch, 1954 -2022.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 661

Armin Thurnher
am 24.02.2022

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Palmers-Prozess 1978, Zeugenaussage von Walter Michael Palmers. Reinhard Pitsch im Anzug rechts Foto: Votava

Gut dich gekannt zu haben, würde nie ich behaupten. Wir

kannten einander. Bekannte, die war’n wir. Sonst aber trennte uns zu

vieles. Politisch vor allem, wie unter studentischen Linken so üblich.

Links-Links-Trotzkismus, wenn ich’s richtig verstand, war das Deine,

Abspaltung von der Vierten Intérnationale, der richtigen,

sagten die einen, du aber anders. Linksradikal, jeden-

falls, mit großer Geste sahst du dich immer als Führer

einer Revolte. Stilwille braucht eine jede Verrücktheit, ’ne

solche zumal. Mit den Stiefeln im Feldbett, mit Knarren auf

Unirampen fuchteln, den Nazis zu droh’n und mit wehender

Mähne Eindruck zu machen den Frauen, Charisma, Zauber, auch

fauler. Ich hörte, wie du, trotz des Rufs „Terrorist“ dich ausgabst als

Redakteur des Falter, um diesbezüglich Punkte zu

schinden. Erotik war alles, da scheutest du keinen Aufwand, kein

handgeschrieb’nes Billet, kein wissend geknicktes Kärtchen, des

Botschaft alleine der Knicker zu dechiffrieren vermochte; die

Angebetete sah nur ein Kärtchen mit Eselsohren. Ein

Gentleman-Aufrührer, ein verschworner, verspätet romantischer

Musketier, vielleicht sahst du so dich. Mit Lukács  im Mantel und

Goethe im Kopf, den Faust auf Zuruf zitierend, mit funkelnden

Augen, hochfliegend, trunken vor Geist und vor Wein. „Politisch ein

Sumpf“ wie ich, doch mit deutlich mehr Ambition für die Tat. Die

Mittat, die Hilfe zur Palmers-Entführung, die brachte dich

hinter Gitter. Vier Jahre. Im Nadelstreif vor Gericht, der

Angeklagte mit Anwalt, da schien das Bürgerkind durch, auch

wenn du den Gestus des Umsturzes pflegtest, suaviter immerhin

in deinem Dreiteiler-Outfit, den bockigen Kommilitonen

über in jeder Hinsicht. Das wieder schlug dir nicht aus zum

Besten, da kamst du herüber als Drahtzieher, der du nicht warst. Vom

Knast berichtetest Stolzes und Lustiges du: Terroristen weit

oben hierarchisch im Häfen, der Pate, der „Rote Heinzi“ als

Kommandant von det Janze (wenigstens etwas noch Rot!) und dein

ehrgeizloser Student in Englisch. Er zahlte mit Brathuhn,

dampfend erschien es in Folie in deiner Zelle, Symbol eines

guten, überflüssigen Lebens. Luxus für alle,

wenigstens für die Freunde, alte und neue um dich, war

dann, in den Achtzigern die Parole. Hedonismus, da

lachtest du wissend, aber Champagner und Austern, warum bitte

nicht für die linkesten Linken wie dich? In Frankreich lehrtest du

Philosophie. Nach der Rückkehr – ein Fehler, sagtest du später –

fandest du nirgends mehr hin, zu groß der Makel der RAF, der du

nie angehörtest, der Palmers-Entführung, die du wohl stütztest, im

Wahnsinn. Danach verkauftest du Falter, eine Zeitlang, und hasstest uns,

dass wir das möglich dir machten. Von Zeit zu Zeit botest Texte du

an, immer seltener folgte der Ankündigung auch ein Artikel. Die

Zähne wurden nicht besser, die Anzüge schienen nicht mehr von den

ersten Schneidern. Politisch bliebst du Kommunist, mit

weitem Blick für Geschichte und Praxis von Widerstand; deine

Tragik, die war es, dass Enthusiasmus und hoher Flug deiner

Bildung und deines Geistes zuschanden wurden an deiner

Praxis. Das Leben zu lieben ist eines; die Liebe verfehlen ein

andres; ob dann noch den Fehler man liebt, wenn er nie mehr weicht aus dem

Leben – ich weiß nicht. Sonntag bist DU aus dem Leben gewichen, Reinhard

Pitsch, du Mann der größten Möglichkeiten, du Mann ihrer

größten Verfehlung. Ich hoffe, für dich hast doch manches getroffen.

Ruhe in Unfrieden! Stifte ihn besser, als du ihn gelebt.


In diesem Interview mit Robert Misik spricht Reinhard Pitsch über seine Rolle bei der Entführung des Textilindustriellen Walter Michael Palmers im Jahr 1977.

 


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!