Berührt vom Gold-Märchen der Strolze.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 650

Armin Thurnher
am 11.02.2022

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Manche Dinge spüre ich. Zum Beispiel die Goldmedaille des Johannes Strolz, die habe ich kommen gespürt. Ich dachte, wenn der halbwegs eine Abfahrt hinkriegt, und warum sollte er die nicht hinkriegen, dann hat er eine Chance. Strolz ist zwar nicht als Abfahrer berühmt, aber seine Statur und die Art, wie er seinen Körper beim Slalom einsetzt, nämlich kompakt und sehr entschlossen, das sah man auch bei den Rennen, bei denen es für ihn gar nicht gut lief, und ich sah viele von denen in den vergangenen Jahren. Man konnte mit etwas gutem Willen schon da nicht nur den Slalom-Spezialisten sehen, sondern auch den fast ausgestorbenen Typus des kompletten Skifahrers, wie man sagt. Strolz brachte aber zu meinem Erstaunen im Riesentorlauf bisher nichts zusammen und konzentrierte sich auf den Slalom.

Der Medaillenrekord des sympathischen Matthias Mayer (drei Goldene und eine Bronzene an drei aufeinanderfolgenden olympischen Spielen) ist mit dem des Toni Sailer nicht zu vergleichen, weil der Tonai jeweils in Slalom, Riesenslalom und Abfahrt die Goldene holte, und zwar 1956 in Cortina. Das wäre bei heutiger Spezialisierung kaum mehr denkbar, aber es gab Athleten, die diesem Allround-Ideal nahekamen, Slalomkönig Gustav Thöni (auf der Streif von Franz Klammer um eine Hundertstel geschlagener Zweiter) oder Marc Girardelli. Selbst Vater Strolz holte in allen Disziplinen Weltcuppunkte, war aber als Abfahrer deutlich schwächer denn als Techniker.

Anderl Molterer, Karl Schranz und der vielleicht größte aller österreichischen Skifahrer, der für Luxemburg startende Marc Girardelli, gewannen Rennen in allen Disziplinen, holten aber nie olympisches Gold.

Johannes Strolz könnte als Spätstarter auch so einer werden. Seine Abfahrtsleistung in Peking war – auf einer Strecke die viel schwerer war als die Märchenwiese des Slalomhangs – in Momenten etwas wackelig, er habe sich zu sehr auf den Innenski gelehnt, sagte er, und man sah ihn da und dort etwas rutschen, aber insgesamt war sie imponierend.

Am meisten imponiert naturgemäß noch immer das Märchenhafte dieses Erfolgs. Der Mann, der aus allen Kadern flog, sich nach dem Training selbst die Skier präpariert, während sich die Kollegen beim Masseur durchkneten lassen, und auch sonst allerlei Entbehrungen auf sich nimmt, weil er nicht aufhört, an sich zu glauben.

Der gewinnt zuerst im Schneetreiben den Weltcupslalom von Adelboden, auf einem Hang, auf dem es keinen „Zufallssieger“ gibt, und dann holt er olympisches Gold in Yanqing. Und seine Spezialdisziplin kommt erst.

Das Tollste am Erfolg von Strolz ist freilich, dass seine Goldmedaille jene seines Vaters wiederholte. Zum ersten Mal in der Geschichte des alpinen Skilaufs gewann damit ein Sohn in der gleichen Disziplin Gold, in der auch der Vater Gold gewonnen hatte. 1988 in Calgary holte Hubert Strolz Gold. Er war, anders als sein bisher notorisch erfolgloser Sohn, eher der ewige Zweite, ein über Jahre anerkannter Spitzenfahrer, der aber nur ein einziges Mal im Weltcup siegte, und auch da in einem Kombinationsbewerb.

Das Fassungslos-Sein über den eigenen Erfolg glaubt man dem Johannes, und das wird sich erst geben, wenn er ein paarmal gewonnen hat. Vielleicht gewinnt er auch nie wieder, was weiß man. Jedenfalls glaubt man ihm das Staunen, und dass er sich zwar in Klischees ohne Ende flüchtet, dabei aber dennoch das Phrasenhafte vermeidet, das mag nicht nur ich an ihm besonders. Abgesehen davon, dass ich sein Alemannisch verstehe und es gut finde, dass er sich nicht hinter etwas zurückzieht, das man bei uns daheim „Bödele-Dütsch“ nennt. (Auf dem Bödele, einem kleinen, aber feinen Skigebiet oberhalb von Dornbirn hatten zahlreiche Fabrikanten ihre Chalets, die in Vorarlberg Skihütten heißen. Dort kreierten ihre höheren Töchter diese vornehm klingende Verhunzung des Dialekts, um sich von der Plebs abzuheben. Dies für Ortsunkundige).

Also, der Strolz redet Dütsch, nicht Bödele-Dütsch. Und was er über sein einsames Training sagt, wie er sich selber auf dem immergleichen Waldweg in Warth sieht, im Regen oder im Sturm, wie er sich quält und schindet, damit er eines Tages doch Erfolg hat, das war ein gutes Bild.

Sehr gern hörte ich auch, wie er von seinem Vater erzählte, der mit ihm viel Geduld hatte und ihm bei der Arbeit so manches beibrachte. Ich hatte das Glück, Ähnliches erleben zu dürfen, zumindest was die Geduld meines Vaters betraf. Der Hubert ist, so weit ich weiß, nicht nur als Skischulleiter, sondern auch als Bergbauer tätig, und das Überleben im hochgelegenen Warth sieht etwas anders aus als in den nahen Nobelorten Lech und Zürs.

Ich kenne einen Cousin des Johannes, der mir erzählte, in seiner eigenen Kindheit habe sich die alleinerziehende Mutter im vom Lawinen eingeschlossenen Warth mit entsprechendem Brennholz- und Nahrungsvorrat mit ein paar Kindern und Vieh im Stall wochenlang ohne Kontakt zur Außenwelt allein durchbringen müssen. Diese Zeiten sind schon lange vorbei, und wenn Johannes Strolz von Mutter, Vater und Familie erzählt, wirft das einen Schein auf sie zurück. Das spürt man selbst als unbeteiligter Zuschauer am TV-Gerät, und man freut sich mit ihm.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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