Staberl, der wirkungsstärkste Kolumnist der 2. Republik, ist tot. Er war kein Wutbürger. Schlimmer: er war Zyniker.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 646

Armin Thurnher
am 07.02.2022

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Richard Nimmerrichter ist gestern im 102. Lebensjahr, kurz nach seinem 101. Geburtstag verstorben. Spuck ihm nicht ins Grab nach, rief mir meine Frau zu, als sie es hörte. Ich weiß, entgegnete ich, aber. Wenn du nichts Gutes zu sagen weißt, dann schweig halt, sagte sie.

Es geht nicht. Zu übel ist die Rolle dieses Mannes in der Zeitgeschichte. Dennoch spucke ich nicht. Es hilft wenig, dass Nimmerrichter seine als Wertanlage zusammengekaufte Sammlung von Biedermeiergemälden dem Museum Niederösterreich vermachte, obwohl man froh ist, eine gute Tat registrieren zu dürfen. Auch war er vorbildlich in Sorge um sich, lebte gesund, betrieb Sport bis ins hohe Alter und fiel gewiss niemandem zur Last. Auch ließ er, als er einmal in den Ruhestand getreten war, das Kommentieren sein und machte höchstens zu irgendwelchen Jubiläen belanglos-beliebige Gesten.

So weit das Positive. Richard Nimmerrichter war bekannt und gefürchtet als Kolumnist der Kronen Zeitung. Er schrieb unter dem Pseudonym „Staberl“. Den Namen entlehnte er einer Figur der Wiener Volkskomödie. Ursprünglich Sozialdemokrat und Mitarbeiter der Boulevardzeitung Express, wechselte er zu Hans Dichands 1959 wieder erscheinender Kronen Zeitung.

Dichand setzte ihm, einer viel kolportierten Anekdote zufolge, „Haifischzähne ein“, und zwar während eines kurzen Gesprächs im Lift. In Dichands Worten: „Eines Tages traf ich ihn wieder einmal im Aufzug des Pressehauses. Zufällig hatte ich kurz zuvor eines seiner Feuilletons gelesen, die er unter dem Pseudonym „Nilius“ im Express schrieb. Ich sagte ihm, nur so leichthin, wie man dies eben im Aufzug zu tun pflegt, er solle doch einmal versuchen, seinem stillen, aber ausgezeichneten „Nilius“ Haifischzähne einzusetzen; es wäre interessant zu lesen, was dabei herauskäme. Wir seien an einer solchen Kolumne stark interessiert. Er solle sich das überlegen. Das Gespräch im Aufzug dauerte, wie man sich vorstellen kann, wohl kaum eine Minute; für die Kronen Zeitung und auch für Nimmerrichter war das aber eine sehr entscheidende Minute.“

Daraufhin mutierte der eher milde gestimmte Kolumnist zu einer Art publizistischem Kettenhund, der sich später gebärdete, als wäre er Jörg Haiders Pressesprecher. Haider, schrieb er einmal, habe „all das zum Gegenstand seiner Wahlkämpfe gemacht, das die Bürger und Wähler fernab von jeder Ideologie in ihrem Alltagsleben bedrückt oder jedenfalls vorrangig interessiert. Kurzum: Er hat das getan, um das die Kronen Zeitung schon seit jeher bemüht war. So einfach ist das – im Zeitungsgeschäft und in der Politik.“

Staberl erschreckte die israelitische Kultusgemeinde mit Antisemitismus in der auflagenstärksten Zeitung des Landes am meistgelesenen Platz. Zwar beteuerte er stets, niemand hasse Hitler so sehr wie er, der alte geschundene Wehrmachtssoldat. „Nur verhältnismäßig wenige der jüdischen Opfer sind vergast worden“, schrieb er. Die große Mehrzahl sei „verhungert oder erschlagen worden, durch Fleckfieber, Ruhr und Typhus umgekommen (…), erfroren oder an Entkräftung gestorben.“ Es sei ihnen eben so ergangen wie zehntausenden braven Wehrmachtssoldaten.

War dieser Mann ein Wutbürger ante verbum, wie jetzt in Nachrufen gern behauptet wird? Mitnichten. Nimmerrichter wusste zu gut, mit welchem Material er arbeitete. Er war der Virtuose des Verdrängten, des schlechten Gewissens von Nachkriegsösterreich, Dompteur der bissigen Hausmeister, heisere Stimme des Ressentiments. Was er über Haider sagte, weist auf den Kern des Erfolgs der Krone hin. Sie lebte wie Haider von der Unzufriedenheit mit der Herrschaft der rotschwarzen Parteien, mit deren überprivilegierten „Bonzen“, mit dem übermächtigen Staat, mit dem Leiden aller Zukurzgekommenen, für das man Parteien und Staat verantwortlich machte, selbst wenn diese daran schuldlos waren. Oft genug waren sie es, oft genug aber nicht.

Das Zynische an diesem Spiel war, dass es eben zynisch war. Im Hintergrund ging es nur ums Geld. Nimmerrichter hatte aufgrund der Popularität seiner Kolumne eine prozentuelle Beteiligung am Gewinn der Krone, als dieser noch der Rede wert war ( vor der Jahrtausendwende 600 Millionen Schilling im Jahr, da konnte man auch mit ein bis zwei Prozent noch mehr einstreichen als ein beliebiger CEO, der damals noch nicht so hieß).

Die Krone tat, als wäre sie der Rächer aller rassistischen und xenophoben bonzenhassenden Hausmeister, aber sie wurde gemacht von zynischen Multimillionären. Nein, Staberl war kein Wutbürger. Er glich jenen Zynikern, die es auch heute gibt, die – allerdings weit weniger populär – nur zu ihrem eigenen Vorteil mit den Emotionen der degradierten Massen spielen.

In der Wiedergründungsphase der Kronen Zeitung entstand hoher Finanzbedarf. Der Gewerkschaftsboss Franz Olah, ein rechter SPÖ-Mann, finanzierte die Gründung der Krone und die Millionenlücken der Anfangsjahre mit Mitteln der Gewerkschaft auf unsolide Weise. Er besicherte Bankkredite mit Sparbüchern, ohne dass es die Gewerkschaft wusste; deshalb konnte er im entscheidenden Prozess auch keine Beweise für die Eigentümerschaft des ÖGB vorlegen. Solche Beweise hätten zu höheren Gefängnisstrafen für ihn geführt. Am Anfang konnte Hans Dichand gerade einmal ein Zehntel des Preises der Titelrechte (170.000 Schilling) auftreiben.

Damals verhandelte die Gewerkschaft mit Dichand und Falk über die Übernahme der Kronenzeitung. Die war „weit fortgeschritten, schreibt der Historiker Helmut Konrad, „politische Ausrichtung eingeschlossen. (,Staberl werde dann anders herum schreiben…‘ hieß es in einem der Übernahme-Angebote.“ (zuletzt in H. K.: Das Private ist politisch. Marianne und Oscar Pollak, Picus Verlag)

Keineswegs ein Wutbürger also, dieser Staberl. Ein schierer Zyniker. Der Mann, der einer ganzen Gesellschaft ihre Hemmschwellen derart herabsetzte, dass Haider, Strache, Kickl und Konsorten möglich wurden, dass eine Fünf-Prozent-Rechtspartei zu einer bedrohlichen drittelstarken rechtsextremen Alternative aufstieg, dass Xenophobie alltagstauglich wurde, dieser Mann hätte es genausogut auch „anders herum“ gekonnt.

Vielleicht ist es besser, dass wir nicht erleben mussten, wie er dabei gescheitert wäre.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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