Soll ich jetzt auch auf Facebook gehen? Wenn das deren einziges Problem wäre …

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 645

Armin Thurnher
am 05.02.2022

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Mark Zuckerberg – der Milliardär hat’s schwer. Der Börsenkurs bricht ein, er kann sich an nichts Böses erinnern, wollte immer nur Leute zusammenbringen, und jetzt zögert sogar einer wie Thurnher, ob er zu Facebook gehen soll. Foto: Antonio Quintano,Wikimedia

Ich bin in keiner beneidenswerten Lage. Quo me vertam? Facebook legt einen Nosedive bei den Börsenwerten hin, was mir herzlich wurscht ist, denn zugleich richtet Google die Börsennase steil nach oben. Das ist keine gute Nachrichte, was die Weltherrschaft der Tech-Konzerne betrifft. Google und Apple, dem es ebenfalls besser geht denn je, streben nach eigenen Zahlungssystemen, um sich vollkommen vom Regulativ der Staaten zu absentieren und staatlichen Regeln und Steuern zu entgehen. Unser Exkanzler, gerade noch Nummer Drei im Staat, betätigt sich schon als Zauberlehrling bei einem dieser Ober-Entstaatlicher. Solange es sie gibt, gehören die Staaten ja ordentlich ausgenommen.


Facebook ist nicht das einzige Böse. Aber es ist naturgemäß hinreichend böse, um mich zögern zu lassen, meine bescheidenen Social-Media Karriere auch dorthin auszuweiten. Ich bin bekanntlich ein Freund alter Medien, schreibe ab und zu meine Kolumnen mit der Füllfeder, säe ab und zu einen Spruch mit Kressensamen, der es schnell verrät, und habe mich nach langem Zögern auf Twitter eingefunden, nur um mich dort mit Spontangedichten und dem Verzicht auf den Gebrauch der ersten Person gerontophoben Hyäninnen zum Fraß vorzuwerfen.

Es geht nicht anders, als sich dieser postdemokratischen Postpostmoderne auszusetzen, dachte ich, während ich schon am ersten Tag spürte, wie mich dieses Wesen ergriff und in seinen narzisstischen Schwitzkasten nahm. Man wird hier nicht zum Guten verändert, und wenn man noch so sehr versucht, distanziert und höflich zu bleiben. Zwangsunmittelbarkeit und neurotischer Sofortismus greifen nach einem und treiben einen in die läppischsten Widersprüche hinein, die einem fortan nur mehr an anderen auffallen, nicht an einem selber.

Zudem gibt man Zeit auf. Viel Zeit. Man will und muss Publikum gewinnen, sonst täte man es nicht. Dass man dieses Publikum erst in zweiter Linie für sich gewinnt, merkt man gar nicht. Man vernünftelt den Hintergrund seines Tuns einfach weg, indem man meint, im Vordergrund für sich und seine guten Werke zu werben, während man doch für Twitter und dessen Shareholder agiert. Unbezahlt, notabene. Nicht der psychologische Tribut, den man entrichtet, ist das Problem, sondern diese unbezahlte Fronarbeit. Wenn die nicht wollen, ist man sein gutes Werk gleich ganz los.


Rechtsverhältnisse sind in Social Media nur mühsam durchzusetzen; Urteile, wie die Rechtsanwältin Maria Windhager eines für Eva Glawischnig durchsetzte und wie es auch die deutsche grüne Abgeordnete Renate Künast erreichte, gelten als Meilensteine. In Wirklichkeit ist es eine Frechheit globalen Ausmaßes, dass der Zugang zum Recht unter fortschrittlichsten digitalen Verhältnissen von Anfang an wenn nicht ausgeschlossen, so doch so unglaublich erschwert wurde, dass es der gefinkeltsten juristischen Anstrengungen bedarf, um eine schlichte üble Nachrede ahnden zu können. Auch hier setzen sich die Tech-Giganten von Staaten ab, indem sie sich eigene Gerichtsbarkeit anmaßen bzw. eigenes Willkürrecht behaupten.

Nicht nur individuell, auch politisch lässt man sich einlullen und fordert, die „Plattformen“ müssten etwas gegen den „Hass im Netz“ tun. Statt sie dem landläufigen Rechtsregime zu unterwerfen, ermuntert man sie unterwürfig zu etwas mehr Selbstkontrolle.

Meine Fresse. Erstens sind es keine Plattformen, sondern Publikationen, mit allen Rechten über die Leute, die in ihnen schreiben. Zweitens müssen diese Publikationen rechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Beihilfe zur Verhetzung, Beihilfe zur Verleumdung, Beihilfe zur Nötigung, Beitragstäterei aller Arten und was nicht alles. Diese Leute braucht man nicht mit symbolischen Strafen und Konzessionen zu belegen, während sie sich global einen Markt nach dem anderen zusammenkaufen.

Kann man unter solchen Umständen zu Facebook gehen? Ich habe die Zehen ins Haifischbecken gedippt und mich angemeldet. Seither werde ich täglich angemeldet. Neue Freunde stünden für mich bereit. Meistens welche, die ich nicht kenne. Das wirkt plump und unbeholfen. Brauchen die meine Hilfe?   Facebook geht es nicht gut, das ist mir klar. Um meine Neigung zu Underdogs zu wecken, geht es Facebook aber noch immer zu gut. Sie gestatten übrigens, dass ich nicht Meta sage, das klingt wie eine ins Kloster gegangene Habsburgerprinzessin, während wir es hier mit Tätern zu tun haben, die vor nichts zurückschrecken.

Wir Eurozentristen sehen ja nicht so klar, was dieser Konzern weltweit so anrichtet. In Myanmar zum Beispiel war einer UN-Untersuchung von 2018 zufolge der Facebook-Newsfeed verantwortlich dafür, dass 700.000 Rohingya vertrieben wurden, wobei 10.000 Angehörige dieser Volksgruppe umkamen. Von 2015 bis 2018 eliminierte Facebook so gut wie alle andere Informationsquellen in Myanmar, wo Facebook mittlerweile identisch mit Internet ist. Das ist ja überhaupt das Ziel dieses Konzerns: In Indien wollt er der Regierung 2015 sogar Gratis-Internet-Zugang und eine Art simplifiziertes Internet namens „Free Basics“ anbieten, was die indische Regulierungsbehörde aber untersagte.


Das MIT-Journal, das gründlich über die Rolle Facebooks – man kann mit den Vereinten Nationen sagen, die Mitschuld – am und beim Genozid gegen die Rohingya berichtete , stellte zudem fest, dass Facebook nicht nur die Desinformation und die Aufwiegelung dort anfachte und vergrößerte. Der Konzern unterstützt auch, gemeinsam mit Google, diese Desinformation finanziell, weil er an ihr verdient.

Während Facebooks Programm „Instant articles“ im Westen bei Verlagen nicht populär wurde, weil Facebook direkt an den Werbeerlösen partizipiert, etablierte es sich im globalen Süden. 2018 zahlte Facebook in diesem Rahmen bereits 1,5 Milliarden Dollar an Verlage, im folgenden Jahr vervielfachte sich dieser Betrag. Das Programm „Instant Articles“, aber auch das klassische „Audience Network“ stellten sich als Paradiese für Clickfarmen heraus, die – oft mit geklauten Inhalten – die gleichen oder ähnlichen desinformativen oder aufhetzenden Inhalte vielfach posten, immer mit Profit für sie und für Facebook und Google.

Clickbait-Produzenten konnten in Myanmar und sonstwo mit der Produktion von Fake News ein Vielfaches ihres sonstigen Monatsgehalts erzielen – direkt bezahlt von Facebook. Und von Google, wo sie für das Programm Ad-Sense bezahlt wurden. Es funktionierte bei den Klickfarmen in Vietnam und Kambodscha. Aber auch in Mazedonien und im Kosovo, die 2020 bei den US-amerikanischen Wahlen mitmischten (140 Millionen US-Amerikaner wurden im Monat vor der Präsidentschaftswahl über Facebook von Trollfarmen erreicht). Oder bei Youtube. Oder bei Instagram. „Wir haben unauthentische Mitspieler instandgesetzt, riesige Followerscharen für weitgehend unbekannte Zwecke anzulocken“, sagt der Datenforscher Jeff Allen, einst bei Facebook, jetzt mit einer Nonprofit-Firma unterwegs, die den Datenmissbrauch sogenannter Plattformen untersucht.


Ja, es stimmt, Facebook tut auch etwas, nimmt da und dort üble Seiten vom Netz. Insgesamt aber bleibt das Bild bestehen: der Konzern betreibt Desinformation als Geschäft. Dagegen braucht es politisches und justizielles Handeln, nicht psychologische Pflaster. Sie sehen, ich mache es mir nicht leicht, auf Facebook zu gehen!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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