Fastenkur, mon amour. Wenn nicht in Indien, dann halt hier.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 634

Armin Thurnher
am 24.01.2022

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Indien. Um diese Zeit des Jahres sind wir sonst in Indien, meine Kolumne im Falter entfällt, wir ziehen uns für drei Wochen in einen sogenannten Ashram ins südliche Kerala zurück. Richtigerweise muss ich sagen, wir zogen uns zurück, denn seit Corona tun wir es nicht mehr.

Bei unserem letzten Aufenthalt Anfang 2019 brach die Seuche in China aus. In indischen Zeitungen erschienen besorgte Kommentare, das erste Covid-Opfer, eine keralesische Medizinstudentin, war aus Wuhan zurückgekehrt und wurde in „Familienquarantäne“ gehalten, ein Ausdruck, den wir einer indischen Zeitung entnahmen und der uns nicht optimistisch stimmte. Immerhin war der Informationsstand der indischen Öffentlichkeit anders als jener der österreichischen, wie wir gleich bemerken würden. Beim Rückflug konnten wir beim Umsteigen in Doha doppelt soviel Masken zählen wie noch beim Hinflug.

Was taten wir in Kerala? Wir machten eine Ayurvedakur. Die beginnt mit einer Reinigung des Körpers, der erst innerlich und äußerlich gereinigt und dann gleichsam erneuert und aufgefrischt wird. Die innerliche Reinigung erfolgt durch die Einnahme von Ghee, also flüssigem Butterschmalz, das mit geheimnisvollen Kräutern versetzt auf nüchternen Magen getrunken wird (vier Tage lang), jeden Tag ein bisschen mehr, beim vierten Mal ist es etwa ein Achtel. Den ziemlich grauslichen Geschmack federt man durch Kauen von Kardamom-Kapseln und Lutschen von Zitronenspalten ab. Das Butterschmalz, so die ayurvedische Medizin, soll Rückstände aus Gefäßen und Zellen lösen. Unterstützt wird die Reinigungsphase durch eine Diät und durch Massagen.

Am fünften Tag krönt man das Ganze, indem man, vom medizinischen Personal überwacht, ein Abführmittel zu sich nimmt, das einen dann konsequent entleert. Danach beginnt der erfreuliche Teil der Kur, man darf wieder einigermaßen normal (naturgemäß vegetarisch) essen und sich den täglichen Behandlungen hingeben.

Mit trauriger Teilnahme denken wir an das Schicksal unserer indischen Freundinnen und Freunde, und versuchen da und dort ein bisschen zu helfen, denn wir haben sie alle, Masseurinnen und Kellner, Ärztinnen und Köche, Gärtner und Chefin in den langen Jahren lieb geworden.

Derzeit leider gestrichen: Blick aus dem Ashram auf die Malabarküste der Arabischen See.

Ihr Betrieb steht jetzt nahezu still, viele wurden entlassen, einige massieren in Moskau. Es gibt kaum Besuch (er kommt sonst aus allen Kontinenten) und kein Geld. Wir trauen uns bisher noch nicht hin. Corona trifft dort auf das hinduistisch-radikale Regime Narendra Modis, aber auch auf die indische Gesellschaft mit ihrer Kette von religiösen Superspreaderevents. Man kann sagen, das indische Leben ist ein einziger Superspreaderevent.

Corona in Indien und anderswo ist naturgemäß auch ein Problem des westlichen Egoismus, der Impfpatente nicht freigibt (gerade Indien hat Produktionskapazitäten) und die Pandemie am liebsten als Hausaufgabe lösen möchte, statt sie als Problem weltweiter Ungerechtigkeit zu sehen.

Die Fastenkur, die ich jetzt im Heimarbeit mache, ist für Indien kein Ersatz. Sie ist aber etwas, dem man sich sowieso zweimal im Jahr unterziehen sollte. Sagt meine Frau Irena Rosc, die als geprüfte Fastenleiterin weiß, was sie tut (und was ich tue) und wovon sie redet.

Warum faste ich, hat mich eine Leserin gefragt? Weil ich für mich etwas tun will. Irena hat mir ein Zitat des Doktor Buchinger, nach dessen Methode wir fasten, an die Hand gegeben: „Der sogenannte Gesunde soll fasten! Sein jährliches, ehrliches Fasten soll ihn vor Krankheit und Siechtum bewahren! Er soll nicht warten, bis die Vorboten des Todes kommen, die Krankheiten. Dieses jährliche Fasten aber soll ihm eine heilige, mit Betrachtung und Besinnung ausgefüllte Zeit sein, in der er heilsame Entschlüsse fasst, die dann der ganzen Zwischenzeit bis zur nächsten Fasten-Periode zugute kommen.“

Ja, das mit der „heiligen Zeit“ muss ernstgenommen werden; profanerweise sagt man dazu Auszeit. Die Zeit kann man aber nicht ausmachen, wie dieses aus der englischen Sportsprache (time out) kommende und offenbar nur in meinen Ohren grauenhaft klingende Wort suggeriert. Mir tut an der Ö1 Reform wenig leid außer der Umbenennung der Religionssendung am Sonntagvormittag von „Erfüllte Zeit“ in „Lebenskunst“. Als nächstes „Du holde Kunst“ in „Prima Songs und Gedichte“? Ich höre schon wieder auf und falle in den sanften Fastenmodus zurück.

Wir versuchen also, außer der Erfüllung von Pflichten, die nicht ruhen können (wie das Schreiben dieser Kolumne, aber der freie Wille ist nicht immer mit der Vernunft identisch) in diesen Fastentagen etwas anders zu leben.

Die Regeln des Fastens sorgen für ein Regime, das uns einen anderen Umgang mit unserer Zeit und unserem Körper möglich machen soll. Näheres demnächst.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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