Impfwicht und Impfpflicht. Ein Stimmungsbild aus dem Parlament.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 632

Armin Thurnher
am 21.01.2022

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Als erstes möchte ich mich bei Franz Grillparzer entschuldigen. Der Dichter war Kummer gewöhnt, er wird es aushalten, dass ich den ihm zugedachten Text nicht heute, an seinem 150. Todestag, sondern erst morgen oder wer weiß wann bringen werde können.

Ich bleibe bei einem Thema, das ihn lebenslang bewegte, ich bleibe beim österreichischen Zustand, bei der österreichischen Krankheit, bei der österreichischen Variante der Pandemie.

Gestern wurde die Impfpflicht im Parlament beschlossen, ich sah mir die Debatte an. Erwartungsgemäß machte sich Impfwicht Kickl eingangs besonders wichtig. Ich muss mich also bereits zur Mäßigung aufrufen, als wäre die Frage der Impfpflicht nicht Problem genug.

Ich bin aus mehrfach geäußerten Gründen kein Freund der Impfpflicht. Aber naturgemäß bin ich für eine Erhöhung der Impfquote, sie ist notwendig, so viel verstehe sogar ich als Hobbyepidemiologe.

Die Regierung hat bisher bei der Erhöhung der Impfquote versagt. Der Protagonist Kurz ist mittlerweile in anderer Rolle auf anderen Kontinenten unterwegs, seine Komplizen sind entweder weg, oder sie werden wie er nicht zur Verantwortung gezogen, da mittlerweile Bundeskanzler, oder nicht mehr im Amt.

Die gesetzliche Impfpflicht ist also die verzweifelte Flucht einer Regierung nach vorne, um in kommenden Monaten die notwendige Impfquote zu erreichen; etwas, das vielleicht mit anderen Mitteln auch gelänge, aber diese Mittel werden nicht in Betracht gezogen. Sei es das Handwerk der Graswurzel-Information, das Gegenteil wohlfeiler Werbekampagnen, die nur zur Beruhigung der Auftraggeber dienen. Seien es sinnvolle ökonomische Vorschläge, wie jener Stephan Schulmeisters, für Nichtgeimpfte die Sozialversicherungsbeiträge zu erhöhen.

Ich kann also Argumente von Menschen verstehen, die nicht der Einführung der Impfpflicht zustimmen, wie der Neos-Abgeordnete Loacker oder der SPÖ-Angeordnete Muchitsch.


Die Show des Impfwichts Kickl kann man verstehen, niemals billigen. Dieser Mensch glaubt einen historischen Moment zu erkennen und hofft, in Abstimmung mit der extremen Rechten verstörte Bürgerinnen und Bürger auf den Straßen und Plätzen in seinen Bann zu ziehen.

Foto: Screenshot ORF III

Kickl hat natürlich Recht, die Impfpflicht ist keine gute Idee. Aber nicht, weil die Impfung eine schlechte Idee ist oder die Pandemie schon vorbei wäre. Sondern nur, weil die Impfpflicht der Ausdruck einer gescheiterten Pandemiepolitik ist (konzeptloses Köchelkonzept, © Robert Zangerle) und des generellen Dilettantismus der Regierung (ehe jetzt jemand etwas sagt: dilettantischer als die FPÖ hat noch keine Partei regiert).

Vor allem gibt die gesetzliche Impfpflicht Kickl Gelegenheit, fortgesetzt diesen Baum anzubellen.

Gar nicht recht hat Kickl mit seinem wütend-triumphalistisch vorgetragenen Anspruch auf Freiheit und Würde des Menschen. Das ist bloß Sand in die Augen aller, die hier menschenrechtliche Argumente zu hören glauben, wo doch das genaue Gegenteil passiert. Hier reklamiert ein aggressiver Wicht sein Recht, die Würde und Unversehrtheit von Mitmenschen zu verletzen, indem er sie ansteckt oder sie auffordert, sich anstecken zu lassen. Indem er unverfroren wichtig auftrumpft: Nein, ich lasse mich nicht impfen, ich nicht. Ich bin so frei!

Selbstverständlich hat jeder Staat das Recht und die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, und zu diesem Schutz gehört auch die Anordnung einer Impfpflicht.

Zu den verstörenden Kollateralschäden der Pandemie gehört das verlogene Freiheitspathos, das auch gutwillige Menschen vor sich hertragen, während sie objektiv nur dem gerade geschilderten Egoismus verfallen. Zu ihnen zählt durchaus die eine oder andere öffentliche Figur, die man bisher für liberal hielt und die sich selbst weiterhin so versteht. Das kann und wird sich vielleicht wieder geben.

Was sich nicht mehr gibt, ist das Leid der erkrankten Menschen (berührend war der Bericht des grünen Abgeordneten Michel Reimon über sein Leid mit Long Covid), die Qual und der Stress des pflegenden und medizinischen Personals, all jener, deren Untersuchungen und Operationen verschoben werden mussten.

Dieses gurgelnde Wut- und Bodengeheul, das man schon von weitem als völkische Androhung von Gewalt dechiffrieren kann, ohne auch nur verstehen zu müssen, was genau gesagt wird, und diese verbalen Gewalttäter und -täterinnen, denn sie gurgeln auch in der weiblichen Variante, beschwören „Millionen draußen auf der Straße“ und phantasieren sich als Massenaufheizer, die dem Mob gebieten, wenn sich die Gelegenheit ergibt, mit den „Volksverrätern“ (er sagte es tatsächlich) abzurechnen, das ist die eine Seite. Sie im Parlament grölen zu hören, ist die andere. Das ist alarmierend und kann durch die üblichen Beiwörter in Medienberichten nicht mehr abgefedert werden.

Ich verstand auch die Exponentinnen der anderen Parteien, die versuchten, sich besonnen und ruhig zu geben. Meist kam dabei nur der Anschein pflichtschuldigen Herunterbetens heraus, eine demokratische Märchenstunde, rhetorische Impotenz, Nervosität und Schwäche.

Beides ist nicht durchgehend, das Geheul wird auch von höhnischem Geleier höherer Töchter oder vom schierem Zynismus  blasierter Schönredner unterbrochen, während auf der anderen Seite auch rednerische Intensität vorkommt. Aber im wesentlichen ist hier vor allem Defensive, leider.

Die Heuler heulen selbstgewiss. Sä wärden schon sähen, Sä wärdän där dämokratischän Strafä nächt äntkommen, gellt Kickl und dürstet schon nach der nächsten Brandrede bei der Samstagsdemo. Sie heulen so selbstgewiss, weil sie glauben, auf jenem Morast von Ungewissheit nach oben zu schwimmen, den sie selbst mitgeschaffen haben, auf verdrehten Wahrheiten, auf gestreuten Ungewissheiten, auf durcheinandergeratenen Einsichten.

Da ist soviel Wut und Lüge. Da zitieren totalitäre Berserker Karl Popper, und niemand zieht sie sie dafür zumindest virtuell an den Ohren.

Es ist eine Geiselnahme wie eine Corona-Demo: die Befürworter von Maßnahmen gehen nicht demonstrieren, weil sie sich an die Vorschriften halten. Im Parlament halten sich die Vernünftigen zurück, weil sie nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen wollen. Ihre Zurückhaltung sieht leider oft aus wie Schwäche.

So ein Nachmittag im Parlament kann einen ganz schön nachdenklich machen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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