Blue Monday? Martin Luther King Day!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 629

Armin Thurnher
am 18.01.2022

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„Equality and freedom for all, especially for we people who are darker than blue“, sang Curtis Mayfield in der Hymne „We’re a winner (movin on up)“, bitte in dieser Live-Version anhören, danke.

Fiel mir gestern ein, weil ich allerorten vom blauen Montag las, einer Marketing-Erfindung. Gestern war nicht nur blauer Montag, sondern Martin-Luther-King-Day. Ein Feiertag, den die USA 1983 einführten. Präsident Ronald Reagan unterschrieb das Dekret widerwillig, aber der Druck war zu groß geworden, achtzig Prozent der Abgeordneten waren dafür, den ermordeten afroamerikanischen Führer der Bürgerrechtsbewegung mit einem Feiertag zu ehren.

King wurde am 15. Jänner 1929 in Atlanta/Georgia geboren und am 4. April 1968 in Memphis/Tennessee ermordet. Die Umstände seiner Ermordung, die dem weißen Rassisten James Earl Ray zugeschrieben wird, bleiben mysteriös. Fern sei es mir, mich hier in die Tiefen der einschlägigen Verschwörungstheorien hineinzubegeben, aber das Verhältnis des vom Rassisten und paranoiden Antikommunisten J. Edgar Hoover geleiteten FBI zu King war gespannt, um es milde auszudrücken. Hoover betrachtete den Pastor King als Kommunisten und versuchte ihn mit anonymen brieflichen Drohungen in den Selbstmord zu treiben, die Öffentlichkeit über Kings an Affären nicht armes Sexualleben zu informieren.

Das alles konnte die Leuchtkraft der Figur King nicht beeinträchtigen. Der Mut, den es brauchte, in den 1960er Jahren im Süden der USA friedlich gegen die manifeste Gewalt der weißen Bevölkerung, der Polizei, des Ku Klux Clan und des Geheimdiensts aufzutreten, wurde oft in Filmen und Büchern gerühmt.

Die wirkliche Gefahr, die US-amerikanische Reaktionäre in King sahen, bestand wohl darin, dass er die Frage rassistischer Unterdrückung mit der sozialen Frage verknüpfte, und dass die Bürgerrechtsbewegung sich mit der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung zusammenschloss. Das wurde gefährlich.


Martin Luther King, 1964 Foto Wikipedia Commons, Marion S. Trikosko

Mein Martin Luther King Day ist der 4. April 1968. In der Schilderung meines amerikanischen Jahres nimmt dieser Tag eine besondere Stellung ein. Also schiebe ich heute aus gegebenem Anlass als kleinen Vorgriff auf Teil drei eine kurze Erzählung ein. Es war die Osterwoche 1968, ich war mit einem Freund auf dessen Einladung über die Ferien in New Orleans. Wir flogen hinunter, um seinen VW-Käfer abzuholen, den er bei seinen Eltern untergebracht hatte. Mit dem Käfer fuhren wir dann die Ostküste entlang in einem Zug durch nach hinauf New York City.

Zum ersten Mal war ich Down South. Die Cops am Flughafen mit ihren Reptiliengesichtern und ihren abenteuerlichen, obszön ausgestellten privaten Schusswaffen am Gürtel kamen mir vor wie aus einem Italowestern entsprungene Statisten.

Zum ersten Mal erlebte ich eine Gated Community von innen. Stahltore und Stacheldraht auf den Mauern. Der Schrank im Vorzimmer war nicht voller Jacken, sondern voller Gewehre.

Bei einem Ausflug in die Sümpfe am Golf sah ich welsfischende Schwarze in baufälligen Hüten wohnen, wie ich sie höchstens in einem Mark-Twain-Roman, nicht aber in der Gegenwart vermutet hätte. Giftschlangen raschelten von abgestorbenen Baumstümpfen ins Wasser.

Bei einem Stadtbummel, es war ein sonnig-diesiger Vormittag Downtown New Orleans, geschah etwas Merkwürdiges. Wie auf ein geheimes Kommando schlossen Geschäfte ihre Tore, gingen Rollläden herunter.

Es gab keine Handys damals. Als sich die Straßen zusehends leerten und auch der Verkehr dünner wurde, fragte wir einen Geschäftsinhaber, was vorgefallen sei. Sie haben Martin Luther King erschossen, erklärte er hastig, dann war auch sein Rollladen herunten. Wir standen ziemlich allein auf der Hauptstraße.

Machen wir, dass wir wegkommen, sagte mein Freund. Ich hatte die Dramatik noch nicht ganz erfasst, aber es war klar, dass die Weißen die Rache der Schwarzen befürchteten. Es war nur wenige Monate her, dass Detroit und Newark gebrannt hatten, die Nationalgarde und das Militär ausgerückt waren.

Wir beeilten uns, zum Auto zu gelangen. Auf einmal standen wir in einer Seitenstraße. Ärmliche Einfamilienhäuser aus Holz mit Veranden zur Straße. Diese Straße war nicht leer. Im Gegenteil. Auf einen Blick sahen wir, dass viele Menschen auf den Veranden und auf den Stiegen zur Straße saßen. Alle waren schwarz. Viele hielten den Kopf gesenkt. Einige sahen uns an, nicht einmal unfreundlich. Sie schauten nur. Niemand sagte ein Wort, schon gar kein bedrohliches. Viele Blicke jetzt, alle auf uns.

Es war eindeutig, wir konnten nicht umkehren, wir mussten diese Gasse hinuntergehen. Würden wir davonrennen, das spürten wir, würden wir verfolgt werden. So gingen wir geradeaus vorwärts, ohne ein Wort zu sagen, durch das schweigende Spalier trauernder Menschen durch.

Mit jedem Schritt wuchs die Wucht ihres stummen Schmerzes und ihrer schweigenden Wut und unser Schrecken. Angstschweißgetränkt erreichten wir das Ende der Gasse und bogen um die Ecke. Sobald wir nicht mehr gesehen werden konnten, rannten wir zum Auto und fuhren los.


P.S.: Zu meiner gestrigen Kolumne schickte mir der renommierte taz-Autor und Lateinamerika-Kenner Ralf Leonhard folgende Korrektur, die ich gerne nachtrage: „Der sogenannte ,Fußballkrieg‘ 1969 zwischen Honduras und El Salvador ist eine Erfindung der Journalisten. Ausgebrochen ist er nach Unruhen nach dem Qualifikationsspiel für die WM in Mexiko 1970 zwischen den beiden zentralamerikanischen Staaten. Ursache war aber die Vertreibung von 100.000en salvadorianischen Bauern, die sich in den Jahrzehnten davor – mit der Duldung des honduranischen Regimes – jenseits der Grenze angesiedelt hatten. Diktator López Arellano brauchte dann deren Land für eine Landreform, zu der er sich im Rahmen der Alliance for Progress verpflichtet und die der soziale Druck eingefordert hatte. Das eingängige Etikett Fußballkrieg bekam er von der Presse verpasst.“


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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