Novak Djokovic, Impfpflicht und Anstandspflicht

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 628

Armin Thurnher
am 17.01.2022

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Novak Djokovic verließ gestern Australien mit einem Emirates-Flug Richtung Dubai. Das unwürdige Schauspiel um den weltbesten Tennisspieler, der sich ungeimpft zu den Australian Open schwindeln wollte, hatte damit ein vorläufiges Ende. Die hämischen Kommentare waren so verständlich wie überflüssig.

Parallelen zur Schranz-Affäre empfand ich als unpassend. Ich stand damals als junger studentischer Mitarbeiter der Firma Shell am Fenster des Büros am Schwarzenbergplatz, um den Helden vorbeifahren zu sehen, und begab mich abends noch zum Ballhausplatz, wo der Skistar zum Ärger des Kanzlers Kreisky seinen großen Augenblick hatte. Der irritierte Kreisky schob ihn auf den Balkon, blieb aber selbst im Hintergrund. Die Demonstration des ORF-Chefs Gerd Bacher, der das Spektakel veranstaltet hatte, um Kreisky die Macht des Fernsehens und damit die Bachers zu beweisen, ging nach hinten los. Kreisky tat in der Folge alles, um den gerade unabhängig gewordenen ORF wieder an die politische Leine zu nehmen. Man kann also sagen, das Schranz-Spektakel veränderte die polit-mediale Kultur in Österreich, und nicht zum Guten.

Schranz wurde aufgrund eines lächerlichen Vorfalls (er spielte in einem Freundschaftsspiel beim Fußballclub Rapid mit und trug ein Leiberl mit einer Kaffee-Reklame) von seinem Erzfeind im IOC, dem Amerikaner Avery Brundage, wegen Verletzung des Amateurstatus von den olympischen Spielen 1972 in Sapporo ausgeschlossen. Er war selbstverständlich genauso Profi oder nach heutiger Auffassung Halbprofi wie all seine nichtausgeschlossenen Kollegen im Skizirkus. Sein Ausschluss war also höchst ungerecht, aber er konnte nichts dagegen machen.

Novak Djokovic, Multimillionär und Mittelpunkt eines globalen Business, serbischer Oligarch und internationaler Unternehmer, dachte das sehr wohl. Er meinte, er könne sich aufgrund seines Sonderstatus, seiner Klasse, seines Ruhms und seines Reichtums die Einreise nach Australien ertrotzen. Man würde es nicht wagen, ihm den möglichen zehnten Sieg in diesem Turnier zu nehmen, womit er zum Spieler mit den meisten Grand-Slam-Siegen aller Zeiten aufgerückt wäre. Roger Federer, Rafael Nadal und er haben je 20 Siege in Grand-Slam-Turnieren (Australien, Paris, Wimbledon, New York), und man meint, wer den 21. Sieg hole, sei der größte Spieler aller Zeiten.

Das ist naturgemäß Unsinn, denn ein Spieler wie Rod Laver war fünf Jahre lang gesperrt (1963-1967), weil er an der Pro-Tour teilnahm (Tennisprofis und -amateure waren damals getrennt); Laver gewann deshalb nur 11 Grand-Slam-Titel, aber er gewann zweimal den Grand Slam, also alle vier Grand-Slam-Turniere innerhalb eines Jahres, was keinem der drei Genannten auch nur ein einziges Mal gelang (bei den Herren schafften es außer Laver je einmal Don Budge, bei den Damen Maureen Connolly, Margaret Smith und Steffi Graf).


Abgesehen von aller Häme, die sich nun über Djokovic ergießt (auch ich konnte mich nicht enthalten, seine Aussage, er „respektiere“ die Entscheidung der australischen Regierung, mit dem Satz zu kommentieren: „Soviel Demut erfüllt uns mit Dankbarkeit“), war diese Affäre ein wahrhaft trauriges Schauspiel.

Einerseits offenbarte sie die fürchterliche australische Einwanderungspolitik, die von Boris Johnson bis Sebastian Kurz vielen rechten Regimes als Vorbild dient. Und die sich doch im Fall Djokovics als wankelmütig-populistisch erwies. Nichtgeimpften ist die Einreise nicht gestattet, so lauten die Regeln.

Was Djokovic an Nachweisen über seine Corona-Infektion im Dezember vorlegte, hielt näherer Prüfung nicht stand und war außerdem irrelevant. Sein Visa-Ansuchen entsprach einfach nicht den gesetzlichen Anforderungen, die sonst Down Under mit unerbittlicher Härte exekutiert werden.

Geld weicht eben alle Regeln auf. Und weil die Stimmung in Melbourne, geprägt durch demonstrierende australische Serben, auf Djokovics Seite zu schwanken schien – und auch der Richter der ersten Instanz die Ansicht äußerte, dieser Mann habe alles getan, was solle er denn noch tun? –, wurde die Entscheidung zu einer typisch populistischen Frage.

So erhielt Djokovic nicht nur Gelegenheit, sich selbst ausgiebig als unverantwortlichen Privilegienritter darzustellen (Fehler macht nicht er, nur sein Agent). Er durfte auch sein Antivax-Image weltweit als Identifikationsangebot verbreiten. Dem liberalen australischen Premierminister Morrison hätte man seine Gesetzestreue lieber geglaubt, wenn er zwischendurch nicht so sehr auf die Stimmung im Land gelauscht hätte, die dann doch mehrheitlich für Abschiebung plädierte.


Jetzt gibt es nur Verlierer. Djokovic hat sich selbst beschädigt und sich als Opfer einer balkanesischen Familie exponiert, wie Olivera Stajic in einem amüsanten Kommentar erwiesen hat. Im schlimmsten Fall aber als Seuchenheiliger einer sektoiden, sich auf verrückte nationalistische Weise überschätzenden familialen Nation an der Grenze zur Bereitschaft, seinetwegen einen Tenniskrieg vom Zaun zu brechen, analog zu mittelamerikanischen Fußballkriegen von einst.

Er hat den Schwurblern einen Messias gegeben. Das Australian-Open-Tennisturnier hat er auch noch beschädigt, denn er ist der virtuelle Sieger, und wer immer es an seiner Statt gewinnt, dem hat er seinen Makel aufgeprägt.

Dabei hätte er sich bloß impfen lassen müssen, wie das Gesetz es befahl. Und wie es der Anstand nahelegt. Der sollte als selbstauferlegte Pflicht sowieso stärker sein als jede gesetzliche.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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