Anspruchslosigkeit als souveräne Geste, und andere österreichische Merkwürdigkeiten.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 627

Armin Thurnher
am 15.01.2022

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Zuerst gratuliere ich der Jubilarin des Tages, der großen Österreicherin und Journalistin Barbara Codenhove-Kalergi. Sie feiert heute ihren 90. Geburtstag. Sie selbst hat ihre Autobiografie geschrieben. Hans Rauscher hat im Standard gesagt, was zu sagen ist, Stefanie Panzenböck hat im Falter ein Interview mit ihr geführt, das zeigt, was wirkliche Großherzigkeit ist: Frau Coudenhove hat auch dem Attentäter von Wien ein Kerzlein hingestellt, als einzige.

Barbara Coudenhove-Kalergi Foro: Heribert Corn

Man hat versucht, den österreichischen Menschen als den besseren deutschen oder Deutschen hinzustellen; das kam zum Teil vom Herzen unglücklicher Dichter wie Hugo von Hofmannsthal, zum Teil von hellsichtigen historischen Denkern wie Friedrich Heer. Der erste Versuch wurde vom Austrofaschismus instrumentalisiert, zerschellte aber an der Macht Hitlers. Der zweite wurde von den Nachkriegsmediokraten einfach ignoriert. Das Österreichische wurde zum Anspruchslosen, das auf vieles verzichtet, weil es nicht bemerkt werden möchte (damals nicht als Teilhaber der Hitlerei, vor allem). Anspruchslosigkeit als Abducken.

Aber das Österreichische kann auch das Anspruchslose als souveräne Geste sein. Klasse ohne aufzutrumpfen. Eleganz ohne Talmi. Das, glaube ich, können wir von Frau Coudenhove lernen. Es muss keine Müdigkeit in dieser Anspruchslosigkeit stecken; es war ja die Moderne, die im Wien des Fin de Siècle frisch aufbrach; müde gemacht haben sie erst die Mediokraten. Sie herrschen überall, sie geben den Ton an, prägen die sogenannten Diskurse, sie sprechen Propagandaschaumgummi, die führen dem Malermeister Andy, diesem Urbild des österreichischen Herrschaftsdiskurses, die Hand.

Frau Coudenhove ist anders. Sie hat nicht nur, weil sie aus aristokratischer Familie kommt, einen etwas weiteren Blick. Dass sie dann mit dem von der Partei exkommunizierten Eurokommunisten Franz Marek ein Paar bildete, passt nur zu gut. Wie der Philosoph Walter Benjamin bemerkte, sind aristokratischer und proletarischer Typus in manchem einander näher als beide der Bourgeoisie. Oder gar dem in Österreich vorherrschenden Typus, dem Kleinbürgertum.

Barbara Coudenhove sagte mir einmal vor Jahrzehnten aus ihrer Weltkenntnis einen Satz, der mich stolz machte. Der Falter war damals noch sehr jung und galt in Österreich als einigermaßen unberührbar. Coudenhove aber sagte in meinem Büro: In Deutschland kennt man nur zwei österreichische Zeitungen, die Krone und den Falter. Die eine wegen ihrer schiachen Kampagnen und der bescheidenheitstriefenden Machtexzesse ihres Herausgebers (meine unvornehme Formulierung), die andere wegen Schreibweise und Unbestechlichkeit. Das habe ich mir gern gemerkt.

Das Allerschönste zum Geburtstag, verehrte Frau Coudenhove!


Und nun zu etwas ganz anderem, und auch wieder nicht so anderem. Gestern war ich wieder einmal bei Meinrad Knapp. Ich weiß nie so genau, welcher Sender gerade bespielt wird, aber es sind immer drei; Puls 24, ATV2 und zum krönenden Ende am Sonntag Abend ATV. Man spielt immer das Nämliche. Eine Diskussion unter dem genannten Moderator. Ich finde, die zeigt jedesmal, wenn ich dabei bin (und auch, wenn nicht), dass man im Fernsehen über Politik auch ganz anders reden kann. Irgendwie schafft Knapp es, dass aus den vier politischen Redakteurinnen und Redakteuren keine eitlen Gockel und Hennen werden, die aufeinander herumpicken, sondern dass ein einigermaßen vernünftiges Gespräch entsteht, das auch noch mit Elementen von Schmäh gewürzt ist.

Man fürchtet nicht, jemandem auf die Zehen zu treten. In dieser Atmosphäre können selbst die politische Redakteurin der Kronen Zeitung und ich miteinander scherzen, ohne dass das Gefühl von Verhabertsein aufkäme. Wir können einander widersprechen, was selbstverständlich ist, aber auch das auf eine angenehme Art.

Minnesängermähne. Screenshot: ATV

Nach dem aktuellen Gespräch schrieb Rudi Fussi auf Twitter, mit meiner Corona-Mähne sähe ich aus wie ein freundlicher Ritter oder ein Minnesänger. Ja, das sind komische Figuren wie ich, und ich lasse mir die Haare wachsen, um einem Zustand zu entgehen, den ich in Seuchenkolumne 210, also vor hundert Jahren einmal so beschrieben habe:

Beim Tierfriseur

Kurz blick ich

auf in den Spiegel.

Ich seh meine Augen,

Dackelfurchen über

hellblauen Maskenfurchen.

Schwarzes Barbiertuch

voll mit weißem Gewöll.

mehr Federn als Flocken,

wie vom Falken gewürgt,

nutzlos, Kissen zu füllen.

Brüsk bürstet Violetta,

die flotte Friseurin,

mein Schurgewöll fort,

dem Besen zum Raub.

Traurig wackel ich weg.

Jetzt sehe ich halt zu, diesem Dackelgefühl zu entkommen. Den Epidemiologen Robert Zangerle, der mir bei der Vorbereitung half und mich mit dem Zauberwort „intrinsische Viralität“ ausrüstete, womit ich bei Knapp sogleich kräftig angab, nannte ich im Wahnsinn des Livegefühls (das keines ist, nur ein Kamerarausch) einen „Virologen“. Mögen mich Gott und Zangerle ungestraft davonkommen lassen.


Weil wir schon beim Reden sind. Als mich Petra Herczeg-Rosenberg und Rainer Rosenberg fragten, ob ich ihnen für ein „Menschenbild“ auf Ö1 Modell sitzen würde, sagte ich naturgemäß gleich ja; obwohl so ein Lebensbild etwas Abschließendes hat, das ich noch nicht spüre. So bange ich dem entgegen, was ich da über mich sagte und was sie auswählten und welche Musik dazu gespielt wird. Ich höre sonst die Lebensbilder sehr gern. Diesmal kann ich sagen, ich bin gespannt auf Sonntag, 14:05. Wenigstens sieht man meine Haare nicht.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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