Mehr Positives! Über Twitter und Gimpel.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 624

Armin Thurnher
am 12.01.2022

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Ich habe verstanden. Sie wollen in dieser Kolumne auch getröstet werden. Erwachsene Männer schrieben mir, auch sie hätten sich Tränen der Rührung aus den Augen gewischt, als sie Johannes Strolz in Adelboden siegen sahen, gegen alle Wahrscheinlichkeit, in Erfüllung eines Bubentraums, weil bekanntlich solche Träume als Wesen das Unerfüllbare haben (mit Mädchen- und anderen Träumen kenne ich mich nicht aus eigener Erfahrung aus). Und sie dankten mir für meine Kolumne. Keine Angst, es gibt nicht noch mehr Strolz. Es war aber schon bemerkenswert, dass keine Spur von Häme bei den vielen Mails war, die ich bekam. Nicht einmal eine Andeutung davon. Und es waren nicht nur Männer, die mir schrieben. Ich habe es schon mit mancherlei versucht, mit dem Kater, mit Kochrezepten, mit Holz und Naturgeschichten, mit Häuslichem, Lyrischem und mit Musik, und immer bemerkte ich, wie sehr das sogenannte Positive gebraucht wird; aber es waren stets bittere oder scharfe Antworten dabei, das Hämische ist untrennbarer Teil des Heimischen, und vielleicht in gewissen Teilen Österreichs nur eine Art, das Heimische auszusprechen. Ich halte die Rede vom Hass in den sozialen Medien für zu pauschal, aber was immer das digitale Gift ist, ob es aus den Schweinsherzen der Userinnen stammt, von bösen Strategen gesteuert oder von Algorithmen befeuert ist oder alles zusammen – es gibt jedenfalls zu viel davon. Kürzlich las ich im Spiegel eine Kolumne über Twitter. Sie stammte von einer jungen Frau, und Twitter-Kolumnen von jungen Frauen müssen den Hinweis enthalten, dass Twitter-Kolumnen von alten Männern nicht so gut sind, weil sie von verletzter Eitelkeit und angesägter Macht gefüllt sind wie eine üble Wurst mit Sägemehl. Ich sage über die Twitter-Kolumnen junger Frauen nichts, außer dass sie meist viel Wahres enthalten, vor allem, was das Wirken alter Männer in Twitter-Kolumnen betrifft. Meine eigene Erfahrung mit jungen Twitterkollegen beschränkt sich auf einen Mann. Damen, die auf Twitter freundlich zu mir sind, passen meist nicht mehr in die Kategorie „junge Schriftstellerin, die sich über Twitter äußert“. Der junge Mann erklärte mir als erstes, man erkenne alte Männer daran, dass sie sich mit Drükos äußern, also mit Kommentaren, die andere Tweets so zitieren, dass sie ihre Anmerkung darüberstellen und so die Reaktionen für sich selbst verbuchen. Aha, sagte ich und versuchte mich bedachtsam mit Drukos zu Wort zu melden, bis ich merkte, mein junger Ratgeber schenkte mir seine Beachtung auf Twitter, wenn er sie mir denn schenkte, ausschließlich in Form von Drükos. Das habe ich, glaube ich, schon erwähnt, aber alte Männer dürfen die Dinge mehrmals sagen. Wieder hatte ich etwas gelernt, aber ich wollte doch in aller gebotener Vorsicht etwas zur jungen Schriftstellerin sagen, die eine derart positive Kolumne über Twitter schrieb, dass sie mich an guten Tagen zu einer wütenden Tirade animiert hätte, mich aber heute, im Glanze meiner strolzischen Positivität, völlig gleichmütig reagieren lässt. Der Twitter-Kommentar war sowas von purer Ideologie, dass man sich schon wieder daran erfreuen konnte, was ich von ganzem Herzen tat. Ich will auch nur zu einem einzigen Absatz etwas sagen, nämlich zum letzten: „Ich hasse Twitter und Instagram auch manchmal. Aber stellen Sie sich mal vor, es wäre Pandemie und wir hätten das alles nicht. Das wäre wirklich die Hölle.“ Ich stellte mir mal vor. Meine Antwort: Gimpel. Nicht, weil derzeit eine informative Sendung auf Ö1 lauft, „Aus dem Leben der Natur“, fünf aufklärerische Minuten nach dem Klassiktreffpunkt, 8:55, in der es ebenfalls um den Gimpel geht. Nein, ich denke an eine Kinderkrankheit, die mich isoliert in einem Zimmer in unserem Haus hielt, ich hatte ein Zimmer ganz für mich allein, war zu klein, um mich lesend durch Bücher zu wühlen, aber durfte ein vorhandenes einbändiges Lexikon nach Bildern durchforsten. Schon das wäre, hätte ich ein Smartphone gehabt, vermutlich nicht passiert.

Gimpel, auch Dompfaff genannt. Foto: Wikipedia

Aber noch besser: Hinter dem Haus stand ein großer Nussbaum, auf den das Fenster meines Zimmers blickte. Es war Winter, der Baum war blattlos, und ich konnte mich in seiner baren Struktur mit den Blicken verirren, festhalten oder wiederfinden. Es gab Eichhörnchen und allerlei Vögel. Der Baum füllte den Tag. Wenn ich Glück hatte, kamen Gimpel. Nicht einer oder zwei, Scharen von ihnen. Mit ihren wunderbaren roten Brüsten leuchteten sie aus den dunklen Ästen hervor. Mein Großvater hasste Gimpel, für ihn waren sie Schädlinge, die es auf die Knospen der Obstbäume abgesehen hatten. Er fluchte und versuchte, sie mit Händeklatschen zu vertreiben. Das war mir egal. Ich erfreute mich an ihrem Rot, ihren rundlichen Körpern, ihren seltsamen Schnäbeln, ihren schwarzen Köpfen, ihrer bunten, plumpen Präsenz. Das Kind, das ich war, liebte die Gimpel auf dem Nussbaum. Und als alter Mann erlaube ich mir anzumerken, ich bin froh, dass ich sie sah, und nicht die Gimpel auf Twitter.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher @arminthurnher thurnher@falter.at

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