Novak Djokovic, die Impfpflicht und die Anscheißer

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 623

Armin Thurnher
am 11.01.2022

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Novak Djokovic ist weiterhin in Australien, der abschlägige Bescheid auf sein Einreisegesuch wurde von einem Richter aufgehoben. Sein Visum gilt wieder. Er will bei den Australian Open antreten. Es ist egal, ob der australische Einwanderungsminister Alex Hawkes mittlerweile diesen Bescheid wieder aufgehoben hat. Der Novax-Zirkus zieht weltweite Kreise, mit den üblichen Konnotationen. Alle rechten Lumpen naschen an seiner Publicity mit.

Die australische Rechte freut sich. Craig Kelly, Chef der Rechtsaußen Partei Australia United, twitterte „Let Djokivic stay!“ Der britische Rechtsaußen-Politiker und EU-Gegner Nigel Farage hält sich in Belgrad auf und weilt bei Familie Djokovic. Diese hat eine Presskonferenz gegeben, wir wissen nun ausführlich, was Onkel, Mama, Bruder und Papa Djokovic zur Sache zu sagen haben. Was wir nicht wissen, ist, was sie zu Novaks Verhalten sagten, nachdem der positiv getestet wurde und maskenlos mit Kindern und für Fotos auftrat.

Auf eine diesbezügliche Frage hin brachen sie die Pressekonferenz ab.

Das ist der Zirkus: Djokovic hat sich als weltweite Galionsfigur der Impfgegner, Impfskeptiker, Impfverweigerer etabliert. Mit Hilfe seiner Anwälte konnte er einen australischen Richter dazu bewegen, die ihm entzogene Einreiseerlaubnis wieder zu erteilen.

Vor dem Hotel, in dem er sich aufhalten musste, fanden Demonstrationen zu seinen Gunsten statt, die wie üblich auch in Handgreiflichkeiten ausarteten, sodass die Polizei Pfefferspray einsetzen musste.

Ungeachtet der Faktenlage ist das Ganze zu einer üblen Show geworden: Stellungnahmen pro und contra Djokovic werden zu Stellungnahme pro und contra Impfung, pro und contra Freiheit und was dergleichen „üble Dichotomien“ mehr sind, wie der Epidemiologe meines Vertrauens sagen würde.

Besonders übel wird die Sache dadurch, dass Djokovic als Mittelpunkt eines Wirtschaftszweigs, der Djokovic Entertainment Industries (von mir erfundene Bezeichnung) seine Macht einsetzte, um die Sache zu seinen Gunsten zu drehen. Die braven geimpften Konkurrenten schauen durch die Finger.

Insgesamt aber wäre mein Rat, nicht zu lange auf den Oligarchenflausen des Djokers herumzureiten, sondern genau zu schauen, wer sich hinter privilegiengeschützten Großköpfen nach Art unseres Großserben versteckt. Sind es nicht jene, die stets am lautesten Privilegien und Pfründen der herrschenden Klasse anprangern, solange sie sie noch nicht selber haben? Kurz durchzuckte mich der Gedanke, was los wäre, hätten wir Heinz Christian Strache im politischen Saft noch unter uns. Der serbische Teufel wäre los.

Wir haben das Glück, dass es keines unserer Idole ist, das sich so übel benimmt; nach längerem Zögern ließ sich Dominic Thiem impfen. Leider kann er in Australien nicht spielen, seine Hand macht noch nicht mit.

Ich reihe mich nicht in einer der Phalangen ein, die einander nun mit Kommentaren bekämpfen, entweder für oder gegen Djokovic. Ich stelle vielmehr die Frage, wie wir mit unseren hausgemachten Impf-Problemen umgehen.


Kürzlich fand in unserem kleinen Dorf eine Ortsversammlung statt. Es handelt sich um einen Ortsteil von unter 200 Menschen, etwa vier Dutzend Menschen waren gekommen, alle mit FFP2-Masken, am Eingang wurde der Impfstatus überprüft. Der Bürgermeister erklärte, unsere Gemeinde liege in Niederösterreich ziemlich an der Spitze, was Impfungen angehe und ziemlich weit hinten bei der Verbreitung von Covid. Das sei dem Wirken der Ärztin und des Arztes zu verdanken, die hier eine Gemeinschaftspraxis betreiben.

Eine glückliche Fügung. Aber was tut ein Ort ohne Arztpraxis? Wie man gesellschaftlich wichtige Informationen verbreitet, diese Wissenschaft ist nur auf der Propagandaebene entwickelt, und entsprechend sieht das Verhalten aus: wo die FPÖ hinkommt, da verstärkt sie kursierende Desinformationen. Wie aber hält man dagegen?

Wohl, indem man mehr Energie darauf verwendet, nicht Desinformation, sondern Information zu verbreiten.

Ich denke, dass der Versuch, diesen Informationsweg über die Mikroebene der Gemeinden zu vermeiden, viele gegenläufige Reaktionen begünstigt, ja angefacht hat. Weil der offizielle Alarmismus – mochte er noch so angebracht gewesen sein – derart autoritär daherkam, rief er Gegenreaktionen hervor, die Flucht ins Irrationale, in Verschwörungstheorien, in den Verdacht, dass da etwas nicht stimmen kann etcetera. Da mit der Desinformation auch der Zweifel an jeder gewohnten Art der Informationsübermittlung geschürt wird, wächst die Verzweiflung. Woher soll man wissen, was stimmt? Wer einem noch die Wahrheit sagt?

Die Impfpflicht hat gewiss nicht geholfen, die Desinformation zu bekämpfen (das habe ich hier schon so geschrieben). Kann sein, dass sie ein paar ältere und einige träge Menschen ängstigte und zur Impfung trieb; der Schaden, Kickl & Co den Trumpf in die Hand gegeben zu haben, gegen diese Pflicht mobil machen zu können, weil man eh weiß, dass keine ernsten Sanktionen drohen, wird größer sein.

Informieren allein reicht also nicht. Was wäre die Alternative? Vielleicht doch die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron angeregte: den Impfgegnern auf den Sack gehen, sie nerven, dissen, öffentlich als die Gefährder bezeichnen, die sie sind. Mit einem Wort: offensiv dagegenhalten.

Das französische „emmerder“, das Macron unter großem Aufschrei benützte, lässt sich schwer mit „sie anscheißen“ übersetzen – oder doch? Etwas „scheißt mich an“, habe ich schon gehört. „Einen Anschiss ausfassen“ sowieso. Aber jemanden anscheißen? Vielleicht sollte man einen Kreativwettbewerb der österreichischen Dialekte ausrufen: Kickl richtig anscheißen!

Ja, Kickl spielt mit Menschenleben (und die ÖVP, die wegen der oberösterreichischen Wahl keine Impfkampagne zusammenbrachte, ebenso). Man muss diese Leute erstens aus Koalitionen schmeißen. Sie zweitens offensiv mit ihren Unwahrheiten konfrontieren, wo immer es geht. Nicht diesen Job an den Bundespräsidenten delegieren, den Impffeigling von nebenan aber einen guten Mann sein lassen.

Und Novak Djokovic nicht als den charakterstarken Helden betrachten, den er uns vorspielt, sondern als den verachtenswerten Privilegienritter, der er ist.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!