Ein kleines paradox-patriotisches Wunder

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 622

Armin Thurnher
am 10.01.2022

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Lasset uns die Woche mit einer einfachen Erzählung beginnen. Sie handelt von einem Wunder. Wer nicht Vorarlberger ist, wer sich von Skifahren genervt fühlt, wem österreichische Sportberichterstattung unermesslich auf die Nerven geht, der darf sich doch noch nicht ganz ausklinken.

Denn wer das Positive liebt, wer wahr gewordenen Kinderträume nicht missen möchte, jene Seifenblasen, die nicht platzen, sondern sich schillernd auf unserer Hand niederlassen, zur ewigen Bewunderung, unzerstörbar und unhintergehbar, der kann doch weiterlesen.

Wenn ein durch und durch erfolgloser Skifahrer, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt im Ski-Weltcup plagt und es nie auf einen besseren Platz als auf den zehnten brachte, wenn so ein Skifahrer aus allen Kadern fliegt, wundert das niemanden.

Die österreichische Skigeschichte ist reich an Figuren, die sich nach dem Rauswurf aus den Kadern des ÖSV nicht aufgaben, auf eigene Rechnung weitertrainierten, glorreich zurückkamen und Rennen gewannen. Hermann Maier ist natürlich das berühmteste Exemplar dieser Gattung, auch dieser gelernte Maurer war dem ÖSV nicht gut genug.

Mario Reiter gewann nicht so viel wie Hörme, aber ein paar Rennen waren es dann schon, darunter der Slalom in Kitzbühel.

Und jetzt, gestern, der Johannes Strolz. Gewinnt mit Startnummer 38 den Slalom in Adelboden, auf einem der schwersten Hänge des Weltcup, vor einer entfesselten, corona-unverantwortlichen Schweizer Zuschauermenge, die selbst einen Ostösterreicher an der Vernunft des Westens zweifeln ließen, aber egal (Epidemiologe, weghören!), auf diesem Hang gewann der bald 30 jährige Sohn des Olympiasiegers in der Kombination, von Hubert „Hubsi“ Strolz, Johannes Strolz aus Warth am Arlberg, Polizist in Dornbirn.

Die Seifenblase glänzte in allen Farben. Sie platzte nicht. Der Knabentraum wurde wahr.

Strolz war fast sprachlos vor Glück und artikulierte sich, dem Augenblick gewachsen, dann im besten Vorarlberger Dialekt, was sich sehr gut anhörte. Nicht sprachgeschult. Schon zuvor hatte sich ORF-Kommentator Oliver Polzer erstaunlich untriumphalistisch verhalten, gewiss, weil auch er bis zur letzten Sekunde nicht damit rechnete, dass Strolz wirklich gewinnen würde. Thomas Sykora, der Fachkommentator, ist eh ein Netter und machte nichts falsch, aber auch er roch den Braten zu spät.

Man hätte ihn schon etwas früher riechen könne. Der Rückstand von Strolz nach dem ersten Durchgang war nicht groß, gerade einmal 17 Hundertstel. Aber nach allem, was man von ihm kannte, würde er es vermasseln, einfädeln, einen Steher einbauen, zwei Sekunden Rückstand aufreißen, es irgendwie vergeigen. Nicht, dass man ihm das skifahrerische Können abgesprochen hätte. Man wusste, dass er es kann, aber man wusste auch, dass er es nicht ins Ziel bringen würde.

Er brachte es aber doch ins Ziel, und mit jedem Fahrer, der es nicht schaffte, ihn zu überholen, wuchs das ungläubige Staunen, nicht zuletzt bei Strolz selbst, der mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen auf dem geheizten roten Sessel für den Führenden saß, einem für ihn jahrelang außer jeder Reichweite befindlich scheinenden Platz.

Dann kam der Stermann-Augenblick, als nämlich klar war, dass Strolz führte und nur mehr zwei Österreicher oben standen. Vier Österreicher unter den ersten drei oder so. Aber es schneite stärker, die Sicht wurde schlechter, und es schien mir unwahrscheinlich, dass Feller oder gar Gstrein es schaffen würden.

Und so war es. Feller wurde knapp Zweiter. Gstrein fädelte ein. Dann aber kam mein paradoxer Patriotismus-Moment, und darum erzähle ich Ihnen das Ganze so umschweifig. Der zweite, der Feller-Manuel, freute sich nämlich so von ganzem Herzen für den Sieger Strolz, dass es wirklich eine Freude war. Er sagte, was der für eine Leistung gebracht habe, das könne keiner richtig einschätzen, der sei aus allen Kadern geflogen und habe auch keine Serviceleute, der gehe nach jedem Training in die Werkstatt und arbeite selber an seinen Skiern.

Das war wirklich schön und angenehm zu hören und hatte keine falschen Untertöne, und man weinte fast vor Freude mit dem Johannes Strolz mit.

Ok, es ist nur eine Randsportart. Und es bedeutet nicht wirklich viel. Aber es kommt nicht oft vor, so eine Neidlosigkeit, so ein sich mit dem anderen Mitfreuen, also dachte ich, ich kann es Ihnen genauso gut noch einmal erzählen. Die Welt ist trostlos genug.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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