Aufschlag Jesus. Der Fall Djokovic als moderne Tragödie.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 620

Armin Thurnher
am 07.01.2022

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Novak Djokovic hat es wieder getan. Selbst Autoren der konservativsten Presse empören sich ob des frech ausgestellten Privilegienanspruchs des Sportmillionärs (geschätztes Vermögen: mindestens 150 Millionen $) als wären sie Sozis. Der Fall der Nummer 1 der Tennisweltrangliste beschäftigt die Weltöffentlichkeit mit gutem Grund. Der Serbe, neunmaliger Gewinner der Australian Open (unter anderem 2020 in einem dramatischen Fünf-Satz-Finale gegen Dominic Thiem), vermeintlich im Besitz einer Zusage der Turnierveranstalter in Melbourne, reiste ungeimpft nach Australien. Er hatte einen Visaantrag gestellt, in dem er eine medizinischen Ausnahme für sich beanspruchte (der Grund der Ausnahme ist nicht bekannt) und hoffte, mit dieser Bestätigung tatsächlich einreisen zu können.

Foto: Charley Cowins, Wikimedia

Im Mai 2020 hatte Djokovic bekanntgegeben, sich mit Covid infiziert zu haben. Allerdings akzeptieren die australischen Behörden eine überstandene Infektion nur dann als Grund, sich die geforderte zweifache Impfung zu ersparen, wenn sie weniger als sechs Monate zurückliegt. Andererseits war Djokovic offenbar sicher, einreisen zu dürfen, nachdem ihm der Staat Victoria, wo das Turnier stattfindet, in einem anonymisierten zweistufigen Verfahren „medizinische Immunität“ zugesichert hatte – ein Verfahren, dem auch alle anderen Spieler unterworfen wurden, die um Ausnahmegenehmigung ansuchen. Dieses Verfahren betraf allerdings nur die Spielgenehmigung für das Australian-Open-Turnier in Melbourne, nicht die Einreisegenehmigung nach Australien.

Es ist also möglich, dass Djokovic meinte, sich mit einer aufgrund seiner zurückliegenden Infektion erlangten Spielgenehmigung auch die Einreisegenehmigung verschaffen zu können – er hatte kein gültiges Einreisevisum, meinte aber, mit der Spielgenehmigung und seiner schieren Anwesenheit werde man es ihm nicht verweigern.

Von den Tenniskollegen war zwar zartes Grummeln zu vernehmen, doch hatten sie offenbar vor der Machtposition des cholerisch aufbrausenden Djokovic kapituliert. Die Pro-Tour wird ja von Familien regiert, darin der Mafia ähnlich. Väter und Onkel (seltener Mütter und Tanten) teilen mit Finanzberatern, Anwälten (Consiglieri), Medienexperten und Trainerstäben die Macht untereinander auf; der Djokovic-Clan gehört naturgemäß zu den Mächtigsten. Gewöhnlich geht es um Geld und Verträge, aber auch um andere Bedingungen des Spiels, um Regeln, Termine, Ranglisten.

Djokovic ist Impfgegner, wie er im Vorjahr bekanntgab; er ließ offen, was er tun würde, wenn es Impfpflicht für die Teilnahme an Turnieren gäbe. Dann würde er „eine Entscheidung treffen müssen“ sagte er etwas rätselhaft. Mysteriös bleibt auch die medizinische Begründung, mit der er seine Spielgenehmigung erhielt und sein Visum ergattern wollte. Die australischen Behörden veröffentlichen sie nicht, denn sie ist Djokovics Privatsache, aber man stellt sich die gleiche Frage wie das australische Tennisidol Rod Laver: „Er ist ein großartiger Spieler und hat so viele Turniere gewonnen, es kann wohl nichts Physisches sein, also was ist es?“

Wir dürfen annehmen, es ist in jedem Fall Exzeptionalismus. Hier kommt sich einer aufgrund seiner Macht und Bedeutung so wichtig vor, dass er sich über andere zu erheben können glaubt. Für ihn sollen nicht die gleichen Regeln gelten wie für alle anderen, Impfpflicht schon gar nicht. Auch in Tiroler Hotels ist Djokovic heuer bereits dadurch aufgefallen, dass Covid-Regeln für ihn offenbar nicht gelten.

Der serbische Premier Aleksandar Vucic versicherte dem sogenannten Djoker gleich die Solidarität aller „serbischen Körper“, aber für einen Krieg Serbiens gegen Australien wird es doch nicht reichen, trotz der zahlreichen Auswanderer, die sich vor dem Hotel einfanden, in das man Djokovic gesteckt hatte.

Der australische Premier Scott Morrison, ein Liberaler, nützte die Gelegenheit, um populistisch zu punkten, aber erst, nachdem sich im Land ausreichend Ressentiment gegen eine Sonderbehandlung Djokovics angesammelt hatte. Morrison agierte weder bei der Bekämpfung der Klimakrise noch bei der von Covid besonders erfolgreich. Vor allem wird ihm angekreidet, dass er selbst Gratistests in Anspruch nimmt, während er sie der Bevökerung vorenthält; davon will er ablenken und davon, dass er an der Konfusion zwischen Turnier-Erlaubnis und Visa-Verweigerung selbst schuld ist. Die Überbetonung von Grenzschutz als Haupt-Covid-Maßnahme schützt außerdem niemanden, schreibt der Journalist Malcolm Farr im Guardian.

Djokovic selbst wird in einem Quarantänehotel in Melbourne festgehalten, bis ein Gericht den Einspruch seiner Anwälte behandelt und ihn hoffentlich abweist, wonach er abgeschoben wird. Dann wäre die Sache aus demokratischer Hinsicht einigermaßen gut ausgegangen. Am Montag werden wir es wissen. Das Hotel heißt übrigens Park Hotel, dort werden bereits 36 Immigrationswillige angehalten, einige seit neun (!) Jahren.


Gesellschaftliches Verhalten wird durch sogenannte Vorbilder beeinflusst. Der Spitzensport hat die Funktion, uns an astronomische Gehälter zu gewöhnen, die jedem vernünftig denkenden Menschen als obszön erscheinen müssen. Sie zu akzeptieren hilft, sich in den Egoismus neoliberalen Denkens einzugewöhnen. Es erscheint dann normal, dass die Reichsten keine Steuern zahlen, dass die größten Vermögen anderen Regeln unterliegen als die kleinen, kurz, dass Demokratie mit Gleichheit ebenso wenig zu tun hat wie mit Brüderlichkeit.

Der Spitzensport hat den Vorteil, unter dem Deckmantel der Fairness (Brüderlichkeit) diese Regeln in ihrer Absurdität so scheinbar einleuchtend verständlich vor uns auszubreiten, dass es gerade die Ärmsten im Geiste verstehen und akzeptieren. Die unterschiedlichen Charaktere der Spitzensportler halten natürlich für jeden ein Identifikationsangebot bereit: die Rolle des Bösewichts, des Good Guy oder des Schwindlers, der die Regeln immer zu seinen Gunsten ausnützt.

Djokovic ist ein Sonderling mit Tendenz zum Sektierertum, aus ihm bricht zudem immer wieder der Bösewicht heraus, den er so gern durch den Good Guy kaschieren würde. Er behauptet von sich, er habe Kräfte, die Keime von ihm fernhalten, und zwar mit Emotionen. Er passt also ganz gut in die allgemeine Renaissance der Irrationalität. Jesus wurde gekreuzigt, sagt sein Vater. Und jetzt er. Naš Novak, Novak unser.

Unter den besten Tennisspielern kann ich nur Roger Federer, Dominic Thiem und Diego Schwartzman sympathisch finden. Für die Phrase „I’ve spent fantastic quality time with loved ones“, die er in seinem Neujahrstweet vorbrachte, gehört Djokovic sowieso auf Lebenszeit gesperrt.


Aber es ist eine echte Tragödie: ein australischer Versager demokratischer Politik trifft öffentlich auf einen milliardenschweren Botschafter des Weltirrationalismus, der ein Sonderrecht für sich fordert – der neue Clash of Unvernünftigkeiten, für alle zu sehen, für niemanden zu verstehen, emotionsbefeuernd und unauflöslich, als hätte es Twitter erfunden.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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